Intelligent investieren

Was der Investor von Oscar Wilde lernen kann

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Fingerspitzengefühl und eine Sicherheitsmarge sind gefragt

Zweitens: Kennt man den Wert der Aktie, kann man Schwankungen der Börsenkurse zum eigenen Vorteil nutzen. Rutscht beispielsweise der Börsenkurs unter den Wert der Aktie, so lohnt sich ein Kauf. Mit anderen Worten: Börsenpreisschwankungen lassen sich als Chance nutzen. Sie sind keine Gefahr, sondern vielmehr hilfreich, mit seinen Anlageentscheidungen attraktive Renditen erzielen zu können.

Wie aber lässt sich nun aber der Wert der Aktie konkret ermitteln? Das ist keine leichte Aufgabe. Man muss in der Lage sein, die künftigen Zahlungsströme, die das Unternehmen erwirtschaften kann, hinreichend verlässlich abzuschätzen. Und man muss zum anderen auch in der Lage sein, den „richtigen“ Zins zum Abdiskontieren der künftigen Zahlungen zu wählen. Beides erfordert Kenntnis, Erfahrung und Fingerspitzengefühl.

Doch künftige Faktoren wie Umsatz und Gewinn sind bekanntlich unsicher und mitunter nur sehr schwer vorherzusagen. Auch die Wahl des richtigen Diskontierungszinssatzes ist ein überaus schwieriges Unterfangen. Weil die Wertermittlung der Aktie stets mehr oder weniger ungenau ausfallen muss, sollte der umsichtige Investor mit einer „Sicherheitsmarge“ arbeiten. Was heißt das?

Der berühmte Ökonom John Maynard Keynes verglich die Einschätzung von Aktien mit der von Kandidatinnen eines Schönheitswettbewerbs. Das ist zwar einprägsam, aber irreführend. Wie Aktienkäufer stattdessen besser vorgehen.
von Thorsten Polleit

Das heißt, dass nur dann in eine Aktie investiert wird, wenn der Abstand zwischen dem Preis, den man für die Aktie an der Börse zahlt, deutlich unter ihrem Wert liegt. Dadurch steigt nicht nur die Investitionsrendite. Es verringert sich auch das Investitionsrisiko: Ist die Sicherheitsmarge hinreichend groß gewählt, schützt das den Investor vor Fehleinschätzungen – wie beispielsweise davor, den künftigen Gewinn überschätzt zu haben.

Schön und gut, werden Sie sagen. Aber nicht jeder hat die Zeit, nicht jeder kann das. Wenn Sie so denken und dennoch überzeugt ist, dass das erfolgreiche Investieren davon abhängt, dass man Wert der Aktie hinreichend genau kennt, sollten Sie mit guten Value Investoren zusammenarbeiten. Gute Value Investoren machen nämlich genau das: Sie suchen und ermitteln den Wert von Aktien und investieren nur dann, wenn der Preis unter dem Wert liegt.

"Nächster Abwärtszyklus vor der Tür"

Sie sollten dann jedoch auch ein dickes Fell haben. Denn Value Investoren gehen antizyklisch vor: Wenn alle in Panik verkaufen, stehen sie auf der Käuferseite. Und sie rennen auch nicht jedem Trend, jeder Mode hinterher, sondern investieren langfristig im Wissen, dass die Börsenkurse um den Wert der Aktien schwanken. Mit anderen Worten: Sie müssen als Value Investor Börsenkursschwankungen aushalten können.

Gute Value Investoren sind, um auf Oscar Wilde zurückzukommen, also keine Zyniker. Sie sind aber auch keine Sentimentalisten, wie ein anderer Darsteller in Wildes Bühnenstück, Cecil Graham, sie beschreibt: Diejenigen, die einen absurden Wert in allem sehen und nicht den Marktpreis der Dinge kennen. Gute Value Investoren kennen beides genau: Preis und Wert, die unverzichtbaren Elemente für langfristig erfolgreiches Investieren.

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