Arbeitgeber-Bewertung Ein Weg durch den Zertifikate-Dschungel

In Deutschland gibt es rund 200 verschiedene Arbeitgeber-Bewertungen. Die Zertifikate und Siegel lassen sich Unternehmen schon mal einige Tausend Euro kosten. Dabei geht es nicht jedem Unternehmen um die Bewerber.

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Zertifikate für Arbeitgeber. Quelle: Screenshot

In deutschen Unternehmen gibt es mittlerweile einen regelrechten Siegel-Wahn: Die Chefs tapezieren förmlich ihre Wände damit – und selbstverständlich hängen auch Kopien in der Empfangshalle. Auch auf der Firmenhomepage und auf Recruiting-Plattformen wimmelt es nur so von Auszeichnungen: Ein Zertifikat zeichnet das Unternehmen zur "Top Company" aus, ein weiteres Siegel bescheinigt, "Ausgezeichneter Arbeitgeber" zu sein und wiederum ein anderes macht das Unternehmen zum "Top Employer".

Vorbei sind die Zeiten, in denen Personaler sich zurücklehnen und entspannt zwischen mehreren, hochqualifizierten Bewerbern entscheiden. Vor allem in der Digitalbranche und in der Elektroindustrie reißen sich die Unternehmen geradezu um Fachkräfte. Im Bereich Elektrotechnik blieb laut Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2015 eine Stelle im Durchschnitt 120 Tage unbesetzt, in der Informatik und Softwareentwicklung 130 Tage.

Deshalb investieren Unternehmen oftmals viel Geld, um die potenziellen Arbeitnehmer von ihren Qualitäten als Arbeitgeber zu überzeugen. Sie sind in sozialen Medien unterwegs, präsentieren sich auf Recruiting-Plattformen und unterwerfen sich diversen Prüfverfahren.

Kein Wunder also, dass das Geschäft mit den Arbeitgeber-Bewertungen boomt. Allein in Deutschland gibt es mittlerweile 200 Anbieter, die Arbeitgeber bewerten, ihnen ein Zertifikat verleihen oder ihr Siegel aufdrücken. Zum Vergleich: Vor drei Jahren gab es gerade einmal 70 solcher Angebote.

Da kann man leicht den Überblick verlieren

Trotz der Vielfalt: Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält Arbeitgeber-Zertifikate schlichtweg für unnötig. "Zertifikate sind nur ein Indiz dafür, dass das Unternehmen über einen aufgeblähten Verwaltungsapparat verfügt." Der DIW-Forscher ist sicher, dass die einzelnen Abteilungen großer Unternehmen gezielt nach Zertifikaten suchen, "um sich ein Stück Papier an die Wand zu hängen, mit dem sie ihr Handeln legitimieren können". Dabei gehe es den einzelnen Abteilungen der Unternehmen selten um die Bewerber.

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Hinzu kommt: "Es gibt keine festgeschriebene Definition, die besagt, was einen guten Arbeitgeber ausmacht", sagt Brenke. Ob ein Jobsuchender oder ein Mitarbeiter die Arbeitsverhältnisse für gut empfindet, hänge von der individuellen Wahrnehmung und den persönlichen Bedürfnissen ab: Für den einen sind flexible Arbeitszeiten ein wichtiger Faktor, für den anderen eine Kinderbetreuung.

Es gibt aber auch Ausnahmen

Was nicht heißt, dass kein Siegel etwas taugt. Während viele Anbieter die Kosten zum Prüfverfahren verschweigen, machen beispielsweise das Top Employers Institute, der TÜV Rheinland und Berufundfamilie transparent, wie das Verfahren abläuft – und wieviel Unternehmen dafür zahlen. Die drei gehören zu den bekanntesten Anbietern von Arbeitgeber-Zertifikaten in Deutschland. Das TÜV-Siegel genießt ein besonders hohes Vertrauen: "Diese Siegel kennen die Jobsuchenden oftmals von anderen Produkten wie Autos oder Wein und halten es deshalb für besonders glaubwürdig", sagt Dominik Faber, Geschäftsführer der Recruiting-Plattform Softgarden.

Die Zertifizierungsverfahren der drei Anbieter ähneln sich in ihren Grundzügen: Die Unternehmen müssen sich selbst anmelden und Fragen rund um das Unternehmen beantworten. Es folgt der Check durch den Prüfer – und wenn alles in Ordnung ist, gibt es das Zertifikat.

Siegel kosten mehrere Tausend Euro

Unabhängig von der Größe zahlen Unternehmen dem Top Employers Institute 12.000 Euro für das Zertifikat. Das Institut zertifiziert jährlich weltweit über 1000 Unternehmen – vorausgesetzt, sie bieten ihren Mitarbeitern "hervorragende" Arbeitsbedingungen. "Das Unternehmen muss neben einer Strategie auch entsprechende Strukturen und Prozesse besitzen, die es den Mitarbeitern ermöglichen, sich entsprechend ihrer Bedürfnisse zu entwickeln", erklärt Geschäftsführer Steffen Neefe.  Egal ob 50 oder 500 Mitarbeiter, IT-Branche oder Gastronomie: Jedes Unternehmen muss sich dem gleichen Fragenkatalog unterziehen. "Das Unternehmen muss gewährleisten können, dass die Mitarbeiter sich weiterentwickeln können. Ab einer Zahl von 250 Mitarbeitern können sich Unternehmen von uns zertifizieren lassen, die Branche oder Rechtsform sind dabei unerheblich", sagt Neefe. 60 Prozent der geforderten Kriterien müssen die Unternehmen erfüllen, um ein "Top Employer" zu sein. Jedem zehnten Bewerber gelingt das nicht.

Relativ neu auf dem Markt ist der TÜV Rheinland: Seit 2014 hat der TÜV zehnmal das Siegel „Ausgezeichneter Arbeitgeber“ verliehen. Wobei „ausgezeichnet“ beim TÜV heißt, dass ein Unternehmen 70 Prozent der Anforderungen  erfüllen muss, nicht 100. "Wenn wir 100 Prozent verlangen würden, hätte noch kein Unternehmen das Zertifikat erhalten", sagt Projektmanager Bier.

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Die Kosten für das TÜV-Siegel sind vergleichbar mit anderen Auszeichnungen: Ein 300-köpfiges Unternehmen mit einem Standort zahlt für die Zertifizierung zwischen 5000 und 6000 Euro. Für die zwei Jahre, in der das Unternehmen vom TÜV überwacht wird, werden nochmal zwischen 4000 bis 6000 Euro fällig.

In dieser Preisspanne bewegen sich auch die Kosten des Zertifizierungsverfahrens von Berufundfamilie: Ein Unternehmen mit 250 Mitarbeitern zahlt 12.000 Euro für das Komplettpaket. In den vergangenen zwölf Jahren haben sich 1600 Unternehmen der Prüfung unterzogen – 1000 haben heute noch ein Zertifikat.

Wie viele Unternehmen die Prüfungsbedingungen nicht erfüllt haben, will Geschäftsführer Oliver Schmitz auf Anfrage von WirtschaftsWoche Online nicht verraten. Nur so viel: "Einige Unternehmen erlangten im Rahmen mehrfacher Auditierungen einen für sie akzeptablen Entwicklungsstand, so dass sie nach Ablauf des Zertifikats aus dem Verfahren ausgestiegen sind, manche haben nicht unsere Kriterien erfüllt." In den vergangenen Jahren ist die Zertifizierungsquote laut Berufundfamilie konstant hochgewesen. Doch: zirka 20 Prozent der Prüflinge haben Auflagen bekommen. Heißt: Wenn sie sich in einem vorgegebenen Zeitraum nicht in einigen Punkten verbessert haben, wird ihnen die Auszeichnung entzogen.

Der Grund für die hohe Zahl an zertifizierten Unternehmen für Schmitz: "Im Gegensatz zu anderen Angeboten geht es Berufundfamilie nicht darum, den Ist-Zustand, sondern das Entwicklungspotenzial eines Unternehmens im Hinblick auf das Familien- und Lebensphasenbewusstsein zu bewerten."

Bewerber können wenig mit Zertifikaten anfangen

Softgarden-Geschäftsführer Dominik Faber hat auf seiner Recruiting-Plattform beobachtet, dass es vor allem die großen Firmen sind, die viele Siegel und Auszeichnungen zieren. Denn sie haben ein größeres Budget – und eine Marketing-Abteilung, die gezielt nach solchen Bewertungsmöglichkeiten im Internet sucht. "Die Unternehmensprofile sind teilweise zugepflastert mit Zertifikaten. Die Firmen benutzen es wie Zaubersalz", sagt Faber.

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Doch der Zauber bleibt zumindest auf Bewerberseite oft aus. Laut einer aktuellen Studie des Personaldienstleisters unicensus, der mehr als 1000 Studenten befragt hat, misstrauen vier von zehn Umfrage-Teilnehmern Arbeitgeber-Bewertungen. "Die Bewerber haben ein kritisches Bewusstsein gegenüber Arbeitgeber-Bewertungen entwickelt", sagt Faber. Das hat zwei Gründe: Einerseits fällt es vielen Jobsuchenden schwer, zwischen den einzelnen Bewertungen zu differenzieren. Andererseits machen die Anbieter nach Ansicht von Faber nicht transparent genug, welches Verfahren den Zertifikaten zugrunde liegt.

Karl Brenke vom DIW rät Jobsuchen deshalb dazu, das Gespräch mit Mitarbeitern aus den jeweiligen Abteilungen zu suchen, um sich über die Verhältnisse zu informieren –anstatt auf Siegel und Co.zu achten. Denn die Bewertungen beziehen sich laut DIW-Forscher oftmals auf das Unternehmen als Ganzes, nicht aber auf einzelne Abteilungen. "Auch wenn ein Unternehmen insgesamt gut abschließt, muss das nicht heißen, dass in jeder Abteilung gute Arbeitsbedingungen gegeben sind", sagt Brenke.

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