Ölproduktion in den USA Warum Amerikas Ölbranche vor „Harvey“ zittert

Ein Tropensturm rast auf die Golfküste der USA zu. Es könnte der mächtigste seit mehr als zehn Jahren sein. Nicht nur Immobilieneigentümer verbarrikadieren ihre Häuser, auch die Ölindustrie bangt.

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Menschen in der texanischen Hafenstadt Corpus Christi verbarrikadieren ihre Häuser, teils versehen mit trotzigen Botschaften an den aufziehenden Wirbelsturm. Quelle: AP

Frankfurt Über der amerikanischen Ölindustrie zieht ein Sturm auf. Nein, es handelt sich nicht um ein abgedroschenes Sprachbild, sondern eine tatsächliche meteorologische Bedrohung: Der Tropensturm Harvey rast auf die texanische Küste zu. Am Freitagabend (Ortszeit) könnte er sie erreichen. Harvey könnte der mächtigste Hurrikan seit mehr als zehn Jahren sein, der auf das amerikanische Festland trifft. Neben Eigenheimbesitzern fürchten Ölkonzerne um ihr Hab und Gut.

Das Nationale Hurrikanzentrum NHC hat den Wirbelsturm in Kategorie 2 der fünf Kategorien umfassenden Skala hochgestuft. Es wurden Windgeschwindigkeiten um 160 Kilometer pro Stunde gemessen. Wenn Harvey auf das Festland trifft, könnten sie noch wesentlich schneller ausfallen.

Grund genug für die Ölindustrie, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Denn fast die Hälfte der Raffinerie-Kapazität des Landes, also jenem Gewerbe das Öl zu Benzin und anderen Treibstoffen verarbeitet, liegt an der Golfküste. Hiervon mussten laut Reuters-Schätzungen knapp zehn Prozent geschlossen werden, „was einem Nachfrageausfall von knapp einer Million Barrel pro Tag entspricht“, erklären die Rohstoffexperten der Commerzbank.

Je näher der Hurrikan kommt, desto stärker schlägt sich die Nervosität beim Preis für das nordamerikanische Leichtöl WTI nieder. Ein Barrel (159 Liter) kostet am Freitag mit 47,90 Dollar rund 50 Cent mehr als am Vortag. Bei den Preisen für Benzin schlägt der Hurrikan schon jetzt voll durch: Seit Mittwochabend hat sich der Treibstoff um knapp neun Prozent verteuert. Eine Gallone (3,8 Liter) kostete zuletzt 1,71 Dollar.

Corpus Christi ist einer der bedeutenden Raffinerie-Standorte in den USA. Dort hat nach Angaben von S&P Global Platts etwa das Ölunternehmen Flint Hills seine 300.000 Barrel/Tag-starke Raffinerie geschlossen. Unternehmen wie Valero, Phillips 66, Marathon und Shell haben zwar noch nicht gehandelt, seien aber vorbereitet. „Wir behalten den Sturm im Auge und werden insbesondere für unsere Anlagen in Corpus Christi und Three Rivers im Falle der Fälle entsprechende Entscheidungen treffen“, sagte ein Valero-Sprecherin S&P Global Platts. Da auch der Schiffsverkehr vom Sturm betroffen ist, wird zudem die Ölversorgung der Raffinerien eingeschränkt. Der Hafen von Corpus Christi sei für den Schiffsverkehr geschlossen, erklärte eine Sprecherin der Hafenbehörde dem amerikanischen Wirtschaftssender CNBC.

Laut der US-Energiestatistikbehörde EIA befinden sich allein im Golf von Mexiko rund 17 Prozent der amerikanischen Ölförderung. Die Unternehmen haben bereits begonnen, ihre Bohrplattformen im Golf zu evakuieren. Nach Angaben des Bureau of Safety and Environmental Enforcement betrifft dies 39 von 737 bemannten Plattformen. Sicherheitsventile unter der Meeresoberfläche werden geschlossen, um im Falle eines Unfalls das Austreten von Öl zu verhindern. Insgesamt wird die Ölversorgung damit um knapp 170.000 Barrell eingeschränkt.

Derzeit fördern die USA täglich 9,4 Millionen Barrel Öl. Allein die Raffinerien an der texanischen Golf-Küste können täglich rund fünf Millionen Barrel Öl verarbeiten.

Auch an Land werden erste Vorkehrungen getroffen. Zwar sieht es so aus, als würde Harvey die derzeit stärkste Schieferöl-Region Permian im Westen von Texas verschonen. Der Wirbelsturm droht aber den Schieferöl-Gürtel Eagle Ford, der sich vom Südwesten des Bundesstaates in den Nordosten zieht, zu treffen. Statoil, das zwei Plattformen dort betreibt, hat diese gesichert und evakuiert das Personal. ConcoPhillips hat seine Bohraktivitäten vorübergehend ausgesetzt.

Wie groß die Auswirkungen auf dem Ölmarkt am Ende sein werden, hängt sehr davon ab, ob sich der Sturm Harvey – wie von Meteorologen befürchtet – bis zum Eintreffen auf dem Festland noch verstärkt oder nicht. Die Industrie hofft, größerem Unheil zu entgehen.

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