Recruiting-Videos Wie Unternehmen Bewerber mit Videoclips ködern

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Welche Wirkung, wie erzeugt?

Wie schwierig das ist, zeigen die Videos des Beratungsunternehmens BearingPoint, das die Wiesbadener Agentur RCC produziert hat. Zwar liefern sie Informationen zu Karrierewegen und porträtieren einzelne Mitarbeiter. Einer erzählt von einem Einsatz in Südfrankreich: „Das stellt man sich angenehm vor“, sagt er, aber es sei fast durchgehend gearbeitet worden. Es waren „zwei taffe Wochen“. Das wirkt authentisch.

Ganz anders aber die Szene, bei dem die Kamera zu seichter Musik um eine Gesprächsrunde von vier BearingPoint-Managern kreist, die sich nicht wirklich unterhalten, sondern wie bestellt Allgemeinplätze von sich geben. Die Krönung sind Testimonials von Kunden, die nicht selbst vor die Kamera treten, sondern zitiert werden – ein durchschaubarer und deshalb schlechter Trick, um das Eigenlob als Fremdlob erscheinen zu lassen. Wie nicht anders zu erwarten, berichtet der Manager, dass die Kunden BearingPoint als „hochprofessionelles“ Unternehmen sehen und Trainingsprogramm und Weiterbildung als „hervorragend“ loben würden. Spätestens an solchen Stellen klickt auch der Hartgesottenste zum nächsten Clip.

Dreh eines Recruiting-Videos Quelle: dpa

Besser ist das Konzept, einen Mitarbeiter einen Tag lang mit der Kamera zu begleiten. Wie im Video des Personaldienstleisters Hays, in dem JobTV24 dem Key Account Manager Benjamin Merz* von 8.16 Uhr bis 18.53 Uhr über die Schulter geschaut hat. Selbstverständlich zeigt der sich in den Alltagsimpressionen nur begeistert von seiner Arbeit. Doch der Zuschauer sieht dabei eben auch, dass er keinen Nine-to-five-Job hat. „Natürlich sind Belastungen da“, sagt Merz, der im Film viel Zeit im Auto verbringt oder mit einem Headset auf den Ohren am Schreibtisch in einem Großraumbüro sitzt.

Eins haben diese Beispiele aber stets gemeinsam: Die Videos werden von Profis produziert und mit Mitarbeitern „besetzt“, sagt Recruiting-Forscher Trost. Das wirke einstudiert, „manchmal sogar peinlich“. Warum nicht die Mitarbeiter gleich den Spot produzieren lassen?

Manche Unternehmen haben das schon versucht. So findet sich im Videoportal Youtube ein Spot des Hamburger Software-Entwicklers CoreMedia, der es seinen Auszubildenden überlassen hat, Regie zu führen. Sie machen mit der Kamera einen Rundgang über die Flure und treffen Mitarbeiter zum Gespräch – dem Chef überlassen sie nur zwei Worte.

Die neue Handhabe der Mitarbeiter

Das Prinzip selbstgedreht und ohne Filter sorgt zwar nicht immer für die besten Bilder, aber für mehr Authentizität. Das zeigt das Beispiel des Internet-Unternehmens Spreadshirt. Dessen Gründer Lukasz Gadowski hat zur Handkamera gegriffen, ein paar wackelige Bilder aufgenommen und sie ungeschnitten ins Internet gestellt. Wer den Clip anschaut, folgt Gadowski durch die unordentlichen Flure der eigenen Firma; er kommentiert spontan, begrüßt die Mitarbeiter, die ihm über den Weg laufen; er verspricht sich und entschuldigt sich für das Chaos. Da es sich nicht um ein klassisches Rekrutierungsvideo handelt, fehlen hier handfeste Infos. Dafür wirkt der Spot sympathisch und echt.

Und er beugt einer Gefahr vor: Wenn man die Mitarbeiter nicht ausreichend zu Wort kommen lässt, greifen sie selbst zur Kamera. „Wenn Unternehmen in ihren Videos die gleiche abgenutzte und übermäßig positive Marketingsprache benutzen wie in den PR-Broschüren, reagieren die Nutzer irgendwann feindselig“, sagt John Sullivan, Management-Professor an der San Francisco State University.

Auf Youtube finden sich längst auch Clips von Mitarbeitern, die mit den offiziellen Videos ihrer Arbeitgeber oft wenig gemein haben. Etwa solche, die heimlich in Produktionshallen aufgenommen wurden. In anderen Gegenvideos nennen Arbeitnehmer schlechte Manager beim Namen. Für Forscher Trost ein Beweis, dass die Einflussmöglichkeiten der Unternehmen schwinden: „Mitarbeiter melden sich immer öfter im Internet zu Wort“, sagt Trost, „das Web liefert eine enorme Transparenz.“

Management-Professor Sullivan rät deswegen zu einem beherzten Schritt: „Wirf’ das Drehbuch weg, verabschiede dich von den Regeln, die festlegen, was gesagt und was nicht gesagt werden darf, rede offen über das Gute und Schlechte und ermuntere so viele Arbeitnehmer wie möglich, ihre Stimme zu benutzen.“ Derzeit setzen die Unternehmen eher auf das Gegenteil. Der neuste Trend: „Recrutainment“, eine Mischung aus den englischen Wörtern für Rekrutierung und Unterhaltung. Um Führungsnachwuchs auszuwählen setzt etwa der Verlag Gruner + Jahr ein Spiel ein, bei dem die Teilnehmer virtuell in die Rolle eines Mitarbeiters schlüpfen und typische Aufgaben lösen.

Ob Firmenvideos, Videospiele oder Mitarbeiterclips – die Bewerber profitieren davon allemal. Je mehr Informationen sie einholen können, desto genauer wissen sie, ob der Arbeitgeber passt. Wie das praktisch funktioniert? Etwa so: Wer bei Jamba arbeiten will, sieht sich zunächst das offizielle Video an. Die Botschaft der vielen Mitarbeiter in Jeans und T-Shirt: Jamba ist ein junges, internationales Unternehmen. Dort zu arbeiten sei eher „wie Spaß haben als einen Nine-to-five-Job zu machen“, so ein Inder.

Im zweiten Schritt gilt es dann diese Aussagen zu vergleichen – zum Beispiel mit den Kommentaren auf Kununu.com, einer Internet-Seite, auf der Beschäftigte ihre Arbeitgeber bewerten können. Dort lobt zwar einer: „Die vielen unterschiedlichen Nationen machen das Arbeiten multinational.“ Doch in der Rubrik „Karriere und Weiterbildung“ bekommt Jamba nur 1,73 von fünf möglichen Punkten. Noch schlechter schneidet Jambas Image ab: Ausgerechnet die Mitarbeiter reden meistens nicht gut über ihre Firma – ganz anders als im Video. Nicht ohne Grund seien „die Leute nach 1,5 Jahren oftmals wieder weg“, schreibt ein Kommentator.

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