Viertagewoche Freiheit lässt sich nicht in Prozenten messen

Quelle: imago images

Warnstreit, Urabstimmung, Streik – Einigung: Mit ihren ritualisierten Streitereien haben sich organisierte Arbeitgeber und Gewerkschaften von den Wünschen der Menschen entkoppelt. Die wollen mehr Freiheit – so individuell ausgehandelt wie möglich. Ein Kommentar.

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Dieses Experiment hat das Potenzial, Geschichte zu machen. Weil es die Lebenslügen mancher Führungskräfte entlarvt, in harten Zahlen messbar macht, was viele jüngere Arbeitnehmer längst geahnt hatten. 61 Unternehmen haben sich in Großbritannien im vergangenen Sommer bereit erklärt, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter anstatt auf fünf nur noch auf vier Tage zu verteilen. Ohne Lohneinbußen, bei verringerter Stundenzahl. Und siehe da: Die Erfahrungen sind fast rundweg positiv. Die Angestellten zeigten sich begeistert ob der neuen Flexibilität, die Verdichtung der Arbeit in den verbleibenden Stunden nahmen sie gerne in Kauf. Und, wichtiger noch, auch aus Sicht der meisten Unternehmen funktioniert das Modell. Die Umsätze stiegen, die Produktivität ebenfalls. Nur fünf der 61 Unternehmen wollten das Modell nach einem halben Jahr Testbetrieb schon wieder beenden.

Natürlich sollten diese Ergebnisse nicht überinterpretiert werden. Nein, die Viertagewoche wird niemals für alle Betriebe in allen Branchen der richtige Weg sein. Doch das gilt auch schon für die Fünftagewoche – die es in Deutschland seit mehr als einem halben Jahrhundert gibt, ohne dass Tankstellen und Bäcker am Sonntag schließen müssten oder Journalisten ihre Berichterstattung am Wochenende einstellen würden.

Der Versuch aus Großbritannien zeigt eindrucksvoll: Wenn beide Seiten es wollen, lassen sich für fast jede individuelle Lebenslage passende Arbeitsarrangements finden. Und das ist es, was für Arbeitnehmer heute zählt.
Darüber, dass für junge Leute die Arbeit nicht mehr einen so hohen Stellenwert hat wie in früheren Generationen, mögen die Älteren reflexhaft den Kopf schütteln. Und sich im Stillen doch denken: Sie haben ja recht. Bis auf wenige kreative Berufe ist die Arbeit Mittel zum Leben. Also sollte sie diese Funktion auch bestmöglich erfüllen, anstatt das ganze Leben zu füllen.

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Wenn sich dieser Tage organisierte Arbeitgeber und Gewerkschaften mit heftigsten verbalen Mitteln über ein paar Prozentpunkte mehr oder weniger Lohn streiten, so tun sie das in besten Absichten – und pflegen damit doch von Jahr zu Jahr offensichtlicher ein aus der Zeit gefallenes Ritual.

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Die Machtposition der Angestellten ist längst so gut, dass sie, individuell oder auf Betriebsebene vereint, am allerbesten für ihre Interessen kämpfen können. Und dann heißt es in vielen Berufsfeldern nicht: Wir wollen 13 statt 11 Prozent mehr Lohn. Sondern: Wir wollen mittwochs frei haben, im Winter aus Spanien arbeiten können, ein halbes Jahr Sabbatical nehmen. Gebt uns die Freiheit, dann geben wir euch, was ihr wirklich braucht: vollen Einsatz für den Erfolg des Unternehmens.

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