Bildungssystem Eltern sorgen sich um ihre Schulkinder

Überfordert die Schule Kinder und Eltern? Wird das Kinderzimmer immer mehr zum zweiten Klassenzimmer? Viele Eltern empfinden das so und sind deshalb vom Schulsystem enttäuscht.

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Zu viel Arbeit, zu viel Druck: Viele Eltern fühlen sich verpflichtet ihren Kindern im großen Umfang zuhause beim Lernen zu helfen. Alleine würde es der Nachwuchs nicht mehr schaffen, fürchten vor allem die Eltern der sozialen Mittelschicht. Quelle: dpa

„Wenn ich sehe, wie die Kinder nach Hause kommen und welchem Druck sie standhalten müssen, da frage ich mich eigentlich immer mehr, muss das eigentlich so sein und wo ist die Kindheit?“ So und ähnlich zitiert die neue Studie "Eltern-Lehrer-Schulerfolg" Eltern zu ihren Erfahrungen, Gedanken und Meinungen rund um das deutsche Schulsystem.

Im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geht Studie der Frage nach, wie Eltern den Schulerfolg ihrer Kinder beeinflussen und welche Konsequenzen dies für Familie und Lehrer hat. In insgesamt 255 mehrstündigen Interviews mit Lehrern sowie mit Müttern und Vätern aus verschiedenen sozialen Milieus mit und ohne Migrationshintergrund ergibt sich ein recht klares – wenn auch differenziertes – Bild.

Das Verhältnis von Eltern zur Schule hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert, so das erste Ergebnis – und das nicht zum Guten: Nahezu alle Eltern beklagen sich über das Schulsystem. Das Familienleben wird aus Sicht der Eltern durch den gestiegenen Leistungsdruck beeinträchtigt. Ein Grund: Eltern fühlen sich für den Schulerfolg ihrer Kinder zunehmend verantwortlich. Die Besonderheit: Diese Entwicklung beschränkt sich nicht auf eine bestimmte Gruppe sondern gilt für Eltern aller Milieus und auch für diejenigen mit Migrationshintergrund.

Zusatzunterricht zuhause

Eltern in der Mitte der Gesellschaft nehmen die Förderung ihrer Kinder selbst in die Hand. Mit „häuslichem Zusatzunterricht“ versuchen sie, ihre Kinder auf einem guten Leistungsniveau zu halten. Dazu gehören vor allem traditionelle Übungsmethoden, wie die Rekapitulation des Lernstoffs oder das Abfragen. Außerdem erarbeiten Eltern mit ihren Zöglingen bestimmte Stoffinhalte oder vermitteln ihnen sogar noch Neues. Und das obwohl empirische Untersuchungen feststellen, „dass bei der überwiegenden Mehrzahl der Familien die Qualität der Hausaufgabenbetreuung durch die Eltern suboptimal ist“, so Studienautorin Christine Henry-Huthmacher.

Derweil haben Eltern aus den unteren sozialen Milieus diese Möglichkeit häufig gar nicht. Ihnen fehlen zumeist die Zeit, aber auch die kulturellen, sozialen oder sprachlichen Grundbedingungen, um diese Rolle auszufüllen. Die Folge: Die viel beklagte Bildungskluft verstärkt sich noch.

Elternangst: Ohne Abitur hat mein Kind keine Chance

Wie die Studie zeigt, sind vor allem Eltern aus der sozialen Mittelschicht der Meinung, dass ihre Kinder ohne Abitur schlechte bis kaum Chancen auf eine gute Berufsausbildung haben werden. Quelle: dpa

Eltern sei die Bedeutung der Bildung ihrer Kinder für den späteren Lebens- und Berufsweg ebenso bewusst wie die Tendenz zur Höherqualifizierung. Dies gilt für Eltern aller Milieus und auch für diejenigen mit Migrationshintergrund, heißt es in der Studie. Kein Wunder also, dass sich Eltern – wie hier aus der Studie zitiert –für ihre Kinder den höchstmöglichen Abschluss wünschen: „Also, wenn man kein Abi hat, dann hat man es heute schon ganz schön schwer und ich glaube, das wird auch noch zunehmen bei der Berufswahl oder Ausbildungsplatz“, zitiert die Studie ein Elternteil.

Vor allem die Eltern in der Mitte der Gesellschaft setzen auf das Abitur als einzigen Bildungsmaßstab. In den unteren sozialen Milieus werden hingegen geringere Anforderungen gestellt, da Schule hier eher als Vermittlerin von Grundkenntnissen für die später folgende praktische Berufsausbildung gesehen wird.

Unzufrieden mit der Schule scheinen aber alle Eltern zu sein, egal in welchen Verhältnissen sie leben. Die Mehrheit der Eltern will die Persönlichkeit des eigenen Kindes stärken und es individuell gefördert sehen. Die Schule, die in den Augen der Eltern eher eine „Lernstoffvermittlungsagentur“ sei, so die Studie, würde auf diese Wünsche nicht eingehen.

Nur die Leistung zählt

Eltern befürchten eine Ausrichtung rein auf Leistung, die der Persönlichkeit des eigenen Nachwuchses schade: „Wenn ich sehe, wie die Kinder nach Hause kommen und welchem Druck sie standhalten müssen, da frage ich mich eigentlich immer mehr, muss das eigentlich so sein und wo ist die Kindheit?“ fragt etwa ein Elternteil. „Der Wunsch nach Förderung von Potenzialen wird zunehmend durch ein Fördern von Leistung in der Schule zurückgedrängt“, ergänzt die Autorin.

Die Folge für die Eltern: Sie sind in der Position ihre Kinder zu mehr Leistung anzutreiben, obwohl ihnen selbst nicht klar ist, wie sie das umsetzen sollen. Dort entsteht dann der Unmut vieler Väter und Mütter: Durch Aussagen von Lehrern wie „Sie müssen mit Ihrem Kind täglich üben – sonst hat es keine Chance!“ oder „Sie sollten die Hausaufgaben täglich überprüfen – das müssen Sie schon tun!“ fühlen sich Eltern für den Schulerfolg ihrer Kinder zunehmend verantwortlich. Sie haben das Gefühl von den Lehrern dazu gedrängt zu werden, einen Teil der schulischen Arbeit zu übernehmen.

Das trifft vor allem auf Eltern aus der Mitte der Gesellschaft zu, so die Studie. Für sie setzt eine gute Note ihres Kindes mittlerweile voraus, dass die Kinder sich zusätzlichen Stoff aneignen – und das geht zumeist nur durch Hilfe aus der Familie oder eines Nachhilfelehrers.

Während Eltern der sozialen Mitte das Üben dann häufig selbst in die Hand nehmen, bleiben Kinder am unteren Rand häufig auf sich alleine gestellt. Eltern sehen hier zumeist die Verantwortung weiterhin bei der Schule ohne eigene Konsequenzen zu ziehen, heißt es in der Studie.

Die Hauptschule als Verliererschule

Zeugnisnoten Quelle: dpa

Viele der jüngsten Veränderungen im Schulsystem treffen zudem auf eine große Ablehnung der Eltern. Ob die Verkürzung des Gymnasiums auf acht Schuljahre (G8) oder die Zusammenlegung von Real- und Hauptschulen – die Elternschaft hat Angst vor den negativen Konsequenzen für ihre Kinder. Für Eltern von Gymnasiasten, die jetzt in nur noch acht Jahren zum Abitur gelangen werden, steht bei dieser Reform das Leistungsprinzip im Vordergrund, das den Schülern keinen Spielraum lasse, Aktivitäten abseits der Schule zu leben. Von „komprimierten Lernen mit hoher Notenfixierung“ spricht Henry-Huthmacher.

Für Eltern aus anderen sozialen Milieus als der Mitte heißt das in der Konsequenz eine andere Schulart für ihr Kind zu wählen. Eltern der sozialen Mitte fällt das allerdings schwer.

Die Zusammenlegung von Haupt- und Realschule zur sogenannten Mittelschule kommt bei den Eltern nicht gut an. Schon jetzt nehmen Eltern von Hauptschülern die Entwicklung wahr, dass die Hauptschule immer mehr als Verliererschule gilt. „Ja, also, das System, das finde ich nicht gut. Okay, die tun halt die Eliteschüler herauspicken, das ist wahrscheinlich das Ziel an der ganzen Geschichte. Und der Rest fällt aber alles hinten unter“, so ein Elternteil im Interview zur Studie.

Leistungsprobleme und Erziehungsprobleme

Gilt die Hauptschule bei Eltern bereits als Verliererschule, überrascht es nicht, dass auch die zukünftige Mittelschule ein Stück dieses Rufs mit sich zieht. Zudem kritisieren vor allem Eltern der sozialen Mittelschicht, dass diese Schulform ihr Kind in den Berufschancen beschränken könnte. Der Grund dafür liegt in dem Gefühl, dass das Schulsystem undurchlässiger geworden ist. Der Wechsel der Schulform ist insbesondere durch G8 nicht mehr so einfach, wie er es früher war. Besonders für die Eltern der Mitte ein Grund, für ihre Kinder als Schulform direkt das Gymnasium zu wählen, um das Abitur auf direkten Wege zu erreichen.

„Die Bildungsdiskussion der vergangenen Jahre hat bei den Eltern in der Mitte zu einer Fokussierung auf das Abitur geführt“, schreibt Henry-Huthmacher dazu in ihrem Fazit. Währenddessen sei sie in den unteren sozialen Schichten allerdings nur bedingt angekommen. Dadurch ist die Bildungskluft auch weiterhin ein zentrales Thema: „Die soziale Lage und Bildungsnähe der Eltern, ihre Unterstützungsmöglichkeiten und ihre Unterstützungsbereitschaft entscheiden in hohem Maße darüber, welche Schulart ihr Kind besuchen wird und welchen Abschluss es erreichen kann“, so die Autorin.

Dabei dürfte in den nächsten Jahren ganz zentral diskutiert werden, wie der Wunsch der Eltern nach einer glücklichen Kindheit mit einem leistungsorientierten Schulsystem vereinbart werden kann. Zudem wird sich ein weiteres Problem immer mehr auftun, so das Fazit der Studie, da eine heterogene, kulturell vielfältige Schüler- und Elternschaft auch die Lehrer vor veränderte Verhältnisse stellt. Die Konsequenz: „Während ein großer Teil der Schüler an Gymnasien phasenweise Leistungsprobleme hat, stehen in den anderen Schularten vor allem Erziehungsprobleme im Vordergrund, für die Lehrer nicht ausgebildet sind.“

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