Standortschließung Wie der Wandel einer Industriebrache gelingt

Das ehemalige Carlswerk in Köln ist ein Beispiel für die gemischte Nutzung eines verlassenen Industriegeländes. Quelle: imago images

Unternehmen prägen die Region rund um ihren Standort als wichtige Arbeitgeber, Sponsoren und Identifikationspunkt. Ein Wegzug ist deshalb immer schmerzhaft. Gute Konzepte für die Immobilien können das zumindest lindern.

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Woche für Woche versammeln sich bis zu 30.000 Fußballfans in der BayArena, um ihre „Werkself“ anzufeuern, um mitzufeiern und manchmal mitzuleiden. Dieses Beispiel von Bayer 04 Leverkusen zeigt eindrucksvoll: Ein einzelnes Traditionsunternehmen kann ganze Städte prägen, wirtschaftlich wie kulturell. Überall in Deutschland gibt es ähnliche Fälle, wenn auch oftmals in kleinerem Maßstab. Generationen von Angestellten sind bei ein und demselben Unternehmen tätig, das oftmals der größte Arbeitgeber der Region ist. Die dazugehörigen Produktionsstätten wachsen organisch und analog zur Firmengeschichte mit. Sie prägen maßgeblich das Stadtbild. Zudem sind diese Traditionsunternehmen in der Regel für das Sponsoring von Vereinen sowie von kulturellen und sozialen Einrichtungen tätig.

Aber was passiert, wenn sich ein solches Traditionsunternehmen dafür entscheidet, den Standort zu wechseln? Oder gar in die Insolvenz geht, was in Zeiten der digitalen Revolution selbst bei dem vergleichsweise krisenfesten deutschen Mittelstand durchaus vorkommen kann? Bei Arbeitnehmern, Anwohnern und Kommunen sorgt eine solche Nachricht für Verunsicherung, neben dem Wegfall von Arbeitsplätzen droht ein Imageverlust. Aktuelle Beispiele finden sich schnell: In Augsburg hat der Leuchtmittelhersteller Ledvance Mitte April die Aufgabe eines 90.000 Quadratmeter großen Firmengeländes bekanntgegeben. Die Siemens-Schließung in Görlitz ist inzwischen gar zum Politikum geworden und hat für Demonstrationen seitens der Gewerkschaften gesorgt.

Die Ängste sind nachvollziehbar, ein solcher Wegzug hat nicht nur Folgen für die Arbeitnehmer, sondern auch für Anwohner und Kommune. Sie alle sehen sich vor vollendete Tatsachen gestellt – oft ohne dabei die Chancen zu erkennen, die sich in einem solchen Szenario bieten. Denn die sind durchaus vorhanden, und manch ein Areal erhält die Chance zum Neuanfang.

Zur Person

Um es ganz klar zu sagen: Nicht jede aufgegebene Immobilie ist noch zu retten, ein großer Teil jedoch schon. Zahlreiche Faktoren sind dafür ausschlaggebend, ob eine Produktionsimmobilie zur Industriebrache wird oder eine Renaissance erleben kann. Den wichtigsten Ausgangspunkt bilden die baulichen Voraussetzungen. In der Regel war ein aufgegebener Unternehmenssitz vollumfänglich auf eine bestimmte Arbeitsweise ausgerichtet, eine Weiternutzung in dieser Form ist schlichtweg nicht möglich. Und dem – häufig etwas angestaubten – Industriecharme der Liegenschaft stehen jahrzehntealte Bausünden entgegen.

Auf den ersten Blick scheint die Konversion in Wohnungen eine verlockende Idee zu sein, schließlich mangelt es in den Städten an Wohnraum, Industrielofts sind en vogue und die Objekte befinden sich meist in den begehrten Innenstadtlagen. Da diese Produktionsstätten so individuell wie die Firmen sind, die sie jahrzehntelang geprägt haben, ist davon auch nicht pauschal abzuraten. Aber es gibt drei grundlegende Probleme:

Erstens eignen sich nicht alle Liegenschaften baulich für eine Konversion. Außerdem wäre es im Sinne der Nachhaltigkeit problematisch, eine funktionierende und erhaltenswerte Immobilie einfach zurückzubauen.

Zweitens werden urbane Gewerbegebiete infolge zu vieler Konversionen immer seltener. Dadurch lässt sich die von der Politik gewünschte Verbindung zwischen Wohn- und Arbeitswelt nicht realisieren – das genaue Gegenteil ist der Fall. Wenn das Gewerbe an den Rand der Städte gedrängt wird, entstehen Monokulturen und der Pendelverkehr nimmt zu.

Drittens ziehen sich die Genehmigungsverfahren zur Umnutzung in Wohnraum oft über Jahre hin und in den meisten Fällen erfolgt der Auszug des Traditionsunternehmens in Etappen. Bevor die neuen Bewohner einziehen können, geht also viel Zeit verloren und es herrscht Stillstand auf dem Areal.

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Ein flexibles gewerbliches Nutzungskonzept erweist sich häufig als die bessere Lösung: Wo einstmals Monokultur herrschte, siedeln sich Start-ups und mittelständische Unternehmen verschiedenster Branchen an. Beeindruckende Beispiele sind die „neue balan“ in München-Ramersdorf, ein Industriekomplex aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, der seit 2007 nach dem Wegzug von Infineon sukzessive zum gemischt genutzten Gewerbepark modernisiert wurde. Heute arbeiten dort IT-Unternehmen neben Kommunikationsdienstleistern, Verlagen und Gastronomen. Ähnliche Beispiele sind das Carlswerk in Köln, das sich von einer Kabelfabrik zum Stadtquartier gewandelt hat, oder die ehemaligen Borsigwerke in Berlin, die bereits seit den 90er Jahren von der Produktionsstätte für Lokomotiven und Landmaschinen zum Einkaufszentrum inklusive Büros und Gesundheitszentren umfunktioniert wurden.

Die frei werdenden Flächen werden sukzessive neu vermietet. Dazu ist ebenfalls ein umfassender Rück- und Umbau durch einen spezialisierten Projektentwickler und Vermieter nötig. Doch das Ergebnis kann sich für alle Seiten lohnen. Für Arbeitnehmer entstehen neue, häufig sogar vielseitigere Jobperspektiven, als dies in der vorherigen Mononutzung gegeben war. Für Kommunen bleiben die Steuereinnahmen gesichert, die durch eine Mischnutzung zudem breiter verteilt werden. Der Wegzug eines einzelnen Unternehmens fiele dann weniger stark ins Gewicht.

Auch für die Anwohner kann vieles getan werden: Bei einer solchen Revitalisierung besteht die Möglichkeit, dass sprichwörtlich Mauern eingerissen werden – abgeschottete, umzäunte Areale werden auch baulich für die Nachbarschaft geöffnet. Wenn ein ehemaliges Firmenareal den Wandel zu einem Stadtquartier vollzieht, ist dies außerdem häufig mit neuen Freizeit- und Kulturangeboten verbunden. Dazu kann ein Verlag gehören, der regelmäßig Lesungen veranstaltet, genau wie eine städtische Bühne oder eine Boulderhalle. Mehrwert für Anwohner können auch eine Kita oder eine Kantine schaffen.

Wenn sich die neuen Unternehmen nach und nach am Standort etablieren, beginnen sie in der Regel auch damit, sich kulturell zu verwurzeln. Sie gehen Sponsorings ein, beteiligen sich an gemeinnützigen Projekten oder stellen die Mittel für die Renovierung des benachbarten Bolzplatzes bereit. Vielleicht entsteht dadurch zwar keine neue „Werkself“, aber dennoch ein neues Kapitel der gegenseitigen Bindung zwischen einem Unternehmen und den Anwohnern in seiner Nachbarschaft.

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