Aufsichtsräte Der Höllenjob

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Schadenersatzklagen

Denn Ärger mit der Staatsanwaltschaft oder Schadensersatzklagen, früher fast unmöglich, sind längst keine abstrakte Bedrohung mehr. Ende 2015 erhob die Staatsanwaltschaft Bochum Anklage gegen ehemalige Aufseher des insolventen Arcandor-Konzerns. Und dessen Insolvenzverwalter forderte schon 2010 von insgesamt zehn Aufsichtsrats- sowie Vorstandsmitgliedern insgesamt 175 Millionen Euro. Auch der Vorstand des früheren Handyausrüsters Balda geht gegen den früheren Chefaufseher Michael Naschke und zwei weitere Exkontrolleure vor und fordert von ihnen 56 Millionen Euro.

Dass solche Fälle öffentlich werden, ist selten. Viele Kontrolleure zahlen lieber diskret in Vergleiche ein und verhindern so, dass ihr Fall vor Gericht kommt. Zahlungen um die 100.000 Euro seien durchaus üblich, heißt es in der Anwaltsszene, die sich um die Aufseher gebildet hat.

Noch allerdings, deswegen besteht für Mitleid mit den meist gut im Leben stehenden Aufsehern auch wenig Anlass, sind das Ausnahmen. Das Recht gibt diese her – macht in der Praxis den Nachweis von Verfehlungen aber auch schwer. So wie beim Berliner Pannenflughafen BER. Aufsichtsratsmitgliedern konnte dort bisher keine Fahrlässigkeit nachgewiesen werden. Dabei sieht die Opposition beim damaligen Regierenden Bürgermeister und BER-Aufsichtsratschef Klaus Wowereit (SPD) schwere Fehler.

Dieser hatte weder „ausreichend Zeit für die Aufgabe“, noch stand ihm „ein qualifizierter Mitarbeiterstab“ zur Verfügung, schreiben die Grünen in einem Sondervotum zum Bericht des Untersuchungsausschusses. Wowereit habe nicht den Anspruch gehabt, sich die technischen Projektdetails der Vorlagen der Geschäftsführung durch Senatsmitarbeiter aufbereiten zu lassen. „Er verließ sich regelmäßig auf die Informationen der Geschäftsführung.“

Wie riskant das sein kann, hat in der Finanzwelt vor allem der Fall der Bayern LB gezeigt. Die hatte im Jahr 2007 die österreichische Hypo Alpe Adria völlig überteuert gekauft, Verluste von fast vier Milliarden Euro waren die Folge. 2012 verklagte der dann aktive Vorstand nicht nur seine zur Zeit des Deals aktiven Amtsvorgänger, sondern auch den Aufsichtsratschef und seinen Stellvertreter auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 200 Millionen Euro. Das war ein bis dahin einmaliger Vorgang. In allen anderen Fällen waren die Aufseher ungeschoren davongekommen.

Wer im VW-Aufsichtsrat sitzt
Hans Dieter Pötsch (Vorsitzender) Quelle: dpa
Jörg Hofmann Quelle: dpa
Hussain Ali al-Abdulla Quelle: dpa
Hessa Al-Jaber Quelle: dpa
Annika Falkengren Quelle: REUTERS
Hans-Peter Fischer Quelle: dpa
Uwe Fritsch Quelle: dpa Picture-Alliance

Dabei ist die Verschärfung der Spielregeln an sich alles andere als verwerflich. „Es wird mehr gerungen und kontroverser diskutiert, der Zeitaufwand hat sich verdoppelt“, sagt Thorsten Grenz, Präsident einer Interessenvertretung für unabhängige Finanzexperten in Aufsichtsgremien und selbst Aufsichtsrat beim Medizintechniker Dräger. „Wir fragen viel mehr, protokollieren viel mehr und dokumentieren viel mehr“, sagt Grenz.

Die Probleme beginnen dann aber schon bei der Bezahlung. Die ist zwar gut, aber im Vergleich zur gewachsenen Aufgabe womöglich nicht optimal. Anders als Rekordsaläre für Topaufseher wie den mittlerweile ausgeschiedenen VW-Kontrolleur Ferdinand Piëch (1,2 Millionen Euro in 2014) oder Deutsche-Bank-Inspektor Paul Achleitner (900.000 Euro in 2014) suggerieren, ist das Aufsehertum für den Durchschnitt der 1465 Kontrolleure in Dax, MDax und SDax nicht unbedingt ein lukratives Nebengeschäft. So hat sich die Vergütung des durchschnittlichen Dax-Aufsehers nach einer Untersuchung der Beratung Towers Watson zwischen 2005 und 2014 zwar von 192.000 auf 384.000 Euro verdoppelt. In einer Umfrage der Kanzlei Hengeler Mueller gaben aber 42 Prozent der befragten Kontrolleure an, dass ihre Bezahlung zu niedrig sei. Zahlen kleine Unternehmen nur Aufwandspauschalen von 1500 Euro, so steht das in keinem Verhältnis zum Haftungsrisiko.

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