Börsenkultur Warum die Deutschen Angst vor Aktien haben

Spätestens seit der T-Aktie wollen die Deutschen mit der Börse nichts mehr zu tun haben, schlechte Erfahrungen haben ihnen die Laune verdorben. Woher die Aktien-Angst kommt und wie der Weg an die Börse dennoch klappt.

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Im November 1996 zeigt der damalige Telekom-Chef Ron Sommer auf den Erstausgabepreis für die T-Aktie an der Börse Frankfurt. Quelle: dpa

Es war des Volkes Aktie. „Telekom. Die machen das.“ – so pries Schauspieler Manfred Krug 1996 in allen deutschen Fernsehwohnzimmern die T-Aktie an. Mit Erfolg. Die erste Tranche des Papiers verkaufte sich im November 1996 schneller als so mancher ISDN-Vertrag. Der Erfolg ließ den Kurs der Aktie in die Höhe schießen, auch die zweite und dritte Tranche im Juni 1999 sowie rund zwölf Monate später wurden sorgenfrei gezeichnet wie ein neuer Mobilfunkvertrag. Es war der letzte Höhepunkt der deutschen Aktienkultur.

Mittlerweile ist davon nichts mehr übrig. Manfred Krug bedauert zutiefst, dass er eine Aktie empfohlen hat, die zahllosen Privatanlegern hohe Verluste eingebracht hat. Und die Anleger? Die Mehrheit hat der Börse auf Nimmerwiedersehen gesagt und Kinder, Enkel sowie Freunde gleich mitgenommen oder zumindest gewarnt. Seit 2001 hat die Zahl der Aktionäre in Deutschland um fast ein Drittel abgenommen. Die Aktienkultur in Deutschland ist zurück auf Sparflamme. Und die flackert immer kleiner.

Weniger Fondsanleger

2013 haben laut Zahlen des Deutschen Aktieninstituts (DAI) 600.000 Bundesbürger weniger in Aktien investiert als noch im Vorjahr. Vor allem Fondsanleger waren demnach auf dem Rückzug, zahlreiche Anleger haben sich aus dieser Anlageklasse zurückgezogen. Die Zahl der Anleger, die in Einzelaktien investierten, blieb zwar stabil, liegt aber weiterhin auf niedrigem Niveau. Lediglich 7,1 Prozent der Deutschen haben einen Teil ihres Vermögens in einzelne Aktien investiert. Insgesamt besaßen 2013 8,9 Millionen Deutsche Aktien oder Aktienfonds. Das sind gerade einmal 13,8 Prozent der über 14-Jährigen. Zum Vergleich: Zuletzt besaßen die Bundesbürger zusammen über 93 Millionen Lebensversicherungen. Im Schnitt besitzt damit jeder Deutsche über 14 Jahren rund 1,4 Lebensversicherungen.

In der aktuellen Niedrigzinsphase ist dieser Widerspruch besonders groß. Denn während der Liebling der Deutschen, die Lebensversicherung, nur mickrige Zinsen abwirft, lief es an der Börse zuletzt gut. Allein 2013 – zugegebenermaßen ein zentralbankbedingt sehr gutes Börsenjahr – fuhr der Dax ein Plus von gut 25 Prozent ein. Nicht nur die Kursstände sind hoch, viele Unternehmen belohnen ihre Geldgeber auch mit einer ansehnlichen Dividende. All das lassen sich Börsenabstinenzler entgehen.

Das muss sich dringend ändern, findet Christine Bortenlänger, Geschäftsführender Vorstand des Deutschen Aktieninstituts und damit Chef-Lobbyistin für Aktien. „Um in Deutschland wieder eine Aktienkultur zu etablieren, muss sich etwas in den Köpfen der Leute ändern“, sagt die Managerin. Vor allem müssten Vorurteile und falsche Vorstellungen von Aktieninvestments bekämpft werden.

Bortenlänger nennt dafür ein Beispiel. Vor kurzem habe sie eine Schulklasse im Institut besucht. Zunächst interessierten sich die Schüler vor allem dafür, ob die DAI-Mitarbeiter denn auch selber an der Börse handeln würden. Aber gleich darauf fragten die Schüler: „Haben Sie auch schon viel Geld mit Aktien verloren?“. „In den USA, einem Land mit einer sehr ausgeprägten Aktienkultur, wäre die Frage gewesen ‚Did you make a lot of money‘ – haben Sie viel Geld verdient?“, sagt Bortenlänger. Im Gegensatz zu den Bundesbürgern besitzt mehr als jeder zweite Amerikaner Anteilsscheine eines Unternehmens.

Erfahrungen prägen Risikobereitschaft

Die Ausschüttungen der Dax-Konzerne

Psychologisch lassen sich diese Vorurteile leicht erklären. Denn an der Börse werden schlechte Nachrichten in der Regel deutlich stärker gewichtet als gute. Der Grund ist offensichtlich: Läuft alles gut, schenkt die Öffentlichkeit den Kursen nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig. Kommt es allerdings zu einer Krise wie der Lehman-Pleite oder der Euro-Schuldenkrise und die Kurse brechen ein, wird das Geschehen auf dem Börsenparkett genau beobachtet und hinterfragt. Die Konsequenz daraus: Aktien werden viel mehr mit Begriffen wie Spekulation und Derivaten in eine Kiste gepackt, gelten als undurchsichtig. Als das, was sie eigentlich sind – nämlich Eigentumsanteile an Unternehmen, gehandelt an regulierten Börsen – werden sie dagegen selten betrachtet.   

Prägende Erfahrungen    

Dazu passen auch mehrere Studien, die gezeigt haben, wie wichtig Erfahrungen für das eigene Risikoverhalten sind. Die beiden Ökonomen Ulrike Malmendier und Stefan Nagel haben das anhand von langen Datenreihen untersucht. Sind Generationen, die von einer wirtschaftlichen Krise geprägt sind, wie beispielsweise dem Zusammenbruch des Neuen Markts, weniger risikobereit und weniger aktiv an den Aktienmärkten als Generationen, die in ökonomischen Boomzeiten aufgewachsen sind?

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Das Ergebnis: Ein enger Zusammenhang zwischen der Risikobereitschaft eines Anlegers und der jeweiligen Entwicklung an den Aktienmärkten. Wer hohe Erträge am Aktienmarkt erlebt hat, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit zum Anleger als der, der mit sinkenden Kursen aufgewachsen ist. Auch die Risikobereitschaft ist demnach von den Erfahrungen abhängig. Die Wissenschaftler weisen deshalb darauf hin, dass die „Generation T-Aktie“ aufgrund ihrer negativen Erfahrungen für die Börsen verloren ist. Vielmehr müsse bei jüngeren Anleger angesetzt werden und deren Bewusstsein für die Aktienanlage geschärft werden.  

Forscher wie Nagel haben ebenfalls rausgefunden, dass eigene Erfahrungen ebenfalls schwerer wiegen als Bildung und Börsenwissen. Dabei trommeln gerade Befürworter einer verbesserten Aktienkultur immer auch für mehr ökonomische Bildung in der Schule. Ein Widerspruch? „Mehr ökonomische Bildung ist die Voraussetzung dafür, Erfahrungen an der Börse machen zu können“, erklärt Bortenlänger. Nur so könnten Börsenereignisse auch rational eingeordnet werden. Tatsächlich ist das Fach Wirtschaft aus vielen Stundenplänen in Deutschland verschwunden. Das Prinzip von Angebot und Nachfrage oder die Frage, wie ein Markt funktioniert, wird hauptsächlich Wirtschaftsstudenten im ersten Semester näher gebracht.

Steuerliche Nachteile

Neben mehr Bildung wird auch die Besteuerung von Aktieninvestments regelmäßig als nachteilig gegenüber anderen Anlageformen kritisiert. „Steuerlich wird ein Investment in Aktien diskriminiert“, sagt Bortenlänger. Aufgrund der Körperschaftssteuer auf Unternehmens- und der Abgeltungssteuer auf Anlegerebene werde die Anlage praktisch doppelt versteuert. Etwas anders sieht es beispielsweise bei Immobilieninvestments aus. Wer sein Betongold verkauft, muss den Gewinn nicht versteuern – zumindest dann nicht, wenn man das Objekt mindestens zehn Jahre besessen hat. Genauso steuerfrei ist der Verkauf, wenn der Besitzer in den Jahren vor dem Verkauf selber in der Immobilie gewohnt hat.   

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Während die Skepsis gegenüber der Aktie im Nachbarland Frankreich ähnlich ausgeprägt ist wie in der Bundesrepublik sieht es beispielsweise in Skandinavien anders aus. In Skandinavien ist der Anteil der Aktionäre etwa doppelt so hoch wie hierzulande. Das liegt vor allem daran, dass ein Teil der Altersvorsorge etwa in Schweden aus einer obligatorischen, kapitalgedeckten Komponente besteht. Dadurch ist der Aktienanteil in der schwedischen Altersvorsorge automatisch höher. Das  wiederum führt zu einem höheren Interesse für die Börse, der Anleger will schließlich wissen, wie sich seine Altersrücklage entwickelt. Der DAI fordert daher auch für Deutschland mehr kapitalgedeckte Altersvorsorge. Die bisherigen Riester-Möglichkeiten sind allein aufgrund der Freiwilligkeit kaum mit dem schwedischen Modell vergleichbar.

In den USA wird die Aktienkultur auch durch Belegschaftsaktien angekurbelt, die viele Konzerne an ihre Mitarbeiter ausgeben. Das findet zwar auch in Deutschland statt, aber in deutlich geringerem Umfang. Außerdem birgt das auch Gefahren. Denn wer nur seine Belegaktien hält, aber in nichts anderes investiert und so sein Risiko streut, verliert im Fall einer Pleite im Zweifel zweierlei: seinen Job und das angelegte Kapital.

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Doch auch ohne kapitalgedeckte Altersvorsorge ist der Einstieg an der Börse kein Hexenwerk. Wer seine Angst überwinden will, muss sich lediglich genau überlegen, was er mit seinen Ersparnissen eigentlich vorhat und wie seine persönliche finanzielle Situation aussieht. "Wer vernünftig in Aktien anlegt und das investierte Kapital als langfristige Anlage sieht, muss auch keine negativen Erfahrungen machen", sagt Niels Nauhauser, Geldanlage-Experte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Statt ständig irgendwelchen Trends hinterherzulaufen und in Modethemen zu investieren, gelte es, mit ruhiger Hand günstige Produkte auszuwählen, so Nauhauser. "Denn das viele hin und her kostet das meiste Geld".

Zunächst muss eins klar sein: Eine verbesserte Aktienkultur soll nicht dazu führen, dass plötzlich jeder in Aktien investiert. Zwar muss man für die Börse kein Millionär sein, eine finanzielle Grundlage sollte allerdings da sein, bevor in Aktien investiert werden kann. Für so eine eiserne Reserve bietet sich beispielsweise Tagesgeld an – dann muss die Aktie nicht gleich verkauft werden, nur weil der Kühlschrank kaputt ist.

Wer über diesen Notgroschen verfügt, Risiken wie Berufsunfähigkeit abgesichert hat und immer noch über ausreichend Liquidität verfügt, kann das unter anderem auch in Aktien anlegen. Dafür braucht es keine Millionenbeträge wie bei Uli Hoeneß. Für kleinere Summen eignen sich Fonds, da sie automatisch eine Streuung bieten und damit ein geringeres Risiko bedeuten. Wer stattdessen nur in einige wenige Einzelaktien investiert, holt sich ein großes Klumpenrisiko ins Depot.

Am günstigsten kommen Einsteiger mit Indexfonds davon, die einen bestimmten Aktienindex nachbilden. Teurer sind aktiv gemanagte Fonds, allerdings ist deren Anlagespektrum teilweise breiter als bei Indexfonds. Auch das Risiko fällt entsprechend geringer aus. Nauhauser rät Einsteigern zu einem Indexfondssparplan. Dieser sollte möglichst in einen weltweit anlegenden Index investieren, wie den MSCI World. Dieser streut das Risiko sehr breit. Wer langfristig anlegt, ist damit auf der sicheren Seite. Seit 2005 hat der MSCI World um mehr als 50 Prozent zugelegt. Gleichzeitig hilft der Sparplan dabei, regelmäßig Geld zur Seite zu legen. Diese Regelmäßigkeit hilft auch dabei, schlechtere Phasen zu durchsparen.  

Das wichtigste: Einsteiger und „Angstüberwinder“ dürfen nicht den beliebten Fehler der Börsenangsthasen machen: Teuer kaufen, wenn die Kurse schon enorm gestiegen sind, und billig verkaufen, wenn schon alles zu spät ist. Denn die Börse ist zumindest für Privatanleger nichts, um kurzfristig Geld verdienen zu wollen.

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