Die Älteren unter den Leserinnen und Lesern werden sich vielleicht noch an eine der großen deutschen Fernsehserien der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre erinnern. „Der Kommissar“ mit dem famosen Erik Ode, ein in sich ruhender, kleiner, älterer Mann, der umringt von seinen ausnahmslos männlichen Assistenten auf Verbrecherjagd ging und sie alle kriegte. Unter anderem spielte der junge Fritz Wepper alias Harry einen der Zuarbeiter des alten Kommissars, der gerne auch schon mal bei seinen Vernehmungen einen Cognac oder Whisky nahm und obligatorisch zum Essen ein, zwei Bierchen. Das Gesamtbild aber wurde erst rund durch die Umgangsform mit den Mitarbeitern: Er duze seine Jungs, die sagten „Sie“ zu ihm, und das fand damals niemand komisch.
Das wirkt heute aus der Zeit gefallen. Alle duzen sich immer. Das heißt heute „auf Augenhöhe“, weil durch das vertraute Du im Deutschen eine Nähe ausgedrückt wird, während das Sie die distanziertere Form ist. Niemand will zurück ins Gestern, wo der Kommissar seine Jungs wie solche behandelte und sich die das auch gefallen ließen.
Aber warum machen wir eigentlich dann alle so erfreut mit? Das Geheimnis, von dem hier in Widerworte noch öfter die Rede sein wird, heißt Gruppendruck. Wahrscheinlich finden sehr viele, die in der Firma von heute auf morgen geduzt werden, das gar nicht so toll. Denn sie wissen natürlich, dass sich durch das Du, dass Ihnen der Chef anbietet, gar nicht so wahnsinnig viel ändert. Die Hierarchie nicht beispielsweise, auch nicht das Arbeitspensum, im Gegenteil. Wo das distanzierte Sie herrscht, ist die Form gewahrt, das heißt aber auch: Die Form dessen, was der Deal ist, was man gibt, was man nimmt.
"Bewirb dich bei uns" - Müssen Sie den Personaler jetzt siezen oder duzen?
Deutsche Bewerber stecken in der Klemme, wenn sie immer häufiger in Stellenanzeigen geduzt werden. „Hast Du Lust, in einem dynamischen Team zu arbeiten? Dann bewirb Dich bei uns!“ Wie antworten Sie in diesem Fall professionell und angemessen? Eins vorweg: Richtig oder falsch gibt es nicht, wohl aber verschiedene Möglichkeiten.
Quelle: Careerbuilder
Wer geduzt wird, kann zurückduzen: „Liebe Petra, ich würde mich freuen, wenn ich mich bei Euch persönlich vorstellen darf.“ Eine Ausnahme gibt es aber: Wenn es sich um eine Stellenanzeige zum Beispiel für ein Praktikum oder eine Berufsausbildung handelt, die sich ganz konkret an Schüler und Jugendliche richtet, sollten diese den Personaler trotzdem konventionell siezen. Die Ansprache per „Du“ wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit deshalb gewählt, weil sich junge Menschen zwischen 16 und 18 Jahren mit dem formellen „Sie“ nicht angesprochen fühlen.
Wie gesagt: Sie dürfen das „Du“ aus der Stellenanzeige gern annehmen, Sie müssen aber nicht. Es macht keinen Sinn, sich bereits im Anschreiben total zu verbiegen, um vermeintlichen Erwartungen zu genügen. Wenn Sie sich unwohl damit fühlen, den (unbekannten) Personaler zu duzen, dann sollten Sie das auch nicht tun. Einige Experten empfehlen zum Beispiel, in zwei kurzen Sätzen zu erläutern, dass Sie lieber bei der formellen Ansprache bleiben. Das zeigt, dass Sie die Anzeige gewissenhaft gelesen und sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben.
Sind Sie einfach unsicher, weil Sie sich nicht vorstellen können, dass sich in diesem Unternehmen tatsächlich alle duzen oder ist Ihnen der Job so wichtig ist, dass Sie bei im Anschreiben kein Risiko eingehen wollen, dann können Sie immer noch zum Telefon greifen. Ein Anruf beim Personaler bringt Ihnen Klarheit und Sie keineswegs in Verlegenheit. Es beweist, dass Sie in Ihrer Bewerbung keinen Fehler machen und alle Chancen auf den Job wahren wollen.
Für Unentschlossene gibt es noch den Mittelweg. Der muss nicht unbedingt „golden“ sein, vielleicht attestiert Ihnen mancher auch mangelnde Entscheidungsfreude. Sie sprechen den Personaler mit Vornamen an, siezen ihn oder sie dann aber im weiteren Textverlauf. Eine Umgangsvariante, die auch in der Praxis zum Teil üblich ist. Alternativ können Sie statt einer konkreten Person auch das Team ansprechen. „Liebes XY-Team, ..] gerne möchte ich mich persönlich bei Euch vorstellen.“ Das ist etwas unpersönlicher aber trotzdem nicht steif. Egal ob „Du“ oder „Ihr“ – bitte kommen Sie nicht auf die Idee, das Anschreiben mit „Viele Grüße Dein Matthias“ oder „Bis bald Eure Katrin“ zu beenden. Das wäre dann wirklich zu viel des Guten. Ein „Mit freundlichen Grüßen“ plus Ihr Vorname ist die bessere Wahl.
Unter Duzern, die schon fast Freunde sind oder wenigstens – ich sage nur „Augenhöhe“ – welche sein könnten, läuft das anders. Da kann man schon mal ein wenig extra verlangen, mit einem unausgesprochenen: Wir sind doch per Du, uns also nah, also bitte, und das „Team“ braucht Dich. Das ist die Kehrseite der Medaille der großen, schönen Worte: Man wird eingenordet, eingezäunt.
Wenn eine Gruppe oder eine Person freundlichst und nett jemanden durch sozialen Druck dazu bringt, etwas zu tun, nennen wir das übergriffig. Es greift also jemand nach etwas, was ihm nicht gehört und nicht zusteht, etwa eine besondere Beziehung und damit verbunden besondere Privilegien. Aber wollen das die Leute nicht so? Schade eigentlich, denn das ist kein Zeichen für soziale Klugheit, im Gegenteil. Wer gerne geduzt wird, auch von Chef und Chefin, aber in einer Hierarchie steckt, die dadurch nur Vorteile erlangt, der hat etwas ganz Grundlegendes nicht verstanden: Dass Arbeitsverhältnisse Geschäftsbeziehungen sind. Klare Rechnung, gute Freunde – so hat man es früher gesagt. Und das heißt auch: Klare Ansprache, gute Freunde. Das ist ein Problem eines Führungsstils, der sich „modern“ gibt und vielleicht sogar glaubt, es zu sein, damit aber auch die Distanz, eine ganz großartige Erfindung unserer Kultur und Sozialwesens, beschädigt.
Distanz ist klug, denn sie lässt uns Sachverhalte klarer sehen, Interessen bekommen Kontur, während sie aus der Nähe zu sehr verschwimmen. Das Sie, und das gilt auch im Gespräch mit den Kundinnen und Kunden, ist kein Defekt, sondern ein Zeichen, dass wir unser Gegenüber ernst nehmen, dass wir bereit sind, uns an die Regeln zu halten und Leistung und Gegenleistung schätzen. Das spricht dann eben auch für ein echtes und ehrliches, oder wie man heute auf Neudeutsch sagt: achtsames Du unter Kolleginnen und Kollegen. Ein erprobtes, bewährtes sozusagen. Aber nicht eins, bei dem die Nähe umsonst ist und damit, wir wissen es alle, eben nichts wert.
In diesem (Wort)sinn grüßt herzlich Ihr Wolf Lotter
Lesen Sie auch den vorherigen Teil der Kolumne: Stöckchenspringen für Anfänger