2011 waren nur 35 Prozent der Deutsche-Bank-Aktionäre auf der Hauptversammlung. „Bei einer so schwachen Präsenz wie bei der Deutschen Bank haben unsere Empfehlungen eine besonders durchschlagende Wirkung“, sagt von Oehsen. Allein ISS-Kunde Blackrock, die größte Fondsgesellschaft der Welt, besitzt knapp sechs Prozent der Deutsche-Bank-Aktien.
Laut von Oehsen kontrollieren ISS-Kunden bis zu 15 Prozent des Aktienkapitals einzelner Dax-Gesellschaften. Die nur scheinbar niedrige Quote verleiht ISS vor allem bei Unternehmen Einfluss, deren Aktien – wie bei Allianz, BASF oder Adidas – zu über 90 Prozent im Streubesitz sind, die also keine großen Ankeraktionäre haben.
Weil immer mehr Unternehmen die Dienste der Aktionärsberater nutzen, steigen die Teilnahmequoten auf den Hauptversammlungen der Dax-Gesellschaften wieder kräftig (siehe Grafik). EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier reicht dies noch nicht, er will Großanleger per EU-Richtlinie zu mehr Einmischung zwingen. Dahinter steckt der Vorwurf, dass eine zu lasche Eigentümerkontrolle mitverantwortlich war für die Finanzkrise.
Klare Prognosen
Viele Investoren erhoffen sich von den Hauptversammlungen klare Prognosen zu den Geschäftsaussichten. Darauf hätten auch Privatanleger ein Recht, sagt Thomas Hechtfischer, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Mit der nichtssagenden Floskel ,Wir fahren auf Sicht‘ sollten sich Aktionäre nicht abspeisen lassen.“ Vorstände, die im Nebel stocherten, sollten dann eben Gewinnprognosen für diverse Szenarien – Konjunktur stagniert oder schrumpft, Euro-Krise eskaliert oder ebbt ab – liefern.
Die zukünftigen Gewinne bestimmen letztlich, ob die Eigentümer in den kommenden Jahren noch mit so üppigen Dividenden wie im vergangenen Jahr rechnen können, als die 30 Dax-Konzerne 25 Milliarden Euro überwiesen haben. Einige Konzerne, sagt DSW-Mann Hechtfischer, seien sogar zu spendabel, etwa der mit 3,6 Milliarden Euro Schulden belastete und unter Fehlinvestitionen in Brasilien leidende ThyssenKrupp-Konzern. Immerhin hat der Stahlkonzern anders als zunächst erwartet auf eine Erhöhung der Dividende doch verzichtet.
Strippenzieher in der Kritik
Heute muss der Aktionärsberater weltweit kaum Konkurrenz fürchten. In den USA hat ISS nur einen nennenswerten Mitbewerber – die wesentlich kleinere Firma Glass, Lewis & Co. In Europa haben sich vier kleinere Berater aus Frankreich, Italien, der Schweiz und den Niederlanden zum Netzwerk „Expert Corporate Governance Services“ zusammengeschlossen. „ISS hat weltweit einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent“, schätzt Juschus von Ivox.
Viel Einfluss zieht auch Kritik auf sich. Recht selbstherrlich setzten die Aktionärsberater, die bislang keiner Aufsicht unterliegen, immer strengere Standards, kritisieren Unternehmen. Das gelte besonderes für die Unternehmensfinanzierung, wo ständig neue Regeln für Kapitalerhöhungen und Aktienrückkäufe verabschiedet werden. ISS muss sich Kritik anhören, ähnlich wie US-Ratingagenturen, die sich bei Europas Schuldenpolitikern unbeliebt gemacht haben. „Es besteht vielfach der Eindruck, dass Proxy Advisors das angelsächsische Verständnis von Corporate Governance zu unreflektiert auf Kontinentaleuropa und Deutschland übertragen“, sagt Gerrit Fey vom Deutschen Aktieninstitut (DAI), einer Lobbyorganisation börsennotierter Unternehmen.