
Ende Oktober war die Welt in Villingen-Schwenningen noch in Ordnung. Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hatte die Hess AG an die Börse gebracht, Anleger hatten den Leuchtenhersteller mit 35,7 Millionen Euro ausgestattet. Hess konnte Schulden tilgen und Eigenkapital aufbauen. Eigentlich wäre der Weg für mehr Wachstum nun frei gewesen.
Doch statt einer erfolgreichen Börsenstory erlebten Anleger einen Börsenkrimi. Die Aktie ist abgestürzt. Banken hatten zuletzt die Guthaben des Familienunternehmens eingefroren und Kreditlinien gesperrt. Töchter von Hess hatten akuten Liquiditätsbedarf. Keine vier Monate nach dem Börsengang (IPO) muss Hess jetzt Insolvenz anmelden. Das Unternehmen teilte mit, dass der Vorstand am heutigen Mittwoch „nach umfassender Prüfung festgestellt“ habe, dass „die Hess AG zahlungsunfähig ist, ihr die positive Fortführungsprognose fehlt und die Gesellschaft nach derzeitigem Prüfungsstand überschuldet“ sei. 2013 sei ein Verlust von bis zu zwölf Millionen Euro zu erwarten. Hess habe seit 2009 „Jahr für Jahr mehr Geld ausgegeben als eingenommen“. Dadurch habe Hess fortwährend neue Darlehen benötigt, die zunächst über Bankkredite, dann durch einen Private Equity-Investor und schließlich über Investoren abgedeckt worden seien, hieß es. Der Vorstand will noch heute Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht stellen. „Ziel ist es jetzt, Hess mit den Instrumenten der Insolvenzordnung zu sanieren und dauerhaft konkurrenzfähig aufzustellen“, sagte Vorstandschef Till Becker. Hess hat rund 380 Mitarbeiter.
Der IPO von Hess ist kein Ruhmesblatt für den ohnehin stotternden Markt für Börsengänge. Hess ging in den vergangenen Monaten als eines der wenigen Unternehmen an die Börse.
Hinter den Kulissen streiten sich die Beteiligten schlimmer als die Kesselflicker. Die Hess AG teilte mit, dass Ursache der Zahlungsunfähigkeit auch sei, dass die größte Aktionärin, die Hess Grundstücksverwaltungs GmbH & Co. KG, fällige Zahlungspflichten gegenüber der Hess-Gruppe nicht erfülle und auch sonst nicht zu ausreichenden Sanierungsbeiträgen bereit sei. Hinter der Grundstücksverwaltung steht mehrheitlich Christoph Hess. Den hatte der Aufsichtsrat am 21. Januar als Vorstandschef gefeuert, genau wie Finanzvorstand Peter Ziegler. Selbst Vize-Aufsichtsratschef Jürgen Hess stimmte dafür, dass sein Sohn abberufen wird.
Seither kämpft der Sohn gegen den Vorwurf, dass der Vorstand wissentlich gegen Bilanzierungsregeln verstoßen habe. Die Finanzlage, so die AG, sei 2011 und 2012 möglicherweise zu positiv dargestellt worden. Hess sagt, ihn habe keiner zu angeblich geschönten Zahlen gehört. Man verweigere ihm Einblick in Unterlagen.





Die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Mannheim ermittelt trotzdem, unter anderem wegen des Verdachts des Kapitalanlagebetrugs und falscher Angaben im Wertpapierprospekt. Ermittler haben Wohnungen sowie Arbeitsplätze der Ex-Vorstände durchsucht. Laut Staatsanwaltschaft werden die Unterlagen zwar noch monatelang ausgewertet. Der Anfangsverdacht habe sich allerdings nach den bisherigen Ermittlungen bestätigt, berichtete das Handelsblatt in seiner Mittwochsausgabe. Die Hess AG soll dabei auch mit Briefkastenfirmen gearbeitet haben. Ein Sprecher von Christoph Hess dementiert das. Vielmehr handele es sich bei den Firmen um Zulieferbetriebe und Eigenmarken. Die Staatsanwälte ermitteln trotzdem gegen mindestens zwei Hess-Mitarbeiter, die den Vorstand unterstützt haben könnten.