Kreativität Tim Brown: Vorstände müssen "denken wie ein Designer"

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Was treibt diesen Trend? Wettbewerb. Kürzlich traf ich mich mit Marc Benioff, dem Gründer von Salesforce. Er hat mit einem neuen Geschäftsmodell eine Firma hochgezogen, die Unruhe unter alteingesessenen Softwareunternehmen stiftet und den Markt verändert. Das hat er innerhalb von nur fünf Jahren geschafft – mit dem Willen, etwas zu versuchen, was andere als unmöglich abtaten. Welchen Einfluss hat die Konkurrenz aus Ländern wie China und Indien? Die westlichen Unternehmen haben die Innovation nicht gepachtet. Ich habe im vergangenen Jahr in Indien einige Hospitäler besucht, darunter die Augenklinik Aravind. Sie bietet Behandlung auf Weltklasseniveau auf der Basis eines im Vergleich zu Europa oder Nordamerika winzigen Budgets. Die Klinik hat rund eine Million Patienten jedes Jahr, führt 250000 Augenoperationen durch. Noch erstaunlicher ist, dass sie sich selber finanziert, obwohl 60 Prozent der Patienten kostenlos behandelt werden. Das gelingt durch ein ganzes Bündel an Innovation, angefangen von der Patientenaufnahme, der Diagnose, der Organisation und dem Durchführen von Operationen. Die Klinik stellt selber zu einem Bruchteil der Kosten Brillengläser her. Ein eigenes Beratungsunternehmen unterweist andere Hospitäler. Ich bin fest überzeugt, dass in fünf bis zehn Jahren ganze Jumbo-Jets mit Patienten aus den westlichen Ländern nach Indien fliegen werden, um dort hochklassige Behandlung zu einem Bruchteil der Kosten in Anspruch zu nehmen. Wir können von dort lernen. Und es ist Konkurrenz für hiesige Hospitäler, die ihrerseits Mittel und Wege finden müssen, um die Behandlung zu verbessern und das zu vertretbaren Preisen zu tun. Beispielsweise indem sie mehr Patienten zu Hause behandeln und das durch benutzerfreundliche Geräte organisieren. Lässt sich Kreativität erlernen? Kann man sie wirklich von außen in ein Unternehmen bringen? Wir machen das seit Jahren. Und unser Erfolg beweist, dass es funktioniert. Natürlich kann nicht alles von außen hereingebracht werden. Die besten Unternehmen haben eine Mischung aus eigenen Innovationen und von außen erworbenen. Wir definieren bei der Analyse drei Felder. Das eine sind schrittweise Innovationen also das Verbessern eines Produktes oder Arbeitsablaufes. Das findet fast ausschließlich im Unternehmen statt. Das zweite sind evolutionäre Innovationen, also ein neues Angebot oder ein neuer Markt. Das funktioniert am besten, wenn über verschiedene Teams zusammengearbeitet wird und sogar Partner von außen, wie Zulieferer, einbezogen werden. Das dritte ist das schwerste: revolutionäre Innovationen. Das sind Dinge, die einen Markt neu definieren, vielleicht sogar das eigene Geschäftsmodell infrage stellen. So etwas kommt ganz selten von innen. Man kauft sie entweder ein oder organisiert selber Startups, abgeschottet von der übrigen Organisation. Intel macht das, Cisco, Pepsi oder auch Procter & Gamble. Die große Herausforderung für den Vorstandschef ist, ein gesundes Portfolio von diesen drei Feldern zu haben. Hat er nur schrittweise Innovationen, kommt er nicht vom Fleck. Zu viel revolutionäre Sachen sind zu riskant. Wie unterscheidet sich Ideo eigentlich von den McKinseys dieser Welt? Wir sind ganz anders. Ich würde uns nicht mit denen vergleichen. Wir sehen die Probleme aus der Sicht eines Designers. Wir entwickeln mit den Kunden Produkte und helfen, sie auf den Markt zu bringen. Klassische Beratungsunternehmen können eine Menge Dinge, die wir nicht können und umgekehrt. Sicherlich, einige haben sogenannte Innovation Practices. Aber ich sehe keine Belege, wo wirklich was Einzigartiges entwickelt und tatsächlich auf den Markt gebracht wird. Und ich sehe auch nicht, dass die klassischen Beratungsunternehmen eigene Designer und Anthropologen anheuern. Ihre Kunden – wie Intel beispielsweise – tun das. Ist das Konkurrenz? Ja. Und ich finde es großartig. Das treibt uns an. Unser großer Vorteil ist es, nicht auf eine Branche beschränkt zu sein. Wir haben jährlich Hunderte von Projekten in 30 bis 40 Branchen, können also wirklich querdenken. Was sind die interessantesten Projekte, an denen Ideo arbeitet? Wir haben mit der Bank of America ein neues Finanzprodukt namens „Keep the Change“ entwickelt. Viele Leute haben Probleme, Geld zu sparen. Die Idee ist, dass bei Einkäufen mit Scheckkarte die ungeraden Summen hinter dem Komma aufgerundet werden. Dieses virtuelle Kleingeld fließt dann automatisch auf ein Sparkonto. Als Anreiz gibt die Bank zu Beginn etwas dazu. In nur knapp einem Jahr hat das Programm rund 2,5 Millionen Kunden gewonnen, 700.000 neue Bankkonten und eine Million Sparbücher erzeugt. Ich gebe zu, es ist eine sehr simple Idee. Das macht es aber attraktiv, weil es der Kunde sofort versteht. Und es ist ein großartiges Beispiel, dass man in einer etablierten und hart umkämpften Branche einen neuen Service erfolgreich einführen kann. Investieren Unternehmen zu wenig in Innovation? Es wird immer wieder beklagt, dass die Forschungs- und Entwicklungsetats beschnitten werden. Man darf nicht nur auf das Forschungs- und Entwicklungsbudget schauen. Ein großes Budget bedeutet nicht, dass ein Unternehmen innovativer ist. Aber es stimmt schon – Unternehmen geraten immer stärker unter Druck, ihre Investitionen rechtfertigen zu müssen, was sie manchmal von notwendigen Ausgaben abhält. Unternehmen in Europa, beispielsweise in Deutschland, genießen da noch immer größere Freiheiten, Risiken einzugehen. Ich sage nicht, dass sie das auch tun. Aber sie können es, wenn sie wollen. Sie sind noch nicht so dominiert von den Quartalsberichten. Die Börsennotierung behindert also Innovation? So weit will ich nicht gehen. Wenn man sein Unternehmen aber nur an kurzfristigen Erfolgen ausrichtet, ist es schwer, innovativ zu sein. Man bekommt vielleicht die schrittweisen Verbesserungen hin. Aber wirklich innovative Dinge, da braucht man schon ein paar Quartale, um sie zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Wenn das stimmt, warum gelten gerade US-Unternehmen weltweit als Vorbild für Innovation? Viele haben gelernt, besser mit der Wall Street umzugehen und können den Sinn von Investitionen in Innovation anhand von Erfolgen begründen. So wie Procter & Gamble. Rapide wachsende Unternehmen wie Google wiederum müssen Innovationen in Forschung und Entwicklung kaum rechtfertigen. Es sind die Unternehmen in der Mitte, die hart zu kämpfen haben. Das ist einer der Gründe, warum strategische Investoren zunehmend Unternehmen erwerben, von der Börse nehmen und sie umstrukturieren. Aus Fernost drängen neue Wettbewerber auf den Weltmarkt. Haben chinesische Unternehmen eine andere Herangehensweise an Innovation? Das ist schwer zu sagen. Jedes Unternehmen, das auf dem Weltmarkt erfolgreich sein will, muss globale Bedürfnisse befriedigen. Insofern ist das Ziel gleich. Beim Weg dorthin mag es kulturelle Unterschiede geben. Amerika hat den Vorteil, wenig hierarchisch zu sein, und das hat sich bislang bewährt. Asiatische Unternehmen können sehr diszipliniert sein und hoch effizient, wenn sie etwas Bestimmtes erreichen wollen. Das ist ebenfalls ein Vorteil. Letztlich fließt das alles zusammen. Weltweit tätige Unternehmen werden immer multikultureller.

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