„Studiere Zukunft! Studiere humanoide Robotik!“ Damit wirbt die Berliner Beuth Hochschule für Technik auf Youtube für ihren neuen Studiengang. Noch ist die Zahl an Universitäten, an denen Schul- oder Bachelorabsolventen Fächer mit Bezug zu Künstlicher Intelligenz studieren können, überschaubar. Wissenschaftler sind sich zwar in ihrem Lamento einig, dass Deutschland bei den sogenannten Zukunftstechnologien im internationalen Vergleich unzureichend aufgestellt ist. An den Unis herrscht dennoch Aufbruchstimmung. Neue Institute und Forschungsverbünde schießen förmlich aus der Landkarte. Andere mit altehrwürdigen naturwissenschaftlichen Fakultäten erweitern die Angebote ihrer Informatik-Institute und rekrutieren neues Lehrpersonal für Lerninhalte rund um KI.
Die Technische Universität München (TUM) etwa hat jüngst den interdisziplinären Masterstudiengang „Robotics, Cognition, Intelligence“ eingeführt. Der Studiengang vereint Lehrinhalte aus Maschinenbau, Elektrotechnik und Informatik. Die TUM eröffnete parallel dazu im Oktober 2018 die Munich School of Robotics and Machine Intelligence (MSRM), wo interdisziplinär an der Arbeit der Zukunft, Gesundheitstechnologie und Mobilität geforscht wird. Ihr Gründungsdirektor Sami Haddadin wurde kürzlich mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet.
In Nordrhein-Westfalen eröffnete Anfang dieses Jahres an der Bergischen Universität Wuppertal das vom Land geförderte interdisziplinäre Zentrum „Machine Learning and Data Analytics“. Die älteste Institution dieser Art besteht bereits mehr als 30 Jahre - das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) mit den Standorten Kaiserslautern, Saarbrücken und Bremen sowie einem Büro in Berlin und weiteren, kleineren Dependancen.
Die Universität Tübingen hat die Angebote des Instituts für Informatik stark erweitert. In den Fachbereich fallen mittlerweile Medieninformatik, Medizininformatik, Bioinformatik, Kognitionswissenschaft und Computerlinguistik – letztere gehört zur Sprachwissenschaft und ist sogar in der Philosophischen Fakultät angesiedelt. Zum Wintersemester 2019/20 startet die Uni Tübingen zusätzlich den internationalen Masterstudiengang Maschinelles Lernen. „Unseres Wissens ist das der erste Studiengang dieser Art“, sagt Pressesprecherin Antje Karbe.
Eine Auswahl weiterer Universitäten und ihren KI-relevanten Studiengängen finden Sie nachfolgend in den grauen, ausklappbaren Infokästen:
Bachelorstudiengänge mit KI-Bezug
Der Bachelor-Studiengang Data Science dauert sechs Semester. In den ersten beiden Semestern werden Grundlagen vermittelt: Data Science Mathematik, theoretische und praktische Informatik. Ab dem 5. Semester wählen die Studierenden ihren individuellen Schwerpunkt.
Auch Marburg legt beim Bachelor Data Science Wert auf eine Grundausbildung in Mathematik und Statistik sowie Informatik. Spätere Schwerpunkte können Softwareentwicklung, skalierbares Datenmanagement, maschinelles Lernen und statistische Analyse, sowie angewandte Mathematik sein.
An der Uni Göttingen werden ebenfalls Kenntnisse der Datenanalyse und Techniken zum Verarbeiten von großen, unstrukturierten Datenmengen vermittelt. Als Anwendungsfächer können Studierende zwischen Wirtschaft, Biologie, digitalen Geisteswissenschaften sowie medizinischer Informatik wählen. Laut Website sind weitere Anwendungsfächer in Vorbereitung.
Die TH Ostwestfalen-Lippe bietet Data Science als duales Studium an. Dort ist das Fach zentraler Forschungsgegenstand der auf dem Hochschulcampus in Lemgo angesiedelten Forschungseinrichtungen, dem Institut für industrielle Informationstechnik (inIT), dem Centrum Industrial IT (CIIT), dem Fraunhofer IOSB-INA und in der SmartfactoryOWL, einer gemeinsamen Initiative der Fraunhofer-Gesellschaft und der TH Ostwestfalen-Lippe. Die TH OWL stellt heraus, dass Studierende auf dem vergleichsweise kleinen Campus individuell betreut und gefördert werden könnten.
Die Hochschule der Medien in Stuttgart bietet einen Bachelor in Medieninformatik an. Dieser Studiengang existiert schon seit Jahren, hat jedoch den Aspekt Künstliche Intelligenz in den Lehrplan mit aufgenommen. Im Grundstudium vermittelt das Studium informationstechnische und mathematische Grundlagen sowie Programmiererfahrungen. Im Hauptstudium wählen die Studierenden aus verschiedenen Schwerpunkten der Informatik aus. Einer davon ist Künstliche Intelligenz.
Humanoide Robotik heißt das Studienfach, das die Berliner Beuth-Hochschule anbietet und das mit einem Bachelor of Engineering abgeschlossen wird. Studierende lernen, wie man Roboter mechanisch konstruiert und fertigt, wie man elektronische Schaltungen entwickelt und wie man Sensoren auswertet und Motoren ansteuert. Darüber hinaus geht es natürlich darum, das Verhalten und die Lernfähigkeit von Robotern zu programmieren. Neben Technik verspricht die Hochschule auch, in dem Studiengang ethische, rechtliche und soziale Aspekte der humanoiden Robotik zu behandeln.
Zum kommenden Wintersemester will auch die Hochschule Karlsruhe mitmischen: Im Bachelorstudiengang Data Science stehen neben Datenverarbeitung neue Datenbanktechnologien und Grundlagen und Techniken des maschinellen Lernens, der Künstlichen Intelligenz und der damit verbundenen Anwendungen in Industrie auf dem Lehrplan.
Im Wintersemester 2019/20 startet auch an der Technischen Hochschule Deggendorf ein Bachelorstudiengang „Künstliche Intelligenz“. In sieben Semestern erhalten Studierende eine „Einführung in die KI“, absolvieren zwei Programmier-Module „Computational Logic“ und „KI-Programmierung“ und entwerfen intelligente Dialogsysteme. Die Themen autonomes Fahren und Robotik bildet das Studium mit „Bildverstehen“, „Autonome Robotik“ sowie „RoboCup“ ab. In den Studienmodulen „Maschinelles Lernen“ und „Deep Learning“ geht es um Big Data. „Human Factors und Mensch-Maschine Interaktion“ bewegt sich schließlich an der Mensch-Maschine-Schnittstelle.
Die Zahl der Studierenden sei in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen; derzeit seien allein im Fachbereich Informatik der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät rund 1600 Studierende eingeschrieben. „Die Zahlen explodieren“, sagt auch Andreas Geiger, Professor für „Learning-based Computer Vision/Autonomous Vision“ in Tübingen. Man könne für den neuen Master nur einen kleinen Teil der Kandidaten zulassen.
Längst hat sich unter Studierenden mit Mathematik- und Informatikinteresse herumgesprochen, dass KI ihnen nahezu alle Türen in interessante und gut bezahlte Jobs öffnen kann. Unternehmen in Deutschland und der Welt buhlen um die besten Köpfe auf diesem weiten Feld. „Die jungen Leute haben mitbekommen, dass es auf diesem Feld extremen Nachwuchsmangel gibt. Für unsere Abgänger ist es unglaublich einfach, gut bezahlte Jobs zu finden. Die werden quasi von überall her abgeworben“, sagt Geiger.
Masterstudiengänge mit KI-Bezug
Der Master in Data Science setzt einen Bachelor of Science in Statistik oder Informatik sowie sehr gute Englischkenntnisse voraus. Neben den typischen Inhalten des Fachs Data Science geht es in dem Master zum Beispiel um Datensicherheit, Datenvertrauenswürdigkeit und Datenethik. In Kooperation mit Unternehmen aus der Industrie gehen die Studierenden außerdem Probleme aus dem "echten Leben" an.
Auch in Darmstadt heißt der Master Data Science. Die Inhalte sind ähnlich wie bei den anderen Studiengängen gleichen Namens. Die Hochschule lockt Studierende, die Fachrichtung zu wählen, mit der Aussicht auf gute Jobchancen. Experten würden etwa bei Banken und Versicherungen, Handelsunternehmen, Unternehmens- und Organisationsberatungen, Marktforschungsunternehmen, Medien, in der Telekommunikation, im Online-Handel und beim Netzwerkmanagement gesucht, außerdem in der Bio-, Pharma-, Chemie- und Medizinindustrie sowie in der Logistik.
Komplett englischsprachig ist der Master of Data Science an der Uni Mannheim konzipiert. In vier Semestern erwerben Studierende ihren Master und müssen dabei ihr Können in Datenmanagement, Data Mining und Text Mining, Predictive Analytics und Statistik unter Beweis stellen.
Der auf dem Bachelor aufbauende Master of Data Science in Marburg nennt sich projektorientiert. Die Geheimnisse von Data Mining, Algorithmik und Datenmanagement sollen die Studierenden möglichst selbständig erarbeiten. Für den Abschluss ist auch ein mathematischer Schwerpunkt erforderlich – entweder Statistische Datenanalyse (Analytics) oder wissenschaftliches Rechnen (Scientific Computing).
"Data Science" in Potsdam befasst sich mit Methoden für die automatisierte Gewinnung von Wissen, Einsichten, Prognose-, Risiko- und Handlungsmodellen aus Daten. Der englischsprachige Masterstudiengang verbindet maschinelles Lernen, statistische Datenanalyse, naturwissenschaftliche Datenassimilation und Business Analytics.
Auch die TU Chemnitz bietet seit dem vergangenen Wintersemester einen Master in Data Science an. "Insbesondere die Entwicklung des südwestsächsischen Arbeitsmarktes verspricht seinen Absolventen die Aussicht, auch im Chemnitzer Umfeld anspruchsvolle berufliche Tätigkeiten zu finden. Natürlich haben Absolventen des Masterstudiums Data Science durch ihre spezielle Ausbildung gute Chancen auf einen höheren Berufseinstieg in Unternehmen weltweit und die Möglichkeit der weiteren Qualifizierung im Hochschul- und Universitätsbereich", verspricht die TU auf ihrer Website.
Die Universität Bielefeld bietet mit dem Bachelor-Studiengang "Kognitive Informatik", sowie den Masterstudiengängen Intelligent Systems und Data Science drei Optionen mit Schwerpunkt KI, Machine Learning und Robotik an.
Die HDM bietet neben dem Bachelor- auch einen Masterstudiengang an: Computer Science and Media. Laut Website qualifiziert dieser Master of Science für Fach- und Führungsaufgaben in der IT- und Medienbranche. Er richtet sich an Absolventen der Medieninformatik oder vergleichbarer Studiengänge. Die Studierenden erlernen Methoden, Werkzeuge und Strategien, die sie in die Lage versetzen, sich neue Inhalte anzueignen und selbstständig weiterzuentwickeln. Darüber hinaus bereitet der Masterstudiengang Informatikprofis auf managementorientierte Aufgaben vor und öffnet die Tür zur Arbeit in der Forschung.
Klassische Künstliche Intelligenz ist dabei überhaupt kein neues Thema an Universitäten. Trotzdem ist das Phänomen „Intelligenz“ längst nicht erschöpfend erforscht. „Das macht es auch so spannend“, sagt Geiger, der sich selbst als „Vollblutinformatiker“ bezeichnet. Der aktuelle Boom sei tatsächlich durch die Fortschritte im maschinellen Lernen ausgebrochen, sagt der Professor. „Indem man Maschinen nun beibringen kann, aus Datenmengen zu lernen, können wesentlich komplexere Probleme bewältigt werden.“ Relevant ist das für immer mehr Teildisziplinen der KI: Ob Text- und Sprachverarbeitung, Biomedizin, Objekterkennung oder interagierende Roboter – sie alle lernen aus immer größer werdenden Datenmengen, die immer schnellere Computer immer besser verarbeiten können. Das öffnet immer neue Forschungsfelder – und sorgt in der Wirtschaft für großes Interesse.
Die Universität Tübingen etwa ist mit der Universität Stuttgart und diversen Unternehmen – unter anderen Bosch, Daimler, Porsche – sowie Max-Planck-Instituten das Projekt „Cyber Valley“ eingegangen, gefördert vom Land Baden-Württemberg und laut Website eine der größten Forschungskooperationen Europas auf dem Gebiet der KI. Das Ziel ist naheliegend: Ausgestattet mit den nötigen Mitteln erhalten Nachwuchswissenschaftler die Möglichkeit, intelligente Systeme zu erforschen und zu entwickeln. Die beteiligten Unternehmen züchten sich so ihre Fachkräfte heran – die mittlerweile allerdings auch immer häufiger lukrative Angebote aus den USA und anderen Ländern zur Auswahl haben.
Die Uni legt dabei Wert darauf, dass die Unternehmen nicht die Forschungsagenda bestimmen dürften. „Unser Eindruck ist, dass im Moment stark durch die Unternehmen definiert wird, welche Analysen möglich sind und wie Daten genutzt werden. Wir denken jedoch, dass Studierende an der Universität gut auf diese Entscheidungen vorbereitet werden müssen, um sie selbst zu treffen“, sagt Sprecherin Antje Karbe.
Mit Blick auf die Aufregung um das Matheabitur in diesem Jahr bleibt festzustellen, dass die Ansprüche in punkto Mathematikkenntnisse eher steigen als sinken. Wer Informatik, Maschinelles Lernen, Data Science oder Robotik studieren will, muss sattelfest in linearer Algebra, Statistik und mathematischer Modellierung sein.