Karriere und Moral Wie viel Teufel steckt in Ihnen?

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Das erzeugt ungeheuren Druck. Wer nicht schafft, sich stetig zu verbessern, ist schon ein Verlierer. In der Zunft der Unternehmensberater gibt es dafür sogar eine simple Formel: „Grow or go“ („Wachse oder zieh Leine“). Erstaunlich viele setzen das ungeprüft um. Uwe Dolata, Kriminalhauptkommissar und Lehrbeauftragter für Korruptionsbekämpfung an der Fachhochschule Würzburg, kann dazu zahlreiche Geschichten aus der Praxis erzählen. Im Kern lauten sie immer gleich – etwa so: Ein Geschäftsführer, der nun im Gefängnis sitzt, verhält sich in mittlerer Position völlig normal. Dann kommt der Tag, an dem er befördert wird. Mit einem Mal verdient er ein Vielfaches seines alten Gehalts. Er denkt: Was einmal funktioniert hat, muss wieder klappen. Also versucht er sein Einkommen weiter zu steigern. Er verbeißt sich regelrecht in dieses Ziel. Irgendwann stößt er an Grenzen. Legal ist auf die Schnelle nichts zu machen. Also fängt er an, krumme Dinger zu drehen – und wird irgendwann erwischt. Im Verhör fragt sich dann jeder: Wie konnte es dazu kommen? Es sei jedes Mal dasselbe, sagt Dolata. Irgendwann vollzieht sich in den Tätern ein „Wandel vom Gemeinwohl zum Meinwohl“. Erst packt sie die Gier, dann das Verderben. Delinquenz ist an der Tagesordnung: 47 Prozent der befragten Führungskräfte im LAB Managerpanel gaben an, dass sie „oft“ oder gar „sehr häufig“ unmoralisches Verhalten in ihrem Berufsumfeld beobachten. Besonders Führungskräfte seien für Hinterlist und Betrug empfänglich. Macht korrumpiert. Aber „absolute Macht korrumpiert absolut“, schrieb der Historiker John Acton vor 150 Jahren. Geändert hat sich daran bis heute nicht viel, eher verändert sich die Unmoral in ungekehrter Proportionalität: Je höher einer auf der Karriereleiter klettert, desto ungehemmter sinkt das Unrechtsbewusstsein, ebnen sich Hemmschwellen ein – das gilt für die Wirtschaft wie für die Politik: „Um sich gegen Verletzungen zu wappnen, lernen Spitzenpolitiker, sich emotional zu reduzieren“, analysiert der Journalist Jürgen Leinemann in seinem Buch „Höhenrausch“. Die renommierte Fotografin Herlinde Koelbl, begleitete acht Jahre lang Politiker und Wirtschaftsbosse mit der Kamera. Sie kennt seither die Isolation der Bosse, ihre Einsamkeit an der Spitze. Macht sei eine „Charakterprobe“, sagt Koelbl. Wer immer nur Ja und Amen höre, verlerne die Fähigkeit, Kritik anzunehmen. Manche bedienen sich gar einer Art Patchwork-Ethik, eines Rollenwechsels, bei dem sie zwischen unterschiedlichen Wertesystemen hin- und herspringen: tagsüber Betrüger, Intrigant, Mobber; abends treusorgender Familienvater, aufmerksamer Ehemann und hilfsbereiter Nachbar. Manch einer streift sich seine Persönlichkeiten über wie andere ihren Blaumann. Für die Seele aber ist das auf Dauer eine kaum überwindbare Zerreißprobe. Muss das so sein? Gilt am Ende auch für Moral und Management das Gesetz der Evolution: Nur der Stärkere überlebt? Die Antworten fallen allzu oft allzu trivial aus: „Moral und Management bedingen einander“, heißt es dazu gerne in wohlfeilen Managementbrevieren. Die Wahrheit ist aber weit weniger bequem. Sie lautet: Moral im Management ist möglich, aber man muss dafür kämpfen. Jeden Tag. Und man muss bei sich selbst damit beginnen. So: Wehre den Anfängen! Wissenschaftler haben festgestellt: Einmal vom rechten Weg abgekommen, fällt es denjenigen schwer, dauerhaft zurückzufinden. Wer aber von Anfang an für hohe Werte einsteht, tut das auch im Laufe seiner Karriere mit hoher Wahrscheinlichkeit. Zum Beispiel Ulf Ganady. Als er kurz nach seinem BWL-Diplom 1996 als Assistent des Leiters Finanz- und Rechnungswesen bei der Unternehmensberatung GMO einstieg, war bald klar, dass er – wenn alles gut läuft – den Posten seines Vorgesetzten irgendwann erben würde. Es lief tatsächlich alles gut, und nach zwei Jahren war Ganady Finanzchef – und mitten im Strudel der Probleme. Anfang 2000, als das Unternehmen in schweres Fahrwasser geriet, wuchs der Druck der englischen Muttergesellschaft, die mit den sich abzeichnenden rückläufigen Ergebnissen unzufrieden war. „Die wollten Wachstum sehen“, sagt Ganady. Also forderte der damalige Deutschland-Geschäftsführer von seinem Finanzchef „geschönte Ergebnisprognosen“, um die Ansprüche der Engländer wenigstens optisch zu befriedigen. Ganady widerstand und entschied sich stattdessen für eine Palastrevolte. In vertraulichen Vier-Augen-Gesprächen erzählte er sowohl dem Finanzvorstand als auch dem Chef-Controller der englischen Mutter die Wahrheit über die frisierten Zahlen, ohne Erfolg. Die Konzernspitze hielt zu ihrem Geschäftsführer. Ganady stand isoliert da, blieb aber nicht untätig: Er kündigte im August 2001 und fand bei einem großen Hamburger Logistikunternehmen einen neuen Job. Sein alter Arbeitgeber schlidderte derweil in die Insolvenz.

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