Der moderne Mensch rotiert tagsüber in seinem Hamsterrad, schickt während der Arbeitszeit Nachrichten an Freunde in aller Welt und arbeitet nach Feierabend Dienstmails ab. Außerdem rennt er zum Sport und zum Sprachkurs, fährt die Kinder vom Klavierunterricht zum Kickboxen oder Reiten und geht abends noch mit dem Partner ins Kino. Die Folge: Freizeit wird als noch stressiger wahrgenommen als der Berufsalltag.
Eine Studie von Forschern der Pennsylvania State Universität zeigt sogar, dass bei vielen Menschen die Konzentration des Stresshormons Cortisol am Wochenende höher ist als unter der Woche. "Nach der Arbeit geht es nicht mehr um Entspannung, sondern darum, nichts zu verpassen", bestätigt Psychologe Joachim Kugler von der Technischen Uni Dresden.
Technik wird zur Nabelschnur
Selbst Kinder leiden unter Freizeitstress. Mit entsprechenden Folgen für die Gesundheit: "Leistungsdruck in der Schule, Freizeitstress am Nachmittag, aber auch Reizüberflutung oder unregelmäßiges Essen führen immer häufiger zu Spannungskopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen oder lösen sogar Migräne-Anfälle aus", erklärt Hartmut Göbel, Direktor der Schmerzklinik Kiel.
Kein Wunder, dass sich die Deutschen nach mehr Ruhe und Zeit für sich sehnen. Sind die Mußestunden dann aber da, ertragen die meisten sie nicht. In einer Reihe von Experimenten konnten US-Forscher kürzlich zeigen, dass viele Personen es schrecklich finden, mit sich selbst alleine zu sein. Einige verabreichen sich sogar lieber Elektroschocks, als ohne weitere Beschäftigung ihren Gedanken nachzuhängen, berichteten die Wissenschaftler im Fachmagazin „Science“.
Die Folgen kennt jeder: Auch außerhalb des Labors beschäftigen wir uns lieber mit Banalitäten als mit reinem Nichtstun: Fällt uns sonntags nichts ein, greifen wir zum Handy. Bietet auch das keinen spannenden Zeitvertreib, wird die unerträgliche Langeweile bei Facebook oder Twitter mitgeteilt - in der Hoffnung, dass ein Austausch mit anderen Gelangweilten entsteht.
"Durch die ständige Erreichbarkeit und die ständige Verfügbarkeit mit Hilfe der modernen Technik lernen Menschen nicht mehr, Verlassenheit und andere negative Gefühle auszuhalten", sagt Jürgen Ackermann, Psychologe und Psychoanalytiker aus Frankfurt. Dank Facebook und WhatsApp unterbinde der Mensch die Auseinandersetzung mit der eigenen Person.
Kinder brauchen Langeweile
Dabei können Erwachsene viel von Kinder lernen. Sie langweilen sich oft und schnell. Im Schulalltag kommt das Gefühl dagegen seltener auf, weil weniger freie Zeit zur Verfügung steht. Fallen dann Ganztagsschule, Sportangebot und musikalische Früherziehung ferienbedingt weg, muss sich das Gehirn überlegen, wie es die entstandene Lücke füllt. Hier kommen Kreativität und Antrieb ins Spiel.
Deshalb plädieren Erziehungswissenschaftler dafür, Kinder zu ermutigen, sich die Langeweile selbst zu vertreiben und zu erkennen, was sie tun wollen - anstatt zwanghaft Alternativen zum Nichtstun zu suchen.
Wie man mit Langeweile umgehen sollte
Langeweile ist ein Gefühl wie jedes auch, weshalb man es genauso respektieren und akzeptieren sollte. Es ist also genauso wenig sinnvoll, sich selbst oder einem Kind die Langeweile zu verbieten, wie sich nicht zu gestatten, fröhlich, traurig oder wütend zu sein.
Wochenlang hat man sich auf den Urlaub gefreut und wenn man dann endlich, endlich am Strand liegt, langweilt man sich. Statt jetzt alle neuen Videos bei Youtube anzusehen, sollte man sich die Zeit nehmen und die Langeweile aushalten. Das Gefühl für die eigenen Bedürfnisse, die im Alltagsstress untergegangen sind, kommt von selbst zurück. Und mit ihm eine Idee, wie man sich die zwei Wochen Strandurlaub am für sich sinnvollsten vertreibt.
Langeweile bedeutet nichts anderes, als nicht zu wissen, was man jetzt gerade mit sich anfangen soll. Ist der Job auf Dauer langweilig, sollte man das zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, was im Berufsalltag fehlt, um ihn wieder spannend zu machen. Ist man unterfordert, in der falschen Abteilung, dem falschen Unternehmen oder gleich in der ganz falschen Branche? Die Langeweile kann also durchaus eine Chance sein, zu erkennen, was gerade schief läuft und das dann auch zu ändern.
Die Schweizer Psychologin Verena Kast weist außerdem daraufhin, dass Langeweile bei Kindern auch durch ein Überangebot an Reizen zustande kommen kann. Die Kinder wissen nicht mehr, was sie zuerst tun sollen, weil es so viele Möglichkeiten gibt. Deshalb bringt es dem Kind mehr, wenn die Eltern den Job des Animateurs an den Nagel hängen und sagen: "Dir wird schon etwas einfallen", anstatt ein leicht konsumierbares Bespaßungsprogramm aufzustellen.