PISA-Aufsteiger Deutschland Die Streber-Republik

Deutschland verbessert sich erneut im internationalen Bildungsranking der OECD. Die Ergebnisse des Schulleistungsvergleichs belegen damit auch, wie reformfähig das Land ist.

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In diesen Ländern gibt es die besten Mathematik-Schüler
Norwegen liegt mit 489 Punkten im Bereich Mathematik auf dem 30. Platz und damit knapp vor ... Quelle: dpa
... dem Großherzogtum Luxemburg mit 490 Punkten. Land liegt damit unter dem OECD-Durchschnitt, allerdings verbesserten sich die Luxemburger Schüler auch im Vergleich zu 2009. Eine Besonderheit gibt es allerdings: Die 15- bis 16-jährigen Schüler schneiden um 25 Prozent besser ab als ihre Mitschülerinnen - das sind die größten geschlechterspezifischen Unterschiede der OECD. Quelle: dpa
Lettland reiht sich mit 491 Punkten auf Platz 28 an. In dem baltischen Staat hat allerdings im Vergleich zum vergangenen Testzeitraum die Chancengleichheit abgenommen. Quelle: dpa
Mit Island und seinen 493 Punkten reiht sich der zweite nordische Staat unter die Top30. Das Land gehört allerdings zu den Verlierern im Test und verliert im Vergleich zu 2009 14 Punkte. Quelle: dapd
Genau im Durchschnitt der untersuchten Länder liegt mit 494 Punkten das Vereinigte Königreich Großbritannien. Quelle: REUTERS
Frankreich reicht sich mit 495 Punkten auf Platz 25 ein. Allerdings ist auffällig, dass die Franzosen im Bereich Chancengleichheit und Leistungsunterschiede besonders schlecht dastehen. Quelle: dpa
Die Tschechische Republik hat mit 499 Punkten einen leichten Abwärtstrend im Fach Mathematik zu verzeichnen, besonders schlecht werden die Leistungsunterschiede beurteilt. Quelle: dpa

Nein, die Zeit des "Schocks" sei vorbei, meint Barbara Ischinger. Das Wort müsse nun endgültig durch den Begriff "Fortschritt" ersetzt werden, erklärt die Bildungsdirektorin der OECD vor der Hauptstadtpresse in Berlin. Deutschland habe sich bei den neusten Ergebnissen des "Programme for International Student Assessment" (PISA) in allen drei Wissensbereichen verbessert. In den Kompetenzen Lesen, Rechnen und Naturwissenschaften spielten die deutschen Schüler nun wieder im oberen Mittelfeld mit. Das sei "keine Revolution", aber eine erfreuliche "Kontinuität der kleinen Schritte".

Ischinger freut sich und mit ihr die drei Anwesenden auf dem Podium, darunter die Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU). Deutschland liegt in dem Fach Mathematik, das bei der diesjährigen Studie den Schwerpunkt der Untersuchung bildete, mit 514 Punkten sogar „signifikant“ besser als der OECD-Durchschnitt, heißt es. Zudem sei es gelungen, den Anteil besonders schwacher Schüler von knapp 22 auf 18 Prozent zu verringern, und damit also "deutlich" zu verringern. Deutschland wird klüger und gerechter - ein bisschen zumindest.

Die PISA-Ergebnisse zeigen, was sich in jüngster Zeit verändert hat. Deutsche Schüler hinterlassen im internationalen Maßstab wieder einen besseren Eindruck. Die Ergebnisse sagen aber noch mehr über diejenigen aus, die in Deutschland über die Zukunft der Bildungsrepublik entscheiden. Seit Jahren verbessern sich die PISA-Werte der deutschen Schüler kontinuierlich. Deutschland ist gar das einzige Land unter den 65 weltweit getesteten Ländern, das jedes Jahr seine Punktezahlen in allen drei Wissensgebieten erhöhen konnte - manchmal nur minimal, aber immerhin. Deutschland macht als Streber-Republik von sich reden.

Die Maßnahmen nach dem PISA-Schock haben gegriffen

 

Die Länder mit den glücklichsten Schülern
Blick auf die isländische Hauptstadt Reykjavik Quelle: dpa
KasachstanDas zentralasiatische Steppenland steht nicht gerade für ein leistungsfähiges Schulsystem. Bei der Lesekompetenz schneiden die 15-jährigen Kasachen miserabel schlecht ab, untertroffen nur von Katar und Peru.  Doch sie sind umso glücklicher in ihren Schulen. Quelle: REUTERS
Eine Schülerin tanzt auf einer Parade am Independence Day in San Jose Quelle: REUTERS
Eine Frau schwenkt die Nationalflagge Mexikos Quelle: dapd
Schüler in Malaysia Quelle: dpa
Schüler in Kolumbien Quelle: dpa
Schüler in Thailand Quelle: dpa

Die gesammelten PISA-Studien zeigen damit einmal mehr die Geisteshaltung deutscher Bildungsexperten: Probleme werden analysiert, Optionen diskutiert und Maßnahmen ergriffen. Im neunzehnten und Anfang des zwanzigsten Jahrhundert galten Deutsches Kaiserreich und Weimarer Republik als Brutstätten innovativer Schulsysteme. Hier entstanden anthroposophische Schulformen wie Waldorf und ganzheitliche Erziehungsinstitutionen wie Jenaplan. Der PISA-Schock 2000 rüttelte am deutschen Selbstverständnis einer leistungsorientierten Bildungsrepublik. Politik und Gesellschaft begriffen die Test-Ergebnisse der OECD daher als Schande. Eine führende Industrienation, die die klügsten Köpfe ihr eigen nennt, musste plötzlich erkennen, dass sie bildungspolitisch nur zum Mittelmaß zählte - und zum Teil nicht einmal das. Die OECD kritisierte damals vor allem eklatante Schwächen in der Lese-Kompetenz.

Inzwischen hat sich Deutschland aus der Schockstarre befreit. 2000 stand die empirische Bildungsforschung noch am Anfang, heute ist sie wichtiger Bestandteil der Politik. Die Entscheidungsträger setzten Bildungsstandards durch, ließen vergleichende Studien auch unter den Bundesländern zu, förderten die Lesekompetenz und Schüler aus bildungsfernen Schichten. Zudem begann ein schleichender Prozess des Aufbaus von Ganztagsschulen. Der Bund stieg ebenfalls in die Finanzierung ein.

Die Maßnahmen haben gegriffen. Heute steht Deutschland nicht nur besser da als der OECD-Durchschnitt, sondern auch besser als der Durchschnitt in Europa. Vor allem die Niederlande, die Schweiz, Finnland und Estland gelten auf dem Kontinent noch als Maß aller Dinge. Im Vergleich mit den großen Nachbarn wie Frankreich, Großbritannien und Italien zeigen die deutschen Schüler aber zum Teil deutlich bessere Kompetenzen in allen Bereichen.

Noch sind die Werte natürlich alles andere als zufriedenstellend. Deutschland gehört noch nicht zur internationalen Spitzenklasse. Vor allem die asiatischen Schüler sind den deutschen Pennälern zum Teil mehrere Schuljahre voraus.

Zudem kritisieren einige Bildungsexperten wie Volker Ladenthin überhaupt den Sinn von PISA und sehen unser Bildungssystem dadurch "in Gefahr". Lässt man PISA aber gelten und betrachtet die langfristige Entwicklung der einzelner Länder, so hat sich Deutschland wieder als Musterknabe bewiesen.

In gewisser Weise zeigt PISA auch die Reformstärke Deutschlands.

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