"Früher hat mir meine Arbeit Freude bereitet". Diesen Satz denken oder sagen immer mehr Menschen. Doch stimmt das wirklich?
Theoretisch könnte das sein. Denn dank wirtschaftlich schwerer Zeiten sollen immer weniger Menschen in immer kürzerer Zeit immer mehr leisten. Doch diese andauernde Arbeit am oder über dem Limit zeigt ihre Spuren. Denn wahr ist auch: Wir lassen uns oft von negativer Stimmung anstecken. Eine Stimmung, in der die Lust auf Leistung dem Irrtum geopfert wird, dass "die Arbeit", "der Chef" oder "die Kunden" uns stressen würden.
Oder lassen wir uns vielleicht auch durch unsere Wahrnehmung täuschen? Die Meinungsforscher von Forsa wollten im vergangenen Jahr wissen, was die Deutschen stresst. Spitzenreiter ist – erwartungsgemäß – der Druck bei der Arbeit mit 51 Prozent. Bemerkenswert ist, dass kein Wachstum stattfindet. 2011 und 2012 lagen die Zahlen bei 51 beziehungsweise 47 Prozent.
Gleiches gilt für die im Arbeitsalltag beklagte Hektik. Sie nimmt in Zahlen objektiviert über die Jahre sogar ab! 44, 43, 40 Prozent. Unser Job wird also von Jahr zu Jahr weniger stressig.
Was bei der Arbeit stresst
Was sorgt im Büro für Stress? Der Personaldienstleister Robert Half hat im höheren Management nach den wichtigsten Gründen gefragt. Dabei gaben 18 Prozent der Befragten zu viel Verantwortung oder ständiges an die-Arbeit-denken auch in der Freizeit als Grund für Stress bei der Arbeit an. Nur in Tschechien können die Beschäftigten außerhalb des Arbeitsplatzes schwerer abschalten - dort gaben 28 Prozent an, dauernd an die Arbeit denken zu müssen. Auf der anderen Seite der Skala ist Luxemburg: nur fünf Prozent haben dort dieses Problem.
Keinen Stress haben dagegen nur sieben Prozent der deutschen Befragten. Genauso niedrig ist der Anteil derer, die ihren aktuellen Job nicht mögen.
Unangemessener Druck vom Chef nannten 27 Prozent der Befragten hierzulande als Stressgrund. In Brasilien sind es dagegen 44 Prozent.
Wenn der Chef sich eher um sein Handicap kümmert, statt ordentlich zu führen: 28 Prozent der Befragten sind mit der Managementfähigkeit des Chefs unglücklich. Das Unvermögen des führenden Managers, das zu Stress führt, scheint in Luxemburg relativ unbekannt zu sein - nur 11 Prozent der Befragten sind dort mit den Befragten unglücklich, in Dubai sind es gar neun Prozent.
Dass unangenehme Kollegen oder fieser Büroklatsch zu Stress führen kann, ist allgemein bekannt. Dementsprechend führen auch 31 Prozent der Befragten das als Stressgrund an - der Anteil derer, die das ähnlich sehen, liegen in allen anderen Ländern fast gleich hoch - außer in Brasilien: 60 Prozent der Befragten geben unangenehme Kollegen und fiesen Büroklatsch als Stressgrund an.
Ein weitere Stressgrund: personelle Unterbesetzung. 41 Prozent der Befragten sehen das als wichtigen Grund für Stress bei der Arbeit an - ein Wert, der fast in allen Ländern ähnlich ist.
Doch am problematischsten, laut der Studie: die hohe Arbeitsbelastung. 51 Prozent der Befragten gaben dies als Stressgrund an. Deutschland liegt damit im Schnitt, auch in den anderen elf Ländern ist ein ähnlich hoher Anteil der gleichen Meinung.
Wir scheinen uns eine Parallelwelt in unserem Kopf zu erschaffen, in der wir die wechselnden Arbeits- und Lebensbedingungen schlechter bewerten als sie tatsächlich sind. Daher fühlen wir uns gestresster als wir es sind. Das schmälert die Kapazität unseres Gehirns, für das Stress ein Ausnahme- und kein Dauerzustand ist.
Der Trend zur negativen Sicht auf die Arbeit
Bedenken wir immer, dass unsere Wahrnehmung von unseren Gedanken, Erfahrungen, Erwartungen und Gefühlen geprägt ist und von dem, was wir in unserem Alltag gewohnt sind. Es gibt derzeit eine Tendenz, Negativem größeren Raum zu geben und es sogar zu erwarten. Das führt so weit, dass in Umfragen zu Stress und Arbeit allein die Stellung der Fragen so suggestiv ist, dass eher negativ als positiv geantwortet wird. Das Ergebnis ist, dass wir irgendwann glauben, dies sei die Realität.
Ein Beispiel: Zum Thema Stress veröffentlichte die Technikerkrankenkasse 2013 eine imposante Studie. Neben dem Versuch, auch einmal etwas Positives zu fragen - ob die Arbeit Spaß mache oder ob man Weihnachten genieße -, waren die meisten Fragen Belastungsfragen.
Im DGB-Index der Gewerkschaften 2012 kamen sogar nur negative Fragen vor. Etwa: "Wie oft ist es in den letzten vier Wochen vorgekommen, dass Sie sich nach der Arbeit leer und ausgebrannt gefühlt haben?" Wenn 44 Prozent der Befragten "Sehr häufig oder häufig" antworten, dann ist das immer noch eine Minderheit. Doch in der medialen Berichterstattung heißt es, dass die deutschen Beschäftigten leer und ausgebrannt sind.
Ein anderes Beispiel: Im Gesundheitsreport 2013 der DAK wurde endlich einmal genauer hingeschaut, wie das Thema Erreichbarkeit in der Realität gehandhabt wird. Ergebnis: Nur 20 Prozent der Beschäftigten lesen häufiger als einmal pro Woche geschäftliche E-Mails in der Freizeit, fast 70 Prozent nie oder fast nie. Fast 80 Prozent bejahten die Aussage "Mein Arbeitgeber akzeptiert es, wenn ich außerhalb der Arbeitszeit nicht erreichbar bin".
Worüber klagen wir im Alltag immer wieder? Den Druck, der aus der permanenten Erreichbarkeit entsteht. Was für ein Widerspruch.
Die Unternehmensberatung Towers Watson hat in der Global Workforce Studie 2010 20.000 Mitarbeiter in 27 Ländern befragt und 67 Prozent hoch und moderat motivierte Menschen gefunden - und nur 6 Prozent nicht motivierte. Haben Sie davon gelesen?Wahrscheinlich nicht. Viel lieber werden die Ergebnisse der Gallup-Studien aufgegriffen, die von mieser Motivation und innerer Kündigung berichtet.
Die Realität hat viele Gesichter
Der Stressreport 2012 zeigt, dass die erhebliche Steigerung der Belastungswerte seit den Neunzigerjahren nicht mehr zu verzeichnen ist - und aktuell weniger Beschäftigte (sieben Prozent) von einer Stresszunahme berichten als in der letzten Befragung. Wenn etwa jeder Zehnte über chronischen Stress klagt, heißt das auch, dass neun von zehn keinen chronischen Stress haben.
Mehr als drei Viertel der Beschäftigten fühlen sich den Anforderungen gewachsen. Die deutschen Beschäftigten schätzen ihren allgemeinen Gesundheitszustand besser ein als der EU-Durchschnittsarbeitnehmer, die allgemeine Erschöpfung liegt weit unter dem EU-Mittel, sagt die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland des Robert-Koch-Instituts: Knapp 77 Prozent der Männer und 73 Prozent der Frauen bewerten ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut.
Die Gallup-Gruppe um Tom Rath hat in weltweiten Studien herausgefunden, dass es fünf Arten von Wohlbefinden gibt. Das Tätigkeitswohlbefinden, soziales, finanzielles, physisches und Gemeinschaftswohlbefinden. Die Tätigkeit hat doppelt so großen Einfluss auf unser Gesamtwohlbefinden wie alle anderen.
Belastung muss keine Last sein
In der TK-Stressstudie 2013 sagten 48 Prozent der Befragten, dass Stress anspornend sei. Der Begriff "Belastung" ist in unserem Sprachgebrauch eher negativ belegt. Im Job kommt es aber erst einmal zu einer "Beanspruchung" der Person mit Reaktionen auf körperlicher und psychischer Ebene. Und diese können negativ genauso gut aber auch positiv sein.
Positiv wäre der Erhalt und Ausbau der Leistungsfähigkeit, Erweiterung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, Steigerung von Motivation, Arbeitszufriedenheit und Gesundheit. Dem stehen negative gegenüber wie das Gefühl der Überforderung, Fehler, Minderleistung, Beeinträchtigung der Fertigkeiten, Fähigkeiten und Gesundheit.
Externe Anforderungen am Arbeitsplatz treffen immer auf interne Leistungsvoraussetzungen. Dies wird bei der Betrachtung der Veränderungen in der Arbeitswelt gern außer Acht gelassen. In der Regel werden ja nicht objektiv negative Belastungen wie fehlendes Licht oder Lärm beklagt, sondern subjektiv als negativ erlebte Belastungen. Ist eine größere Arbeitsmenge an sich ein Problem? Nur in einem bestimmten Ausmaß.
Oft geht es aber eher darum, dass die Arbeitsorganisation nicht angepasst wird, Perfektionismus zu viel Zeit kostet oder die betreffende Person nicht "nein", sagt wenn ihr zu viel Arbeit angetragen wird. Eine negative Summe beider Seiten, also zum Beispiel zu hohe Anforderungen bei nicht angemessenen Fähigkeiten oder Führungsaufgaben ohne Vorbereitung darauf, erleben wir als negativen Stress. Wenn wir uns nicht weiterbilden, körperlich nicht fit sind oder schlecht geschlafen haben, können sogar geringste Anforderungen eine Überforderung für uns sein.
Erholung und Engagement gehen Hand in Hand
Mit der Frage des Zusammenhangs von Erholung und Arbeitsengagement beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe um Evangelia Demerouti. Das Arbeitsengagement einer Person ist relativ stabil mit Variationen an verschiedenen Tagen. Eine hoch engagierte Person hat also auch einmal Tage mit wenig Engagement und umgekehrt. Dies hängt mit aktuellen Ereignissen zusammen. Der Arbeitsalltag ist ein Zyklus von Arbeit und Erholung. Morgens ist man am fittesten, dann kommt die Anstrengung bei der Arbeit. Während der Arbeit wird Kraft verbraucht, die durch Pausen oder den Feierabend wieder aufgefüllt wird.
Die Studie zeigte, dass das Erholungsniveau am Morgen das Arbeitsengagement vorhersagt. Das Engagement wird dabei von situativen Komponenten beeinflusst. Negativ sind Einflüsse, die Ärger oder negative Emotionen auslösen und die Aufmerksamkeit von der Arbeit lenken. Mehr aber noch stresst es uns, wenn wir unsere Arbeit nicht ohne Weiteres erledigen können, weil uns zum Beispiel Informationen oder Arbeitsmitteln fehlen.
Bemerkenswert war auch das Ergebnis, dass hohes Arbeitsengagement nicht zu emotionaler oder physischer Erschöpfung führt. Vielmehr gingen Menschen nach einem engagierten Tag mit einem besseren Erholungsniveau nach Hause als nach einem wenig engagierten.
So fühlen Sie sich wohler bei der Arbeit
Lassen Sie uns ganz praktisch werden und Ideen für den Perspektivwechsel sammeln.
1. Entscheiden Sie sich für Wohlbefinden bei Arbeit
Überprüfen Sie Ihre Einstellungen: Sind Sie dankbar, dass Sie diese Arbeit haben? Freuen Sie sich, dass Sie dort interessante Menschen treffen, diesen Schreibtisch, dieses Auto, diese Aufgabe haben? Überall wartet das Wohlbefinden auf uns – wenn wir es treffen wollen und sehen können. Denn um etwas wahrzunehmen, müssen wir es kennen und erwarten, sonst sehen wir es nicht.
2. Verordnen Sie unternehmensfreundlichen Egoismus
Es ist egoistisch, nicht gut für sich zu sorgen, weil wir dann von anderen die Lieferung der Zutaten für unser Wohlbefinden erwarten. Ermutigen Sie also und leben Sie vor, wie es ist, gut für sich zu sorgen.
Fünf Tipps zur Stressbewältigung
Sagen Sie auch mal „Nein“. Haben Sie gerade keine Kapazitäten für eine neue Aufgabe oder ein Projekt, sagen Sie frühzeitig Bescheid. Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen Sie mit „Ja“ antworten müssen. Aber vielleicht hat ein Kollege gerade mehr Zeit oder die Aufgabe ist doch nicht ganz so dringend.
Niemand ist perfekt, stellen Sie daher keine zu hohen und unrealistischen Erwartungen an sich selbst. Damit blockieren Sie sich nur.
Identifizieren Sie die Auslöser. Jeder Mensch gerät durch andere Dinge unter Druck. Um einen Überblick zu behalten, hilft es, sich eine Liste mit seinen persönlichen Stressfaktoren anzulegen. Stört Sie zum Beispiel das ständige „Pling“ eingehender E-Mails, stellen Sie den Computer auf lautlos und bestimmen Sie einen festen Zeitraum, in dem Sie Mails beantworten.
Stress zu unterdrücken, ist auf lange Sicht keine Lösung. Früher oder später wird er wieder hochkommen. Um das zu vermeiden, sprechen Sie darüber mit einem Kollegen und beziehen Sie auch ihren Chef mit ein. Allein das Gefühl, aktiv etwas gegen den Stress zu tun, hilft bei der Bewältigung.
Machen Sie Sport – Bewegung ist eine gute Methode, um Stress entgegenzuwirken, denn durch Sport werden Glückshormone wie Dopamin ausgeschüttet.
Im Alltag hilft schon ein kurzer Spaziergang zur Kantine oder morgens eine Station früher auszusteigen und den restlichen Weg zur Arbeit zu laufen. Nehmen Sie die Treppe statt den Aufzug und laufen Sie zum übernächsten Drucker statt zum nächstgelegenen.
3. Sehen Sie, was Sie leisten
Viel zu lange haben wir darauf gewartet, dass uns Kollegen oder Chefs mal fragen wie es uns geht, uns loben oder sehen, was wir leisten. Sie werden es nicht tun, so lange wir unsere Leistungen nicht selbst anerkennen, wir uns selbst nicht wichtig nehmen.
4. Erteilen Sie sich ein Spekulationsverbot
Die Kollegin grüßt nicht, der Kunde ruft nicht zurück? Schluss mit den Spekulationen über die Ursachen. Sie rauben gute Energie. Bleiben Sie neutral. Was sind wirklich Tatsachen und wo gehen Phantasie und Bewertungen mit Ihnen durch?
5. Konzentrieren Sie sich auf Stärken
Wer seine Stärken bei der Arbeit nutzt, ist sechs Mal häufiger engagiert und hat 40 Stunden Spaß. Wer die eigenen Stärken nicht nutzt, brennt schon nach 20 Stunden aus. Egal, wie anstrengend die Arbeit ist.
6. Entdecken Sie ein Optimismusmotto
Es gibt immer Augenblicke, wo etwas schief oder anders als erwartet läuft. Dafür brauchen Sie eine Aufmunterung wie "Das wird schon" oder "Es geht am Ende alles gut".
7. Ändern Sie, was sie stört
Die Tür quietscht, das Auto ist schmutzig, der Schreibtisch steht ungünstig? Die Haarfarbe ist nicht mehr aktuell und die Kleidung ist zu klein geworden. Worauf warten Sie? Jetzt ist der Zeitpunkt sich von unnützen, unsinnigen oder unpraktischen Dingen zu befreien, die sonst immer wieder Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Wohlbefinden kosten.