Innovationsmanagement Warum Unternehmen oft Angst vor ihren Kunden haben

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Näher ran an den Endverbraucher

Mit dem Schatten shoppen - Udo Töpel von Henkel begleitet eine junge Kundin in den Supermarkt. Sein Auftrag ist herauszufinden: Welche Produkte kauft sie von Henkel, welche von der Konkurrenz? Quelle: Frank Reinhold für WirtschaftsWoche

Das Unternehmen ist weltweit in 47 Ländern mit eigenen Vertriebsgesellschaften vertreten. Diese dezentrale Struktur erlaubt es den Länderchefs rund um den Globus, autark über Modellpolitik, Preisgestaltung und Werbung zu entscheiden. Von ihren Endkunden und von den Händlern vor Ort erfahren sie, was gefragt ist – und das fließt in die Produktentwicklung mit ein. So wurde der Raum eines Dampfgarers für asiatische Kunden extra größer ausgelegt, um dort ganze Fische hineinlegen zu können. Das ergebe Sinn, denn mit gekrümmten Meerestieren brächten die Kunden in Asien Krankheiten und Unglück in Verbindung, teilte der Vertriebsaußendienst dem Marketing mit.

Henkel erforscht das Kaufverhalten der Kunden

Noch näher am Endverbraucher sind Angestellte des Konsumgüterherstellers Henkel. „Mitarbeiter aus dem Marketing sowie aus dem Bereich Forschung und Entwicklung begleiten Konsumenten in die Supermärkte und registrieren deren Kaufgewohnheiten“, sagt Thomas Müller-Kirschbaum, der beim Familienkonzern für globale Forschung und Entwicklung im Unternehmensbereich Wasch- und Reinigungsmittel verantwortlich ist. Ziel des begleiteten Einkaufs ist es unter anderem, herauszufinden, bei welchen Produkten die Kunden zu den Henkel-Angeboten greifen und bei welchen sie der Konkurrenz den Vorzug geben.

Ideen für Innovationen entstehen außerdem im Dialog mit den Konsumenten, zum Beispiel bei Hausbesuchen und über die Henkel-Verbraucherberatung. Immer stärker werden auch Social-Media-Kanäle genutzt. Dabei erzählen die Endverbraucher via Facebook & Co. dem Unternehmen und der gesamten Internet-Gemeinde ihre persönliche Seifenoper zu Themen wie „mein schlimmster Fleck“. Unterstützt durch die klassische Marktforschung, in der Kunden persönlich befragt werden, erfährt der Düsseldorfer Konsumgüterkonzern dann, was die Verbraucher als „wirklich weiß und rein“ empfinden. Allein im Bereich Wasch- und Reinigungsmittel werden mithilfe der Kunden jährlich mehr als 300 Produkte weltweit auf den Markt gebracht. Damit münden über 80 Prozent dieser Forschungsprojekte in neuen Entwicklungen.

Quark ist nicht gleich Milch
Kalziumhaltige ZuckerbombenDer Hersteller Ehrmann warb für seinen Kinderfrüchtequark "Monsterbacke" mit dem Slogan "So wichtig wie das tägliche Glas Milch!" Die Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs hat sich die Werbung vorgeknöpft und für irreführend befunden: Zwar enthalte der speziell für Kinder angebotene Quark so viel Kalzium wie ein Glas Milch, allerdings deutlich mehr Zucker. Nun hat auch der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Slogan für einen Fruchtquark "als gesundheitsbezogene Angabe grundsätzlich nicht zulässig" ist. Das Verbot folge aus der europäischen Verordnung über „nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel“, so die Richter (Az. I ZR 36/11). Nach der Verordnung besteht allerdings die Möglichkeit, den Spruch EU-weit behördlich genehmigen zu lassen, wenn die Aussage in wissenschaftlichen Studien bestätigt wird. Die BGH-Richter legten den Fall noch dem Europäischen Gerichtshof vor, um klären zu lassen, ob die Genehmigungspflicht bereits im Jahr 2010 wirksam war. Eine Irreführung der Verbraucher sieht der BGH in der Aussage hingegen nicht. Den Käufern werde „deutlich gemacht, dass es sich um etwas anderes handelt als um Milch“, sagte der Vorsitzende Richter Joachim Bornkamm. Quelle: Screenshot
Viel Hack - weniger FleischDie Hackfleisch-Packungen der Netto-Eigenmarke Viva Vital tragen den Hinweis „30 Prozent weniger Fett“. Wie die Verbraucherorganisation Foodwatch mitteilte, enthalte die Packung tatsächlich aber 30 Prozent weniger Fleisch. Netto hat damit kein Problem. Die Zubereitung sei für Kunden entwickelt worden, die sich ausgewogener ernähren wollten. Das Hackfleisch „sei mit wertvollem pflanzlichem Eiweiß in Form von Weizenproteinen kombiniert“ worden. Damit habe das offiziell als „Fleischzubereitung“ deklarierte Produkt weniger Fett und Cholesterin als herkömmliches Hackfleisch, so die Edeka-Tochter. Die Verbraucherorganisation Foodwatch wertet das Hackfleisch-Produkt als eine „Fleisch-Wasser-Weizen-Pampe“, der man mit Hilfe von so genanntem textuiertem Weizenprotein zur fleischähnlichen Konsistenz und mit Rote-Beete-Saft und Paprika-Extrakt zu „möglichst viel Hackfleisch-Feeling“ verhelfe. Quelle: dpa
Kaum Fleisch, dafür schön fettigAuch bei einer Tütensuppe fühlten sich Verbraucher hinters Licht geführt - die Hühnersuppe von Knorr strotze zwar nur so vor Hühnerfett, nicht aber vor Hühnerfleisch: "Die Hühnersuppe des Herstellers Knorr beinhaltet lediglich Hühnerfett und das in sehr geringer Menge. Der Name "Hühnersuppe" ist daher für mich irreführend. Nach Inhaltsangabe besteht die Suppe hauptsächlich aus Hartweizengrießteigwaren (76 %) und enthält nicht einmal Hühnerfleisch. Die Bezeichnung Nudelsuppe mit geringanteiligem Hühnerfett würde es wohl eher treffen", schreibt Frau S. aus Leipzig auf lebensmittelklarheit.de. Der Hersteller Unilever Deutschland kontert: "Jede Hühnersuppe enthält selbstverständlich Hühnerbestandteile – dies muss aber nicht unbedingt Hühnerfleisch sein und ist es auch bei einer traditionell zu Hause hergestellten Hühnersuppe nicht immer. Entscheidend für den Geschmack der Suppe ist die Qualität des Fonds und nicht die Fleischeinlage. Geschmacksgeber ist, wie auch bei unserer Suppenliebe, das Hühnerfett."
Chili-Gurke ohne SchoteHerr S. aus Günding fühlte sich von der Aufmacher der Knax-Essigurken getäuscht: „Laut Produkt-Aufmachung handelt es sich bei dem Produkt um scharfe Gurken "mit pikantem Chili". In der Zutatenliste erscheint aber kein Chili. Auf der Webseite wird erklärt, dass in dem Aufguss eine scharf-würzige Chili Note ist, nicht aber auf dem Produkt selbst“, schrieb er dem Verbraucherportal. Die Verbrauchzentrale sah das ähnlich: „Falls Chili tatsächlich nicht im Produkt enthalten ist, sollte keine Hervorhebung dieser Zutat in Wort und Bild auf dem Etikett stattfinden.“ Der Hersteller Hengstenberg nimmt's gelassen. Die Kennzeichnung von „Hengstenberg Knax“ scharf-würzig mit pikantem Chili entspreche den  lebensmittelkennzeichnungsrechtlichen Vorgaben. Eine mengenmäßige Angabe sei rechtlich nicht erforderlich, da die Kaufentscheidung nur vom Produktversprechen „scharf-würzig“ beeinflusst würde. „Dieser Anforderung wird unser Produkt vollständig gerecht.“
Kulinarischer Ölwechsel Pesto alla Genovese besteht nach traditionellem Rezept aus Basilikum, Olivenöl und Pinienkernen. Barilla verwendet für seine Pesto jedoch hauptsächlich Sonnenblumenöl und Cashewnüsse statt Pinienkerne. Kommentar der Verbraucherzentrale: „Pesto alla Genovese mit Sonnenblumenöl und Cashewkernen erfüllt häufig nicht die Verbrauchererwartung an eine mediterrane Pasta-Soße.“ Barilla Deutschland erklärt, wie es zum Öl- und Nusswechsel kommt: „An keiner Stelle machen wir Angaben bezüglich einer stetigen Verwendung von Ölivenöl. (…) Die von uns verwendete Ölsorte gewährleistet eine hohe mikrobiologische Stabilität. Bis vor einiger Zeit haben wir Pinienkerne benutzt. Auf Grund von Befürchtungen über deren Qualität in Bezug auf die Stabilität haben wir uns entschieden, Cashewnüsse zu verwenden.“ Quelle: Screenshot
Gefrierbeere im Müslihaufen„Die Müslisorte nennt sich „Erdbeerjoghurt“, tatsächlich befinden sich in dem Müsli lediglich ein Prozent gefriergetrocknete Erdbeeren“, schreibt  Herr B. aus Münstertal. Die Verbraucherzentrale findet Herr B. hat recht.“ Gestaltung und Bewerbung des Produktes wecken Erwartungen, die nicht erfüllt werden. Der Verbraucher geht davon aus, dass bei einem Erdbeer-Joghurt-Müsli ein höherer Gehalt als nur ein Prozent gefriergetrocknete Erdbeeren zu finden ist.“ Das sieht der Hersteller anders und beruft sich auf geltendes Recht, dem die Aufmachung voll entspreche. „Die Menge an gefriergetrockneten Erdbeeren von 1 % ist angegeben und durch die Produktabbildung real gezeigt. Eine Irreführung des Verbrauchers halten wir für ausgeschlossen.“ Quelle: Screenshot

Mit Fehlern zum Fortschritt

Das große Saubermachen beschäftigt auch den Münchner Flugzeugmotorenbauer MTU Aero Engines Holding. Das Unternehmen tüftelt am umweltfreundlichen Antrieb der Zukunft. Für dieses anspruchsvolle Projekt holt sich MTU neben den renommierten Fluglinien wie Lufthansa und Emirates auch die Schwergewichte Boeing, Airbus und General Electric mit an Bord. „Wir machen nicht Jugend forscht, deshalb suchen wir den Schulterschluss mit den Airlines und Flugzeugbauern“, sagt Technik-Vorstand Rainer Martens über die Langzeitprogramme mit seinen Kunden.

Bis zum Jahr 2025 plant sein Stab aus zehn Experten „wie was fliegt“. Rund 40 bis 60 Millionen Euro investiert seine Technologieabteilung jährlich in eine CO2-ärmere Zukunft, feilt an Triebwerken, die weniger Kerosin verbrauchen und leiser sind. Leicht sollen sie sein und eine längere Lebensdauer haben. Zwischen 300 Millionen und einer Milliarde Euro betragen die Entwicklungskosten bis zum einsatzbereiten Prototyp. „Entschieden wird nicht nach Hierarchien, sondern nach Kompetenz und Urteilsvermögen“, betont der promovierte Maschinenbauer. Fehler sind auf dem Flug ins Übermorgen erlaubt. „Ohne sie kein Fortschritt“, betont Martens.

Was bei MTU gilt, genießt auch in der Automobilbranche einen hohen Stellenwert. Daimler zum Beispiel bezieht die Kunden aktiv in die Fahrzeugentwicklung mit ein. Dazu dienen nicht nur Zukunfts- und Akzeptanzstudien renommierter Forschungsinstitute. In Böblingen bei Stuttgart hat Daimler sogar ein eigenes Kundenforschungszentrum, das sogenannte Customer Research Center. Ein 20-köpfiges Team aus Psychologen und Ingenieuren schaut den Kunden dort auf die Finger und versucht, sie psychologisch zu durchleuchten, ihre Sinnesreize zu analysieren.

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