Der Neue macht ordentlich Dampf: Carsten Kengeter, ehemaliger Investmentbanker bei der UBS und seit Frühjahr 2015 auf dem Chefsessel der Deutschen Börse, lässt seiner Ankündigung, die Deutsche Börse zu einem Spieler in der Weltliga zu machen, Taten folgen. Frankfurt soll mit der London Stock Exchange (LSE) zusammengehen – wieder einmal. Kengeters Vor-Vorgänger Werner Seifert wird das aus einem Exil in einem irischen Küstendorf mit Interesse beobachten. Er selbst hatte den Deal mindestens zweimal versucht: Im Boomjahr 2000 ganz radikal mit dem Projekt „iX“. Zum Glück stoppte damals ein Gegenangebot der skandinavischen Börse OM den Deal – sonst wäre der gesamte deutsche Aktienhandel mit Ausnahme des wenig später völlig zertrümmerten Neuen Markts nach London abgewandert.
Die gescheiterten Fusionspläne der Deutsche Börse AG
17. Juli 2000
Die Deutsche Börse präsentiert einen Plan für die Gründung de iX international exchange zusammen mit der Londoner LSE. Die beiden Partner hoffen, mit der paneuropäischen Handelsplattform weitere Börsenbetreiber mit ins Boot zu holen. Das Projekt scheitert allerdings an mangelnder Unterstützung.
Sommer 2003
Der damalige Chef der Deutschen Börse, Werner Seifert, trifft sich mit Euronext-Chef Francois Theodore. Die Gespräche über eine Fusion werden allerdings beendet, nachdem sich beide Seiten nicht über die Bewertung ihrer Häuser einig werden.
Frühling 2004
Seifert und Theodore nehmen ein weiteres Mal Kontakt auf. Ein Zwist über die Besetzung der Führungspositionen lässt sie abermals ergebnislos auseinandergehen.
August 2004
Die Schweizer Börse SWX lehnt Pläne der Deutschen Börse für eine Fusion, faktisch eine Übernahme, ab.
13. Dezember 2004
Die Deutsche Börse veröffentlicht ein Übernahmeangebot für die LSE über knapp zwei Milliarden Euro, das 2005 am Widerstand des Hedgefonds und Deutsche-Börse-Aktionärs TCI scheitert.
21. Februar 2006
Der neue Börsenchef Reto Francioni legt ein vorläufiges Fusionsangebot für die Pariser Euronext vor und facht damit ein Konsolidierungsfieber in der Branche an.
19. Mai 2006
Die Deutsche Börse dient Euronext-Chef Theodore die Führung eines vereinten Unternehmens an, besteht allerdings auf Frankfurt als Hauptsitz. Auch der Großteil des Managements sollte am Main angesiedelt sein.
Juni 2006
Die Deutsche Börse unterbreitet der Euronext einen überarbeiteten Fusionsvorschlag. Die Frankfurter geben in der Hauptquartiersfrage nach, doch der Vorstoß kommt zu spät: Die Euronext schließt sich mit der NYSE zusammen.
19. Mai 2006
Die Deutsche Börse dient Euronext-Chef Theodore die Führung eines vereinten Unternehmens an, besteht allerdings auf Frankfurt als Hauptsitz. Auch der Großteil des Managements sollte am Main angesiedelt sein.
Juni 2006
Die Deutsche Börse unterbreitet der Euronext einen überarbeiteten Fusionsvorschlag. Die Frankfurter geben in der Hauptquartiersfrage nach, doch der Vorstoß kommt zu spät: Die Euronext schließt sich mit der NYSE zusammen.
Dezember 2008
Deutsche Börse und NYSE Euronext loten eine Fusion aus. Die Pläne werden vorzeitig bekannt und scheitern.
April 2011
Die Börse wagt einen weiteren Versuch, mit der Nyse Euronext als Partner eine neue Größenordnung zu erreichen. Die US-Börsen Nasdaq OMX und ICE wollen die Fusion mit einer Gegenofferte für die Nyse torpedieren.
Februar 2012
Der Traum Francionis platzt erneut. Die EU-Kommission untersagt die Milliardenfusion mit den Amerikanern aus schwerwiegenden wettbewerbsrechtlichen Bedenken. Die EU fürchtet vor allem ein weltweites Monopol im Handel mit europäischen Finanzderivaten.
Seiferts letzter Versuch eines Zusammengehens mit der LSE scheiterte 2005. Rebellierende Hedgefonds unter Führung von Chris Hohn jagten Seifert damals vom Hof. Wertvernichtend und nicht im Interesse der Aktionäre sei der Deal, hieß es damals. Seifert flüchtete in sein irisches Cottage und die Hedgefonds installierten den gemütlichen Schweizer Reto Francioni.
Der versuchte sein Glück dann mehrfach mit der europäischen Euronext. Die aber warf sich lieber in die Arme der New York Stock Exchange (Nyse). Eine von Francioni mit eingefädelte Fusion der Frankfurter mit Nyse Euronext scheiterte letztlich an der schlechten Vorbereitung - die EU-Kommission legte ihr Veto ein. Seither herrschte lähmende Stille in Frankfurt - bis Kengeter kam. Der Ex-Investmentbanker macht jetzt das, was er offensichtlich am besten kann: Deals.
Positive Reaktion auf den geplanten Zusammenschluss
Im vergangenen Sommer kaufte er die Devisenhandelsbörse 360 T für 725 Millionen Euro. „Ein erstklassiges Unternehmen, mit einer ganz starken Stellung bei deutschen Großunternehmen“, lobte ein auf Börsenaktien spezialisierter Hedgefonds-Manager im Sommer die Übernahme des wertvollsten deutschen Fin-Tech-Unternehmens. Kengeter bezahlte viel, wohl aber nicht zu viel. Das scheint auch jetzt bei der LSE der Fall zu sein. Die Reaktion der Börse auf den geplanten Zusammenschluss – Deutsche-Börse-Aktien stiegen um knapp 9 Prozent, die der LSE um 19 – legt diese Vermutung auf jeden Fall nahe. Aktionäre der Deutschen Börse sollen für jede ihrer Aktien eine neue Aktie bekommen, die Aktionäre der LSE für jede LSE-Aktie 0,4421 neue Aktien erhalten. Am Ende hielten die Aktionäre der Deutschen Börse rund 54,4Prozent und die Aktionäre der LSE rund 45,6 Prozent des Kapitals, das im Zuge des Deals kräftig erhöht wird.
Kengeter weiss: Der Deal ist noch nicht durch, eine Menge kann noch schief gehen, vom Widerstand rebellischer Aktionäre bis hin zu den Kartell- und Aufsichtsbehörden. Möglicherweise hat er aber schon abgesichert, schon mal, anders als Francioni oder Seifert, bei Behörden und Fonds vorgefühlt. Wohlmöglich ist auch deswegen schon etwas durchgesickert.
Scheitert der Deal, bedeutet das nicht zwangsweise Kengeters Abschied. Jedenfalls nicht, wenn man seine Vorgänger als Maßstab sieht, die sich ja jeder einige Fehlschüsse leisten konnten. Sein Widerpart Xavier Rolet, Chef der LSE, dürfte, anders als seine Vorgänger, auch ein erhebliches Interesse am Gelingen haben. Denn wenn tatsächlich der Brexit, das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU, kommen sollte, stünde er ganz komfortabel mit mehr als nur einem Bein in der Eurozone.