Satz für Satz wächst das Werk. Absatz um Absatz, Seite um Seite kommt man dem Ziel näher: dem Schlusswort. Die Quellen sind sorgfältig recherchiert, man ist zufrieden mit der eigenen Leistung und dem eigenen Fazit. Aber trotzdem bleibt ein ungutes Gefühl: Habe ich wirklich alles richtig gemacht? Vor allem: Ist der "akademische Apparat", also die Anmerkungen in den Fußnoten, korrekt?
Manch einer wird nervös beim Blick auf jeden Absatz, der keine Fußnote enthält: Sind das wirklich meine eigenen Gedanken? Oder hatte ich das vielleicht doch schon irgendwo gelesen? Oder wenn nun ein anderer genau dieselbe Schlussfolgerung auch gezogen hat? Die leichte Nervosität steigert sich zur Angst. Was tun? Satz für Satz die Arbeit durch Google jagen? Eine Plagiatssoftware testen? Sämtliche Bücher noch einmal wälzen? Oder ist das alles Quatsch?
Ganz klar nein, sagt Andrea Bausch, Schreibberaterin der Universität Bayreuth. In ihren Beratungen und Workshops zum wissenschaftlichen Schreiben sei die Angst vor dem Plagiat seit der Affäre Guttenberg verstärkt Thema. "Die Studierenden fragen besorgt nach, ab wann es denn ein Plagiat sei und was sie denn alles zitieren müssten. Und sie fragen das nicht, weil sie möglichst elegant plagiieren möchten, sondern weil sie Angst haben, aus Versehen ein Plagiat zu produzieren", so Bausch. Genauso beobachten es Christine Braun von der Schreibberatung der Uni Regensburg: "Auf jeden Fall ist die Furcht, unbeabsichtigt ein Plagiat zu begehen, bei den Studierenden sehr hoch. Sie sind verunsichert."
So zitieren Sie richtig!
Ein direktes Zitat ist wortwörtlich. Es muss in Anführungszeichen gesetzt werden. Man sollte direkte Zitate nicht zu häufig verwenden, sondern nur, wenn sie griffig und gut formuliert sind. Danach zum eigenen, akademischen Schreibstil zurückkehren.
(Quelle: Esther Breuer, Leiterin des Kompetenzzentrums Schreiben an der Kölner Universität im www.ksta.de)
Bei einem indirekten Zitat gibt man die Gedanken eines Anderen wieder. Unbedingt die Quelle nennen. Man sollte versuchen, eigene Formulierungen zu verwenden.
Es sollten immer auch Gegenstimmen mit einbezogen werden.
Mit den wissenschaftlichen Texten sollte man kritisch umgehen: Nur durch die aktive Auseinandersetzung mit den Positionen Anderer kann sich die Wissenschaft weiterentwickeln.
Es ist wichtig, die eigenen Gedanken von denen der anderen klar abzugrenzen, damit sich Eigen- und Fremdleistung für den Leser nachvollziehen lassen.
Doch woher genau rührt diese Angst? Plagiate sind kein neues Phänomen - das zeigen auch die enttarnten Kopiearbeiten der Politiker, denn die liegen schon Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück.
Die drei nützlichsten Programme zum Aufspüren von Plagiaten
Platz 1 im Test machte die Software PlagAware. Das Programm bekam allerdings auch nur die Note 3,3. Preislich schlägt das Programm mit maximal 15 Euro zu Buche. Für Hochschulen ist PlagAware aber nur mäßig nützlich, weil jeder Text einzeln hochgeladen werden muss.
Turnitin ist eine in den USA recht weit verbreitete Software. Die Berliner Experten von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin gaben dem Programm aber nur die Note vier. Damit erreicht Turnitin Platz zwei im Ranking. Der Preis hängt von der Anzahl der Studierenden ab.
Platz drei geht an die Software Ephorus. In puncto Benutzerfreundlichkeit hat die Software nach einer Überarbeitung Rang zwei erhalten. Bei der durchschnittlichen Bewertung gab es nur die Note 4,8.
"Ich glaube, dass Thema Plagiat ist kein neues für Studenten, aber ihr Bewusstsein hat sich durch die öffentliche Diskussion geschärft", sagt die Schreibberaterin der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität Monika Beck. Die Germanistin hält an der Hochschule regelmäßig Vorträge, bietet Schreibkurse an und berät Studenten.
Mängel bei der wissenschaftlichen Vorbereitung?
Studenten hätten die Regeln in den ersten Semestern durchaus gelernt, so Beck, etwa in Tutorien und Vorlesungen, vielen falle aber am Ende, wenn es denn ernst wird, die praktische Umsetzung schwer. Dann komme häufiger die Aussage "Ich habe das gar nicht richtig gelernt." Hohe Fehlerquoten beim Zitieren, viele Nachfragen und ängstliche Studenten zeigen: Die Lehre scheint nicht ausreichend auf das wissenschaftliche Schreiben vorzubereiten. Nicht eine Anleitung zu Zitiertechniken oder Fußnoten fehle, sondern die Heranführung an die Wissenschaft an sich. Anders lassen sich viele Fragen von Studierenden nicht erklären. Wie etwa ein Forumseintrag auf studis-online von einer gewissen Greggoria zeigt: "Was ist aber, wenn man jetzt etwas schreiben möchte dass man sich selbst logisch erschlossen hat und es so auch höchstwahrscheinlich stimmt? Kann man das dann einfach so ohne Quelle aufschreiben oder muss man wirklich alles mit fremden Quellen belegen? Habe da Angst, dass jetzt meine Behauptungen als Plagiat abgestempelt werden, falls jemand anderes meine Behauptung schon veröffentlicht hat."
Zehn Grundregeln zum wissenschaftlichen Schreiben
Wählen Sie ein Thema, das Sie interessiert. Finden Sie Fragen, die Sie gern beantworten möchten und auch können. Tauschen Sie sich von Anfang an mit Bekannten darüber aus, egal ob diese Experten sind oder nicht.
(Quelle: Kompetenzzentrum Schreiben der Universität Köln)
Sprechen Sie Ihr Thema mit Ihrer Dozentin/Ihrem Dozenten in einer Sprechstunde ab. Machen Sie sich vorher einen Notizzettel, auf dem steht, was Sie erfahren möchten. Verlassen Sie die Sprechstunde erst, wenn Sie alle Fragen geklärt haben.
Machen Sie sich einen Zeitplan mit Start- und Enddatum. Planen Sie dabei auch Erholungsphasen ein und belohnen Sie sich nach den getanen Arbeitsschritten.
Überlegen Sie vor der Bibliographie, welche Aspekte für Ihre Aufgabe wichtig sind und suchen Sie danach die Literatur. Die bibliographische Liste sollten Sie mit Ihrer Dozentin/Ihrem Dozenten absprechen, da sie/er Sie auf weitere, wichtige Texte aufmerksam machen kann.
Entwickeln Sie einen roten Faden für die Arbeit (z.B. anhand von Leitfragen), bevor Sie anfangen zu schreiben. Malen Sie diesen auf und hängen Sie ihn vor Ihren Schreibtisch, damit Sie ihn nie aus den Augen verlieren.
Stellen Sie anhand dieses roten Fadens eine Gliederung auf und besprechen Sie diese mit Ihrer Dozentin/Ihrem Dozenten.
Arbeiten Sie von Anfang an organisiert. Halten Sie neue Ideen, Fragen und relevante Auszüge aus der vorhandenen Literatur schriftlich fest. Sie sparen sich so viel Zeit.
Beginnen Sie mit dem Hauptteil. Schreiben Sie einen zusammenhängenden Text. Die Inhalte müssen aufeinander aufbauen. Einleitung und Schluss ergeben sich hieraus.
Schreiben Sie klar und präzise. Nur so können Sie Erkenntnisse vermitteln. Schreiben Sie grammatikalisch und orthographisch korrekt und lesen Sie mehrmals Korrektur. Fragen Sie auch Freunde, ob die Sie bei dieser Arbeit unterstützen können.
Halten Sie die von Ihrem Institut vorgegebenen Richtlinien ein. Viele Institute haben Leitfäden, die Sie in den Sekretariaten erhalten oder im Internet downloaden können.
Grund für die Unsicherheit: Zitieren wird häufig eher formal in Einführungsveranstaltungen thematisiert, wenn Studierende noch keine Seminararbeiten schreiben. "Sie können die Information noch nicht einordnen", sagt Christine Braun von der Schreibberatung der Uni Regensburg. "Es sollte gezielte Übungen zu Zusammenfassungen, Paraphrasen und Kommentierung in den Fächern geben, auch sollte ganz intensiv diskutiert werden, warum wie zitiert wird." Die formalen Regeln erlerne man schnell, wenn man wisse, was man warum machen möchte.
In Fächern wie Geschichte, Soziologie oder Germanistik sei das Problem des falschen Zitierens deutlich seltener, da Studenten dieser Fächer sich viel häufiger mit Quellenkritik auseinandersetzen, sagt Beck. In anderen Fächern seien diese Probleme dann aber größer.
So etwa in Fächern wie Ingenieurswissenschaften, Betriebswirtschaftslehre oder etwa Architektur. In letzterem Studiengang machte die 23-jährige Laura Wagner (Name geändert) die Erfahrung, wie mangelhaft die wissenschaftliche Vorbereitung im Studium sein kann: Als sie mit ihrer Bachelorarbeit begann, lag die letzte schriftliche Arbeit schon Jahre zurück. "Zitiert habe ich das letzte Mal im Abitur", so die Architekturstudentin. Von ihrem Professor an der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe habe sie lediglich eine kurze PDF bekommen. "Darin stand das Gröbste noch einmal drin. Vor allem wie Quellen angegeben werden." Als jedoch ihre Schwester - Geschichtsstudentin - einen Blick auf die fertigen Kapitel warf, wurde einiges korrigiert. "Da die meisten Abschlussarbeiten im Studiengang Architektur nicht schriftlich sind, ist das Zitieren generell nicht so wichtig bei uns, aber bei schriftlichen Arbeiten achten die Professoren schon drauf." In anderen Fächern sei es wahrscheinlich wichtiger, mutmaßt die Studentin.
Aber nicht nur in 'schriftarmen' Fächern begegnen viele Studierende erst mit der Abschlussarbeit der Hürde des wissenschaftlichen Schreibens. Manche Studienordnung geben den Studenten zudem die Möglichkeit gezieltes wissenschaftliches Arbeiten einfach zu umgehen: "Ich habe häufiger Studenten in der Schreibberatung sitzen, die sich häufig durchgemogelt haben, weil sie beispielsweise für Studienarbeiten nur Referate gehalten oder kurze Essays geschrieben haben", sagt Beck. Diese hätten dann bei der Abschlussarbeit häufig große Probleme.
Ähnlich sieht es auch Bausch von der Uni Bayreuth: "Ich denke, sie sind deshalb unsicher, weil sie sich oft noch gar keine Gedanken darüber gemacht haben, wofür das Zitieren eigentlich gut sein soll. Außerdem ist das gesamte Handwerkszeug rund ums Zitieren für die meisten neu und erscheint zunächst umständlich - und es fehlt ganz oft die Übung im kritischen Lesen wissenschaftlicher Texte und natürlich im Schreiben von eigenen Texten.“ Braun von der Uni Regensburg spricht sogar von "massiven Schreibhemmungen", die manche Studenten aus Angst vor unfreiwilligen Plagiaten entwickelten. "Sie gehen davon aus, dass sie alles, was sie wissen, aufgrund von Texten anderer erlernen oder entwickeln. Daher können sie nicht klar und selbstbewusst zwischen eigenen Gedanken und den Gedanken anderer unterscheiden. Wo beginnt ein Kommentar?"
Wege aus der Paranoia
Die einzige Rettung vor der Plagiatsparanoia ist daher wohl eine gute wissenschaftliche Ausbildung. Dazu gehört vor allem der kritische Umgang mit Sekundärliteratur und schriftlichen Quellen. Und dazu gehört das Schreiben eigener Texte, an denen die Technik wissenschaftlichen Arbeitens unter Anleitung erprobt wird. Es reicht jedenfalls nicht, den Studenten ein Buch über Zitiertechniken zu empfehlen, um zu verstehen was wissenschaftliches Arbeiten heißt.
Wissenschaftsberaterin Natascha Miljković hält die bisherigen Maßnahmen der Hochschulen – etwa durch Einführung von Plagiatssoftware und Erneuerung ihrer „Richtlinien guter wissenschaftlicher Praxis“ – nicht für ausreichend. „Als präventive Plagiatsprüferin stelle ich fest – diese Umsetzungen alleine nützen so nicht viel“, so Miljković. „Wissenschaftliches Schreiben muss man einüben!“ Verhindern könne man jedoch ein „Zuviel an fehlenden Zitaten“, indem man Studierende schon während des Studiums schreiben lasse und ihnen entsprechende Rückmeldung gebe. „Studierenden muss aufgezeigt werden, warum man zitieren muss“, so Miljković. „Das wird häufig nicht verstanden, da man fast ausschließlich lehrt, wie man zitieren soll.“
Andrea Bausch versucht ihren Kunden in der Schreibberatung „zu erklären, dass so gut wie jedes Thema, das die Studierenden bearbeiten, eine lange wissenschaftliche Vorgeschichte hat, weswegen sie in ihren Hausarbeiten auch nicht bei null beginnen müssen“, so Bausch. Diese Vorgeschichte vergleicht sie mit einem Flickenteppich: „Da gibt es ältere und neuere Flicken, größere und kleinere – will heißen: Es gibt ältere und neuere Forschung zu dem Thema, es gibt einerseits bedeutsame, gesicherte, tragfähige Erkenntnisse und andererseits noch ungesichertes Wissen, Hypothesen oder Diskussionsbeiträge.“ Sie mache den Studierenden dann klar, dass sie in ihren Arbeiten die Flicken nutzen müssen – wie ausführlich, das hänge von der Art der Arbeit ab. Und ganz wichtig: „Ich versuche zu vermitteln, dass die Studierenden mit ihren Arbeiten diesem Flickenteppich spätestens ab der Bachelorarbeit, garantiert aber ab der Masterarbeit, auch selbst einen kleinen Teil hinzufügen.“ Außerdem lasse sie Studierende in anderen Texten selbst nach absichtlich eingebauten Plagiaten suchen. „Und: Die Studierenden finden in der Regel die Plagiate!“, so Bausch.
Schreibberaterin Christine Braun empfiehlt Studenten, Ausschnitte aus fremden Texten zu lesen und herauszufinden, was daran eine Eigenleistung des Autors ist, und wie er zitiert. In der Beratung selbst arbeitet sie dann – wie auch ihre Kolleginnen – konkret an den mitgebrachten Texten. Monika Beck nimmt den Studenten, die sich vor dem „versehentlichen Plagiat“ fürchten, die Angst: „Wenn Prüfer eine Abschlussarbeit lesen, geht es darum, dass der Student das Prinzip verstanden hat.“ Wer die Grundlagen beherrscht und selbst formuliert, aber auch sicher mit den Zitiertechniken umgeht, der müsse sich keine Sorgen machen, so die Schreibberaterin. Wer in seiner Arbeit einen eigenen Gedanken aufschreibt, den zufälligerweise bereits ein anderer in einem Buch veröffentlichte, muss den Plagiatsvorwurf nicht fürchten. Wenn die entsprechende Passage selbst formuliert wurde, wird der Gedanke nicht als absichtliches Plagiat gewertet werden. „Der Dozent erkennt schon, ob der Text selbst formuliert ist."