Alexander Haas ist Professor für Marketing und Verkaufsmanagement an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das Verhalten in Verhandlungen.
WirtschaftsWoche: Herr Haas, es gibt keine Kontaktbeschränkungen mehr. Wie viele Verhandlungen finden trotzdem noch virtuell statt?
Alexander Haas: Ich bin der Meinung, es sind immer noch mehr als die Hälfte der Verhandlungen, die virtuell stattfinden. Während des Lockdowns waren es hundert Prozent und die Unternehmen haben gemerkt, dass es auch so geht und sie damit Geld sparen können. Jetzt sind sie dabei, herauszufinden, in welchen Fällen sie zu Präsenztreffen zurückkehren müssen und in welchen nicht.
Und in welchen Situationen kann man sich das physische Treffen schenken?
Eigentlich geht das immer dann, wenn es sich um sehr standardisierte Gespräche handelt und wenn sich die Verhandlungspartnerinnen und -partner gut kennen, ein Vertrauensverhältnis haben. Wenn sie etwa ein einfaches Produkt, wie Schrauben, nachbestellen und nur die Konditionen oder Lieferprozesse anpassen wollen. Dann müssen Sie nicht extra hunderte Kilometer fahren, um das zu besprechen.

Andere immer wiederkehrende Verhandlungen sind die Jahresgespräche zwischen Händlern und ihren Ansprechpartnern bei den Lieferanten. Geht das auch virtuell?
Nein, dann würde man viel Potenzial verschenken. Diese Gespräche sind viel zu komplex. Außerdem gehen die Parteien dort immer wieder sehr konfrontativ vor. Es ist dann eher ein Gegeneinander als eine gemeinsame Ergebnissuche. Und das kann im virtuellen Raum schnell aggressiv werden.
Warum?
Wenn wir uns nicht gegenübersitzen, dann ist der soziale Druck nicht so groß. Die Verhandelnden vergessen schneller ihre Manieren, fallen einander etwa ins Wort oder nehmen non-verbales Verhalten schlechter oder nicht richtig wahr. Das führt zu feindseligem Verhalten. Insgesamt können wir beobachten, dass virtuelle Verhandlungen zu schlechteren Ergebnissen führen und auch häufiger ohne Ergebnis abgebrochen werden.
Wie sollte man vorgehen, um das Beste aus virtuellen Verhandlungen rauszuholen?
Am besten arbeiten die beiden Verhandlungspartnerinnen beziehungsweise -partner schon im Vorfeld daran, unabhängig von der Verhandlung Respekt und Vertrauen aufzubauen. Das macht konfrontatives Verhalten unwahrscheinlicher.
Was noch?
Gerade Menschen, die schon im echten Zusammentreffen eher ruhig und zurückhaltend sind, wirken virtuell oft wenig präsent – manche sogar apathisch.
Was raten Sie diesen zurückhaltenden Menschen in virtuellen Verhandlungen?
Sie sollten sich im Vorfeld anschauen, wie die Kamera positioniert ist und bewusst darauf achten, in die Kamera zu schauen. Das wirkt aufmerksam. Ab und zu lächeln. Ein Mindestmaß an Aktivität, zum Beispiel Gestikulieren, ist vor der Kamera nötig.
Haben Extrovertierte da einen Vorteil?
Sie haben zwar den Vorteil, dass sie in der Diskussion lebendiger rüberkommen. Aber in der Sache können ruhigere Verhandlerinnen und Verhandler genauso gut sein.
Ein Vorurteil, dass sich hartnäckig hält, ist dass Männer besser verhandeln als Frauen.
Das ist kein Vorurteil, leider. Männer haben tatsächlich Vorteile, denn in unserer Gesellschaft entspricht die soziale Rolle des Mannes eher dem was in Verhandlungen gefordert wird: Durchsetzungskraft, Bestimmtheit, Eigeninteresse. Das heißt nicht, dass Frauen nicht genauso hart verhandeln können. Aber wenn sie diese männlichen Attribute übernehmen, fällt das eben mit der Erwartungshaltung an Frauen auseinander und sie werden weniger positiv wahrgenommen.
Wie wirkt sich dieses Dilemma bei virtuellen Verhandlungen aus?
Im virtuellen Raum schwächen sich solche sozialen Erwartungen ab und die Frauen können eher aus der gesellschaftlich vordefinierten Rolle entkommen, ohne beim Gegenüber negative Emotionen zu wecken. Frauen erzielen in virtuellen Verhandlungen bessere Ergebnisse als im physischen Kontakt.
Wie ist das Männern?
Bei ihnen konnten wir in unseren Untersuchungen keinerlei Unterschiede feststellen. Ob real oder virtuell ist egal.
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