Grüne Geldanlage „Umsätze mit Gas sind bei uns kein generelles Ausschlusskriterium“

Gas als grünes Investment? Das Heizkraftwerk Linden wird mit Erdgas befeuert. Quelle: dpa

Die EU-Kommission will Atomstrom und Gas als grüne Energiequellen einstufen. Deka-Nachhaltigkeitsexperte Ingo Speich erklärt, warum er davon nicht viel hält und wie Fondsgesellschaften auf den Vorstoß reagieren könnten.

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Ingo Speich ist Leiter der Abteilung Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment. Er kümmert sich bei der Sparkassentochter um die Umsetzung von Nachhaltigkeitskriterien im Portfolio- und Produktmanagement.

WirtschaftsWoche: Herr Speich, die EU-Kommission will Atomenergie und Gas in die sogenannte Taxonomie aufnehmen, also künftig als nachhaltig einstufen. Was halten Sie davon?
Ingo Speich: Ich sehe das kritisch. Die Produktion von Atomstrom ist aus Kapitalmarktsicht mit großen Risiken verbunden. Wenn es zum Beispiel in Zukunft irgendwo in Europa eine komplett grüne Regierung gäbe, könnte sie hohe Rückstellungen von Atomstromproduzenten verlangen, wegen der ungeklärten Endlagerfrage. Anleger haben mit Atomwerten schon heute ein hohes regulatorisches Risiko im Portfolio. Hinzu kommt: Nachhaltigkeit bedeutet, dass künftige Generationen durch unser heutiges Verhalten nicht über Gebühr belastet werden dürfen. Dieses Nachhaltigkeitsversprechen wird mit der Endlagerproblematik gebrochen.

Würden Sie Atom- und Gaswerte trotzdem in Ihre Nachhaltigkeitsfonds aufnehmen, falls sie künftig als grün gelten?
Nein. Wir schließen Unternehmen aus, die mehr als fünf Prozent ihres Umsatzes mit Atomenergie erwirtschaften. Das werden wir auch nicht aufweichen. Umsätze mit Gas sind bei uns kein generelles Ausschlusskriterium. Aber: Wir schauen uns die CO2-Emissionen an. Sie dürfen nicht zu hoch sein. Dadurch sind viele Gasunternehmen automatisch draußen. Auch daran werden wir festhalten.

Ingo Speich ist Leiter der Abteilung Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investments. Quelle: Presse

Was bringt die Taxonomie-Verordnung überhaupt, wenn Fondsanbieter sich gar nicht danach richten?
Sie ist zunächst nur eine Definition von Nachhaltigkeit der EU und fürs Erste außerdem sehr eng gefasst: Sie deckt momentan nur die Bereiche Klimawandel und Klimaschutz ab. Soziales und gute Unternehmensführung zum Beispiel sind noch komplett außen vor. Für Portfoliomanager hat die Taxonomie deshalb bislang keine Relevanz – würde man sich danach richten, wäre das in Frage kommende Anlageuniversum viel zu klein. Das wird sich ändern, wenn die Taxonomie breiter und investierbarer wird. Ein weiterer Schritt wird am 2. August dieses Jahres gemacht: Dann tritt die EU-Präferenzabfrage in Kraft. Makler und Finanzanlagenvermittler müssen ihre Kunden dann aktiv fragen, ob sie nachhaltig investieren wollen.

Die Diskussion um Gas und Atomstrom ist also noch rein akademisch?
Sie ist für die Fondsbranche kaum von Relevanz, weil es bisher ohnehin keine Taxonomie-konformen Anlageprodukte gibt. Für Unternehmen würde die Einstufung von Atom und Gas als grüne Energien aber einen wichtigen Unterschied machen. Betroffene Energieanbieter bekämen damit die Legitimation, sich am Kapitalmarkt unter grünem Label Geld zu besorgen, etwa mit Green Bonds. Mit diesen Anleihen müssen konkrete Nachhaltigkeitsprojekte finanziert werden. Das könnten dann auch Projekte aus dem Bereich Gas und Atom sein.

In Zukunft könnten Indizes, die Wertpapiere aus der Atom- und Gasbranche umfassen, als Grundlage für ESG-Indexfonds dienen.
Aus EU-Sicht könnte man solche Investments dann als nachhaltig vertreiben, das stimmt. Die Frage ist aber: Was sagt die nationale Aufsicht? In Deutschland könnte die Finanzaufsicht Bafin eigene Vorgaben für Ausschlüsse insbesondere im Privatkundenvertrieb oder bei Nachhaltigkeitsprodukten erlassen. Die EU-Taxonomie hätte dann praktisch keinen Einfluss mehr.

Wie fänden es Ihre Kunden, wenn Atomstrom als grün gelten würde? Manche Anleger schließen sich sicher der Einstufung dieser Energiequelle als „grüne Brückentechnologie“ an.
Aus Sicht unserer Kunden ist die Sache klar: Atomenergie und Gas passen nicht zu nachhaltigem Investieren. Dass die EU-Kommission das anders sieht, ist auf den Einfluss einzelner Staaten zurückzuführen. Der Geist der Taxonomie wurde der Industriepolitik einzelner EU-Mitgliedsstaaten geopfert.

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Die Anti-Atomkraft-Bewegung ist sehr deutsch. Könnte es die Akzeptanz der Taxonomie auf EU-Ebene erhöhen, wenn Kernkraft ein Teil davon wird?
Das ist schwer zu sagen. Ich denke, dass eher das Gegenteil der Fall sein wird. Ja, die Ablehnung von Atomkraft ist in Deutschland besonders hoch. In anderen europäischen Ländern gibt es dafür aber starke Vorbehalte gegen Gas. Insgesamt bin ich recht sicher, dass beides tatsächlich in die Taxonomie einfließen wird und unterm Strich die Akzeptanz der Verordnung verringern wird. Man wird sehen, was das dann auf Anlegerebene heißt. Meine Vermutung ist, dass Investorinnen und Investoren Taxonomie-konforme Produkte, wenn es sie denn gibt, weniger stark nachfragen werden, wenn Atom- und Gastitel darin enthalten sind.

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