Es gibt Situationen im Leben, da schlagen zwei Herzen in unserer Brust.
Beispiel: Gästebettwäsche. Bei Gästebettwäsche ist es ja so: Auf der einen Seite wollen wir unseren Gästen eine gute Nacht bereiten. Denn wir sind ja gute Gastgeber. Auf der anderen Seite: Mein Gott, die schlafen nur eine Nacht im frisch bezogenen Bett. Was für eine Verschwendung. Nach knapp acht Stunden wird die frische Wäsche wieder abgezogen und kommt in Waschmaschine und Trockner. Und wir wissen alle: Nach vier, fünf Waschungen sieht man das dem Gewebe schon an.
Was tun wir also intuitiv? Wir greifen im Schrank nach der Bettwäschegarnitur ganz hinten. Zu der, die wir selber nicht mehr mögen, weil sie schon so ausgewaschen ist. Die kann ruhig noch einmal gewaschen werden. Die ist gut genug für die Gäste, die ja ohnehin nicht wissen, was für hübsche farbsatte satinzarte neue Garnituren vorne im Schrank liegen.
Aber als Gäste spüren wir: Diese aufgeribbelte Bettwäsche mit den Knötchen und mit der bis zur Unleserlichkeit verblichenen Wascheinleitung, die zerfetzt seitlich aus dem Kissen hängt, die heißt so viel wie: Sei froh, dass du hier pennen darfst.
Und so ähnlich ist es auch im Büro. Auf der einen Seite ist es ja immerhin der Ort, der darüber entscheidet, ob wir sagen können: Mein Job macht mir Spaß, oder ob wir im Alter von 50 mit blutenden Magengeschwüren in Kur müssen.
Andererseits: Es ist eben gerade NICHT das Zuhause. Und um zu verhindern, dass die Arbeit für uns einen derartig hohen Stellenwert einnimmt, dass sie uns Magengeschwüre, Burnout, Panikattacken oder Depressionen verleiht, kommt es uns darauf an, die Bedeutung von Job, Kollegen und Büro-Arbeitsplatz herunter zu spielen.
Das bedeutet in der Konsequenz: Warum sollten wir es uns bei der Arbeit schön machen? Es ist doch nur ein Job.
Und so starren hunderttausende von Menschen Montag bis Freitag von acht bis 17 Uhr auf hässliche Werbekalender mit getuschten Kräutergarten-Motiven oder mit Fotos von Mähdreschern, statt auf selbstgekaufte schöne Kalender.
Und auf halbkahle Zimmerpflanzen in braunen Aquakultur-Bottichen, statt zusammenzulegen und bei Ikea einen jugendlichen Fikus zu besorgen.
Denn: „Ich bin doch nicht bescheuert und gebe privates Geld für die Einrichtung meines Büros aus!“
Andererseits: Wir sind doch auch bei der Arbeit sensible Wohlfühl-Wesen. Und dieses Einerseits-Andererseits, unsere innere Zerrissenheit, zeigt sich am allerbesten bei den Kaffeetassen.
Denn obwohl es doch nur Job-Tassen sind: Wir klammern uns an sie und gehen mit unserer Kaffeetasse durch den Tag. Die Bürotasse ist das Schnuffeltuch der Arbeitswelt.
Und trotzdem sind diese Bürotassen oft so unfassbar hässlich und kaputt. Warum? Man könnte sagen: Das letzte bisschen Anarchie in einer fast vollends durchgetakteten Arbeitswelt. So greift einer meiner Bekannten laut eigener Aussage im Hochsommer am liebsten zum Glühwein-Krug vom Weihnachtsmarkt 2004. So lachen Schreibtisch-Hengste.
Hat man dann nicht schon aufgegeben?
Man könnte aber auch ganz aufgeregt fragen: Fängt die innere Kündigung nicht schon bei der Kaffeetasse an? Millionen von Menschen trinken ihren Kaffee oder Tee aus Tassen mit Sprüchen wie „Unseren Chef muss man einfach mögen, sonst fliegt man raus“, mit von der Spülmaschine abgefressenen Logos von Firmen, die es zum Teil heute schon gar nicht mehr gibt, mit Dekors, von denen man nicht wahrhaben will, dass die jemals wirklich ein Designer gelungen fand, mit Macken, an denen man sich die Mundwinkel aufschneiden kann.
Wie geht es einem seelisch, wenn einem das eigene Schnuffeltuch so egal ist? Hat man dann nicht schon aufgegeben?
An allem schuld ist wieder der Gästebettwäsche-Effekt. Man bringt eben nicht seine Lieblingstasse mit ins Büro. Sondern die Tassen, die man zuhause nicht mehr sehen kann. Weil sie aber noch dazu taugen, Flüssigkeiten zu halten, sind sie zu schade für den Müll. Also ab ins Büro. Aus meiner Sicht ist das ein Fehler. Und ich bin nicht allein.
Einige Menschen, die auf eigene Seelen-Pflege setzen, bringen tatsächlich „ihre“ Tasse mit in die Firma. Aber dann geht es weiter mit dem Unheil: Denn dort treffen sie auf Kollegen, denen Kaffeetassen so egal sind wie das Muster auf der Küchenrolle. Sie greifen koffein-hungrig im Schrank nach irgendwas mit Henkel. Ohne Rücksicht auf mein und dein. Und schon kommen die E-Mails: „Der- oder diejenige, der/die einfach meine große Tasse mit dem winkenden Küken drauf weggenommen hat, ohne zu fragen, möge sie bitte sofort wieder in die Teeküche bringen. Wiedersehen macht Freude.“
Es ist nicht schön.
Dass Bürokugelschreiber massenhaft für immer verschwinden, kann ich ja noch verstehen. Die kosten 10 Cent im Einkauf, sehen auch so aus und schreiben so. Dass da keiner Hochachtung vor hat und sie ständig verschlampt, ist kein Wunder.
Mit Tassen ist es aber eben anders. Der Blick in den Schrank einer Büro-Kaffee-Küche spricht Bände. Ich kenne Firmen, da hat der Arbeitgeber jedem Angestellten eine eigene Tasse mit Namenszug geschenkt. Weil man erkannt hat: Die Kaffeetasse beeinflusst die innere Haltung.
Es gibt Firmen, da fallen einem aus dem Schrank scheinbar die Reste eines Polterabends entgegen. Botschaft: Macht doch, was ihr wollt, und seht, wo ihr bleibt.
Ein Drittel unseres Lebens verbringen wir im Bett. Und kaufen uns deshalb gute Matratzen.
Aber wir verbringen eben auch ein Viertel unseres Berufslebens bei der Arbeit. Grund genug für eine schöne Tasse. Ich persönlich habe zwei Tassen im Büro: eine große für viel Tee und eine kleine für Kaffee. Die spüle ich zum Feierabend mit der Hand und stelle sie in meinen Büro-Schrank. Es ist eben MEINE Tasse. Und wenn mal was ist, halte ich sie ganz fest.
Aber meine Gäste kriegen trotzdem die Bettwäsche von ganz hinten. Sorry.