Personalauswahl Vorstandsposten sollten verlost werden

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Das Los führt zu neuen Ideen

Dadurch treten auch solche Kandidaten an, die andernfalls aus Angst vor einem Gesichtsverlust ihr Interesse an einer Position gar nicht erst anmelden, wodurch der Kandidatenpool vergrößert wird. Das belegt auch Robert Frank, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Cornell-Universität, in seinem neuen Buch „Success and Luck“. Demnach handeln Menschen sozialer, wenn sie wissen, dass sie vom Schicksal begünstigt wurden. All dies erhöht die Qualität der Führung und die Kooperation zwischen Gewinnern und Verlierern. Überzogene Managergehälter sind unter diesen Voraussetzungen nicht zu erwarten.

Alain Caparros, Rewe-Chef: Alain Caparros gibt gerne zu, dass Glück und Zufall stets auf seiner Seite waren: „Ich war nie der Beste“, sagt der Rewe-Chef, „aber immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ Quelle: Laif

Das Los verhindert darüber hinaus Diskriminierung, zum Beispiel nach Rasse, Geschlecht, Alter oder Herkunft. Damit bekommen Menschen eine Chance, die sonst schlechte Karten hätten. Quoten werden überflüssig. Kreative Außenseiter erhalten leichteren Zutritt zu einflussreichen Positionen. Das Los ist deshalb eine wahre Suchmaschine für neue Ideen und Talente.

Umgekehrt werden Personen zur Kandidatur ermutigt, die ansonsten wenig Vorliebe für den Wettbewerb haben. Die Ökonomieprofessorinnen Muriel Niederle und Lise Vesterlund fragten 2007 in einem berühmt gewordenen Aufsatz, ob Frauen vor Wettbewerb flüchten – und ob Männer sich zu viel mit anderen messen. Sie und später viele weitere Forscher zeigen, dass Frauen in der Tat eine Abneigung gegen den Wettbewerb haben. Der Grund: Sie müssen mit Sympathieverlusten rechnen, wenn sie Männer schlagen. Das Losverfahren ist deshalb besonders geeignet, mehr Frauen zu veranlassen, sich als Kandidatinnen zur Verfügung zu stellen.

Einer der größten Vorteile des Losverfahrens liegt jedoch darin, dass es vor berüchtigten „old boys networks“ schützt. Es lohnt sich nicht, vor der Wahl in Lobbying, Manipulation oder andere Einflussversuche zu investieren, wenn das Los entscheidet. Für die Fifa wäre es so gesehen ein Segen gewesen, das Losverfahren zu benutzen.

Genau das ist der wichtigste Grund, warum das Interesse an Losverfahren bei der Besetzung politischer Ämter wieder erwacht – weil dadurch Machtkonzentrationen bei sich selbst reproduzierenden Eliten oder dem sprichwörtlichen Establishment vermieden werden. Die Jahrhunderte dauernde Stabilität und Prosperität des klassischen Athen und der mittelalterlichen oberitalienischen Städte verdanken sich diesem Sachverhalt.

Freilich gibt es auch Nachteile. Der häufigste Einwand ist, dass das Los nicht zwischen Fähigen und Unfähigen entscheidet. Das ist beim Auslosen aus einem ausgesiebten Pool allerdings weniger relevant. Denn man kann davon ausgehen, dass bei einer sorgfältigen Vorauswahl diejenigen, die es bis in die engere Auswahl geschafft haben, ohnehin eine hohe Kompetenz haben.

Allerdings ist eines zu bedenken: Je enger und konventioneller die Kriterien der Vorauswahl, desto weniger kommen Vorzüge des Losens zum Tragen. Entsprechende Entscheidungen könnten darüber hinaus als irrational und deshalb illegitim betrachtet werden. Sie sind aber – weil nach strenger mathematischer Gesetzmäßigkeit zustande gekommen – zweifellos rationaler als Entscheidungen, die durch Vetternwirtschaft oder Machtkonzentration entstanden.

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