Eliten Wie die Managerauslese funktioniert

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Bürgertum verliert Einfluss

Ganz anders in Deutschland. Lange Zeit wurde die Ausbildung künftiger Eliten den staatlichen Hochschulen übertragen, die sich jedoch eher auf Massenleistung denn auf Spitzenleistung konzentrierten. Allenfalls Einzelinitiativen wie die Studienstiftung des deutschen Volkes kümmerten sich gezielt um die Förderung von Talenten.

Das hat sich gewaltig gewandelt: So sind in den vergangenen Jahren zig Einrichtungen entstanden, die sich der Ausbildung von Eliten verschrieben haben. Die Exzellenzinitiative erkor neun deutsche Hochschulen zu „Elite-Unis“, darunter Freiburg, München und Aachen. In Berlin entstand 2002 die European School of Management and Technology mit dem Ziel, der Harvard Business School in Sachen Managerausbildung Paroli zu bieten. Privathochschulen wie die European Business School (EBS) werben auf ihrer Homepage damit, „eine unternehmerische Hochschule für künftige Führungseliten mit einem globalen Netzwerk“ zu sein.

Das klingt gut. Nur: Je mehr das von sich behaupten, desto weniger elitär ist es.

Nicht selten steht „Elite“ drauf, wo gar keine drin sitzt. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Recherchereise der 29-jährigen Journalistin Julia Friedrichs, die zahlreiche selbst ernannte Elite-Institutionen besuchte und ihre Eindrücke in ihrem diese Woche erscheinenden Buch „Gestatten: Elite“ zusammengefasst hat. Friedrichs Fazit: Der Begriff „Elite“ werde mittlerweile in allen gesellschaftlichen Bereichen „für eigene Zwecke instrumentalisiert –  und leider auch missbraucht“.

Folge: Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder heute auf Internate oder Privathochschulen und lädt „deren Lebenslauf mit dem Begriff Elite auf“, kritisiert Friedrichs – unabhängig davon, was dort tatsächlich vermittelt wird. Heraus kommen Zirkel, in denen es nicht immer um Leistung geht, sondern auch um Dazugehörigkeit und den Geldbeutel der Eltern.

So beschreibt die Journalistin in ihrem Buch eine Szene an der EBS, wo sich ein Vater über die Aufnahmechancen seiner Tochter sorgt, deren Mathematiknoten schlechter als 3,0 sind:

Die Studienberaterin redet beruhigend auf ihn ein. Schlechter als 2,7, das bedeutet nicht automatisch das Aus. Es gäbe immer Grauzonen. Wer Ergebnisse zwischen 2,7 und 3,7 habe, der könne Vorbereitungskurse belegen. 475 Euro kostet der Mathekurs, 1450 der Englischkurs, plus Anreise, Unterkunft und Verpflegung. „Das belastet nur den Geldbeutel Ihrer Eltern, Sie sollte das aber weniger belasten“, erklärt [die Beraterin] der Tochter lächelnd. Nur wer im Mathetest schlechter als „ausreichend“ abschneide, den könne man leider wirklich nicht annehmen.

Bei 3,7 liegt die Hürde, die man auf keinen Fall reißen darf. Ich bin überrascht. Ich hätte es mir schwieriger vorgestellt, das Ticket zu lösen, das zu einem Studium an einer selbst ernannten Elitehochschule berechtigt.

Chancenungleichheit ist allein volkswirtschaftlich eine Katastrophe. "Jüngste Forschungen zeigen, dass sowohl eine Leistungselite als auch eine gute Bildung für die breite Bevölkerung sich jeweils separat stark auf das langfristige Wirtschaftswachstum auswirken", sagt etwa Bildungsökonom Ludger Wößmann. Wenn Deutschland zu den besten Bildungsnationen aufschließen würde, könne das Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts langfristig "um 0,5 Prozentpunkte höher liegen“.

Die Vielzahl der Versuche, jungen Hochbegabten und Leistungswilligen eine besonders hohe Bildung zu garantieren, wirkt aber auch wie ein Motor. „Dort, wo viele Privatschulen existieren, ist das Leistungsniveau insgesamt höher, also auch das der öffentlichen Schulen“, sagt Wößmann. In dem Bereich tut sich extrem viel: In Deutschland gibt es derzeit mit 2870 Privatschulen rund 40 Prozent mehr als 1990. Fast jede Woche kommt eine hinzu.

Auch Innovationen im Hochschulbereich haben die akademische Bildungslandschaft gehörig wachgerüttelt. Die Bucerius Law School etwa will als erste Privathochschule für Rechtswissenschaft die Juristenausbildung reformieren. Das Studium lehrt auch Aspekte aus Fächern wie Geschichte, Kunst und Naturwissenschaften. Einen interessanten Weg geht auch die Zeppelin Universität. Sie will „Pioniere“ ausbilden, die in Wirtschaft, Kultur und Politik neue Wege bestreiten. Ein Element: Statt Vorlesungen finden Dialoge statt.

Der Sprung in Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft ist damit freilich nicht garantiert. Und Elite sind Studenten schon per Definition nicht, da sie noch keinen maßgeblichen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen ausüben. Aber ihre Chancen verbessern sich.

Das gilt auch für Absolventen der Bayerischen Elite-Akademie. Maximal 30 Studenten werden hier pro Jahr gefördert. Wer in den Kreis aufgenommen wird, entscheiden keine Kontakte, kein Geld, sondern vor allem gute Noten. Nur die zehn Prozent der Jahrgangsbesten beim Vordiplom dürfen sich bewerben. Dabei versucht die Akademie auch kreative Vordenker mit Zickzack-Lebensläufen zu fördern.

Der Lohn dieser Auslese: Wer es schafft, profitiert von spezieller Förderung: Seminare wie „Führen, Sich-Führen und Sich-führen-Lassen“ oder „Führung mit christlichen Tugenden“ bereiten die klugen Köpfe auf ihre mögliche spätere Verantwortung in Wirtschaft, Politik und Kultur vor. Die Akademie hat sich dem Ziel verschrieben, „ethikorientierte Führungspersönlichkeiten“ auszubilden: Diese sollen Innovationskraft und Spitzenleistungen erreichen und „mit Menschenwürde verbinden“, sagt der akademische Leiter Dieter Frey.

Das ist ein hoher Anspruch. Aber auch ein lohnender Versuch. Jede Gesellschaft braucht Menschen, die Verantwortung übernehmen — nicht nur für sich, sondern auch für andere. So kommt der Begriff „Elite“ auch seinem ursprünglichen Sinn zu Zeiten der französischen Revolution am nächsten: „élite“, das waren Personen, die sich — im Gegensatz zu Adel und Klerus — ihre gesellschaftliche Position „verdient“ haben.

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