Anselme Selosse behandelt seine Trauben – vor allem Chardonnay und ein wenig Pinot noir – so, wie er es als Önologiestudent im Burgund gelernt hat: Er setzt auf Terroir, also auf Lage, Erde und Wetter. Er produziert Einzellagen- und Jahrgangs-Champagner und baut seine Weine in Akazienfässern aus, weil er glaubt, dass sie im Holz besser atmen können. Er glaubt auch, dass man der Natur nicht ins Handwerk pfuschen sollte, und lässt zwischen seinen Reben wachsen, was da wachsen will. Er glaubt, dass mechanische Rüttelanlagen weniger sanft mit seinen Flaschen umgehen als die menschliche Hand und dass Imperfektion eine Besonderheit ist. Seine unorthodoxe Philosophie äußert sich in geschmacksintensiven Champagnern. Sie sind bei einem Ladenpreis zwischen 70 und 150 Euro nicht billig, aber so gut, dass Selosse 1994 als erster und bislang einziger Champagnerproduzent die von „Gault Millau“ vergebenen Titel Winzer des Jahres, Entdeckung des Jahres und Aufsteiger des Jahres gleichzeitig gewann.
Trotzdem sind Selosse-Weine nicht jedermanns Sache: Der kräftig gelbe Sous le Mont aus der Einzellagenkollektion Lieux-Dits ist ohne Zugabe von Zucker (zero dosage) fermentiert und hat eine leicht bittere Note. Anselme Selosse nimmt diesen Nachteil in Kauf: „Natürlich könnte ich ein wenig Zucker zufügen und den Wein gefälliger machen“, sagt er. „Aber das will ich nicht. Dieser Champagner ist wie eine schöne Frau ohne Make-up. Er hat Charakter, das gefällt mir.“
Ein wenig Schminke schadet nicht
Didier Gimonnet, der ein paar Kilometer nördlich mit seinem Bruder Olivier die Kellerei Pierre Gimonnet & Fils leitet, sieht das etwas anders: „Ein wenig Schminke bringt Schönheit erst richtig zur Geltung“, sagt er. Auch bei Gimonnet gibt es einen Zero-dosage-Champagner, den Oenophile Extra Brut. Er besteht wie alle Produkte des Hauses aus 100 Prozent Chardonnay-Trauben (Blanc de Blancs). Doch im Gegensatz zum Champagner von Selosse, dessen Pinot-noir-Trauben von einer einzigen Parzelle stammen, ist der Blanc de Blancs von Gimonnet Resultat einer Mischung von vier verschiedenen Chardonnay-Lagen, deren Eigenschaften den knochentrockenen Champagner fein und fruchtig wirken lassen. „Cuvées machen die Harmonie eines Champagners aus“, findet Didier Gimonnet, „Mono-Parzellen-Champagner haben immer eine rustikale Note.“
Die Gimonnets leben seit 1750 im 400-Seelen-Dorf Cuis. Sie waren Landwirte und Weinbauern, bis Pierre Gimonnet Ende der Zwanzigerjahre damit begann, eigenen Wein zu produzieren. Wie viele andere tat er dies aus der Not heraus, denn die Négociants, an die er seine Trauben verkauft hatte, waren in der Wirtschaftskrise von 1929 mehr oder weniger pleite. Trotzdem investierte Gimonnet weiter in Premier-und Grand-Cru-Lagen, sodass das Haus heute über 30 Hektar des weltweit teuersten Weinlands verfügt.