Futurologie Vergesst die Zukunft!

Umweltapokalypse oder Fortschrittsheil, Klimatod oder ewigem Leben. Wir denken die Gegenwart von der Zukunft her. Und minimieren damit die Freiheit.

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Futurologie: Verliert die Zukunft ihren Sinnhorizont als offener Zeitraum? Quelle: Fotolia

Seit unter Karl-Popper-Kanzler Helmut Schmidt Visionen unter Pathologieverdacht stehen, ist es in der Politik mit der Zukunftseuphorie vorbei. Die Staatenlenker sind bescheiden geworden, fahren „auf Sicht“ (Angela Merkel) und überlassen Unternehmerfiguren das Feld der Utopie. Steve Jobs, Mark Zuckerberg und Elon Musk stehen heute für Expedition und Fortschritt, für eine digitale Zukunft, in der der Mensch sich plastisch und genetisch optimiert: „Wir werden uns als Spezies ein gewaltiges Upgrade verpassen“, sagt der israelische Historiker Yuval Harari („Homo Deus“). „Mein ganzes Streben“, sagt der CEO von Alphabet, Larry Page, „geht dahin, herauszufinden, wie die Zukunft aussehen kann, und sie dann zu erschaffen.“

Wenn aber Page die Gegenwart nur noch von einer exakt berechenbaren Zukunft her denkt, wenn Harari mit Blick auf die Fortschritte auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz und der Gentechnik die Freiheitsspielräume radikal negiert – wird dann die Gegenwart nicht zum bloßen Erfüllungsgehilfen der Zukunft degradiert? Fällt Letztere dann nicht aus als Denkhorizont, als weites Feld der Gedanken? Auf dem Spiel steht nichts weniger als die Zeitordnung, die wir seit dem Anbruch der Moderne vor 250 Jahren kennen: Nicht mehr die Gegenwart ist Ausgangspunkt für Zukunftsentwürfe einer besseren Welt, sondern umgekehrt: Eine empirisch berechnete Zukunft beherrscht die Gegenwart – mit welchen Folgen?

Wie Sie tote Zeit effektiv nutzen
Tipp 1: In kürzeren Einheiten denken Wer kleiner denkt, schafft oft mehr. Experten raten daher, sich den Tag in 96 kleine 15-Minuten Blöcke aufzuteilen. Das heißt nicht, dass alle Tätigkeiten nur eine Viertelstunde dauern sollen, hilft aber dabei, den Tag besser zu planen. Große Aufgaben, die vorher noch erschlagend wirkten, erscheinen so auf einmal lösbar und weniger aufwendig als noch zuvor. Und plötzlich ergeben sich plötzlich kleine 15-minütige Pausen zwischen zwei Terminen, die dann effektiv genutzt werden können. Quelle: dpa
Erledigte Aufgaben abhakenDieser Trick stammt aus dem Bereich des Zeitmanagements und der Selbstorganisation. Selbst kleine und scheinbar ganz banale Aufgaben können Spaß machen, wenn Sie diese auf einer To-Do-Liste aufschreiben und dann Stück für Stück abhaken. Das geht am besten ganz altmodisch mit Stift und Papier. Bereits der Vorgang des Aufschreibens und dann das Gefühl beim Durchstreichen oder abhaken einer Aufgabe kann Ihre Stimmung enorm steigern. Quelle: Fotolia
Tipp 3: Wartezeit als Pause willkommen heißen Auch locker lassen schadet nicht. Nicht jede 15-minütige Pause muss aktiv genutzt werden. Im Gegenteil: Oft ist es effektiver, 15 Minuten lang einfach mal nichts zu tun, aus dem Fenster zu schauen oder einen Tee zu trinken. Denn genau diese Pausen brauchen wir als notwendige Regenerationsphasen. Quelle: dpa
Tipp 4: ZeitmanagementBevor Sie einen Termin ansetzen, eine Konferenz oder ein Meeting, sollten Sie sich genau überlegen, wie viel Zeit Sie dafür einplanen wollen. Jede Einladung bei Outlook ist für eine Stunde, auch wenn viele Themen oft in 20 Minuten bei einem Kaffee hätten besprochen werden können. Natürlich braucht es Koordination, sobald externe Personen oder mehr als zwei bis drei Personen beteiligt sind. Aber wenn nicht jeder Teilnehmer 80 Prozent seiner Woche mit einstündigen Meetings blockiert hat, finden sich auch einfacher kurze Zeitfenster. Quelle: AP
Tipp 5: Bus- und Bahnfahrten effektiv nutzenSchon auf dem Weg ins Büro lässt sich Zeit sinnvoll nutzen. Viele Leute sind auf dem Bahnsteig, in Bussen oder Bahnen permanent mit ihrem Handy beschäftigt. Der Grund: Wer unterwegs E-Mails und Social-Media Kanäle checkt und kurz beantwortet, muss das im Laufe des Tages nicht mehr machen. Auch im Zug geht das prima, dort gibt es oft sogar Laptop-Arbeitsplätz und Steckdosen. Auch während der Wartezeiten, bis der Zug kommt, können Sie Dinge auf ihrer To-Do Liste abhaken. Quelle: REUTERS
Tipp 6: Selbstbeobachtung Achten Sie auf sich und Ihre Art zu arbeiten. Denn jeder Mensch ist anders. Während der eine ein Morgenmensch ist, der schon nach dem Frühstück viel erledigen kann, dann stehen sie früh auf und reservieren Sie sich eine störungsfreie Zeit, in der Sie in Ruhe arbeiten. Sind Sie ein Morgenmuffel und erst ab mittags so richtig warmgelaufen, dann starten Sie lieber gemütlich in den Tag. Teilen Sie sich Ihren Tag ein, so wie es Ihnen am effektivsten erscheint. Quelle: dpa/dpaweb
Tipp 7: Zeitinseln schaffenWenn Sie Ihren Tag in 15-Minuten-Blöcke aufgeteilt haben und feststellen, dass Sie komplett ausgebucht sind, schaffen Sie sich bewusst kleine Zeitinseln. Regenerationsphasen fördern die Konzentration und ein kleiner Power-Nap oder ein fünfminütiger Spaziergang fördern die Leistungsfähigkeit. Quelle: dpa

Schon einmal hat die Menschheit einen Wechsel des Zeitregimes erlebt. Erinnern wir uns: Im lebensweltlichen Alltag des Mittelalters gab es noch gar keine „Zukunft“ als Projektionsfläche und Wunschadresse, sondern nur das „futurum“ vereinzelter Ereignisse im Rahmen einer festgestellten Gegenwart: Vor Ostern muss die Saat ausgebracht sein ... Die Tochter heiratet eine Woche nach dem Johannisfest ... Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein hatte Zeit für die meisten Menschen keine lineare, sondern eine kreisförmige Gestalt. Die Gesellschaft schöpfte aus dem Vorrat der Vergangenheit. Das Kirchenjahr gab dem Denken und Fühlen der Menschen die Richtung vor. Die religiösen Riten sicherten den Sinn des Lebens.

Erst das Zeitregime der Moderne machte damit Schluss: Die Aufklärung verschob den Akzent von der Tradition zur Innovation, zerstörte den Kreislauf der Gewohn- und Gepflogenheiten, die Macht des unbewusst Gewussten. Der Mensch nahm sein Schicksal fortan selbst in die Hand, verlegte sein Heil von der Vergangenheit in die Zukunft, in Richtung eines planbaren Fortschritts. Die Gegenwart versprach nicht mehr Dauer, sondern wurde als Übergang, als flüchtiger Moment des Umschlags von Vergangenheit in Zukunft erlebt.

Das Projekt der Moderne kennt keinen Stillstand, kein Zurück. Es steht im Zeichen des Prometheus, des Selbsthelfers und gottgleichen Erfinders, der auf der permanenten Flucht nach vorn ist. Zukunft stellen wir uns seit der Zeit der Frühsozialisten nicht mehr als jenseitiges Fernziel vor, als jüngstes Gericht oder visionäre Utopie, sondern als diesseitigen Fahrplan. Von Saint-Simon bis zu Marx reicht der Reigen der Meistererzählungen, die aus der Diagnose einer mangelhaften Gegenwart die Machbarkeit der Zukunft ableiten: Wenn die Menschen der Vernunft vertrauen, wenn sie sich zu wissenschaftlich informierten Analytikern der sozialen Verhältnisse und Ingenieuren der idealen Ordnung machen, kurz: Wenn sie sich zu Herren der Geschichte aufschwingen, steht dem Aufbruch ins irdische Paradies nichts mehr im Wege. Die Vergangenheit sollte endgültig vergehen. Der Glaube an das Wunschland einer besseren Welt verband alle Parteien und Geister. „Der Mensch wird umgebaut!“, versprach die russische Revolution. Und 20 Jahre später verhieß Adolf Hitler der arischen Herrenrasse ein 1000-jähriges Reich. „Linke“ wie „rechte“ Träume vom Paradies verwandelten die Welt in eine Hölle.

Prognose und Planung

Seither sind alle Visionen vom Neuen Menschen und von der neuen Gesellschaft kompromittiert. Seither hat die Zukunft an Strahlkraft eingebüßt, ist der Glaube an ein besseres Morgen gestorben. Vor allem in Deutschland. Joachim Radkau hat in seinem jüngst erschienenen Buch „Geschichte der Zukunft“ gezeigt, dass die Aufbaujahre der Bundesrepublik mitnichten getragen waren von Zukunftsoptimismus. Der Geist der frühen Jahre war antiutopisch, von Arbeit und Alltag bestimmt. Und auch in den Sechzigerjahren, als das Wort vom „Raumschiff Erde“ aufkam und Zukunftsforscher von der Besiedlung des Mondes träumten, sei die politische Gegenwart trotz ehrgeiziger Entwürfe keineswegs von Zukunft beherrscht gewesen. Es dominierte, beispielhaft in der Atompolitik, das Hier und Jetzt.

Erst in der Zeit der sozialliberalen Koalition wuchs die Zuversicht, im Zusammenspiel von Prognose und Planung („Globalsteuerung“) die Zukunft erneut in den Griff zu bekommen. Herrschende Trends wurden verlängert: Der Glaube an eine unendliche Fortsetzung des Wirtschaftswachstums nährte die Hoffnung auf seine Verstetigung, seine Gestaltbarkeit. Doch die meisten Langfristprognosen erwiesen sich als Luftnummern. Die Zukunft machte den Planern einen Strich durch ihre Hochrechnungen. Im Herbst 1973, im Jahr der Ölkrise, war mit den keynesianischen Boomjahren auch das Vertrauen in die Planungsfähigkeit des Staats dahin. Vor allem aber büßte mit Erscheinen des Weltbestsellers „Die Grenzen des Wachstums“ die Zukunft selbst ihren Zauber ein.

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von Dieter Schnaas

Zukunft verwandelte sich damals, so die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, „von einem Gegenstand der Erwartung und Hoffnung zu einem Gegenstand der Sorge und damit zugleich auch der Vorsorge“. Entscheidend dabei ist allerdings nicht, dass der Pionier nun von Warnern begleitet wird und sein Wagemut unter Apokalypseverdacht steht, von der Kernschmelze über das Ozonloch bis zum Treibhauseffekt. Entscheidend ist vielmehr der Perspektivwechsel, dass alle Zukunft heute von einem scheinbar datengesicherten Übermorgen aus zurück ins Heute blickt und die Gegenwart daher zum unruhigen Ort ultimativer Herausforderungen macht. Spätestens seit den Achtzigerjahren begegnet uns Zukunft als empirisch gesicherter Ausgangspunkt für künftige Katastrophenszenarien, als mathematisch berechnete Gefahr, auf die umgehend zu antworten ist. Anders gesagt: Das Szenario diktiert die Gegenwart und setzt die Politik herab zur angewandten Zukunftsforschung. Es suggeriert, ihr bleibe nichts mehr zu gestalten, seit eine gesicherte Zukunft ihre Schatten auf die Gegenwart wirft.

Mehr Wissen, weniger Freiheit

Ganz gleich übrigens, ob als Apokalypse oder medizinisch-technische Erlösungsfantasie. Denn in einem sind sich der besorgte Wachstumskritiker und der Valley-selige Fortschrittsoptimist seltsam einig. Sie imaginieren die Welt vom Ende her – und man weiß wirklich nicht, welches Ende man deprimierender finden soll: das des Klimatodes oder das eines ewigen Lebens als Mensch-Maschine-Schnittstelle. Wenn aber die Zukunft nur noch das ist, was die Menschen unbedingt tun müssen, um sie zu verhindern oder zu realisieren, dann verliert sie ihren Sinnhorizont als offener Zeitraum. „Je größer das Wissen, je größer die Technologie ... umso irreversibler sind die Weichen, die die Lebenden für ihre Nachkommen stellen“, warnt der Philosoph Robert Spaemann: „Insofern bedeutet technischer Fortschritt von einem gewissen Zeitpunkt an stetig abnehmende Freiheit.“ Man kann es auch so sagen. Seit Zukunft unsere Gegenwart als Gewissheit kolonialisiert, kennt sie keine Weite, keine Sehnsucht mehr und damit – keine Zukunft.

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