WirtschaftsWoche Online: Herr Riße, die Börse steht vor einer Richtungsentscheidung, die Schwankungen sind hoch. Wie ist diese Nervosität zu bewerten?
Stefan Riße: Für den langfristigen Trend ist die Stimmung an der Börse sicher sehr optimistisch. Es ist immer zu hören, an der Aktie führe kein Weg vorbei, Aktien seien alternativlos. Als Antizykliker lässt mich das etwas vorsichtiger werden. Kurzfristig ist nicht mit neuen Rekordkursen zu rechnen.
Sie glauben, die Mehrheit der Prognosen ist falsch?
Die große Mehrheit liegt immer falsch. Zwar nicht auf die ganz lange Sicht, da halte ich Aktien tatsächlich für alternativlos. Aber wenn alle neue Hochs voraussagen, passiert erst einmal das Gegenteil. Das haben wir am Jahresanfang gesehen: Da war der Optimismus für Aktien riesengroß, für Gold aber war die Mehrheit pessimistisch. Letztlich war Gold der große Gewinner, der Aktienmarkt eher schwieriger. Wenn alle für Aktien sehr optimistisch sind, geht es kurz- bis mittelfristig eher in die andere Richtung. Das ist dann die Chance, Papiere günstiger zu kaufen, bevor es auf lange Sicht wieder nach oben geht.
Zur Person
Stefan Riße, Jahrgang 1968, ist seit seinem 16. Lebensjahr leidenschaftlicher Börsianer. Kaum erwachsen, lernte er schon Börsenlegende Andre Kostolany kennen und blieb bis zu dessen Tod 1999 ein enger Freund. An den letzten drei Buchprojekten des Börsenaltmeisters arbeitete Riße aktiv mit.
Bekannt wurde Stefan Riße vor allem als Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender n-tv, wo von 2001 bis 2005 vom Frankfurter Börsenparkett berichtete. Von 2006 bis 2011 war er Chief Market Strategist der Deutschlandniederlassung von CMC Markets – dem ersten CFD-Market-Maker in Deutschland.
Ende 2009 erschien Rißes drittes Buch mit dem Titel "Die Inflation kommt - Die besten Strategien, sich davor zu schützen".
Seit Oktober 2011 ist er bei der HPM Hanseatische Portfoliomanagement GmbH als Portfoliomanager tätig und seit Juni 2012 federführender Manager des „Riße Inflation Opportunities Fonds UI“ . Das Börsengeschehen kommentiert er in seinem Blog www.rissesblog.de.
Sobald der Dax in die Nähe von 10.000 Punkten klettert, verlässt ihn die Kraft. Wäre dann nicht ohnehin eine Obergrenze erreicht?
Von solchen psychologischen Grenzen halte ich nicht sehr viel. Die werden überbewertet. Die 10.000-Punkte-Marke kann durchaus überschritten werden. Allerdings sorgen dafür meistens nicht Anleger, die auch oberhalb von 10.000 Punkten noch Aktien kaufen, sondern Profianleger, die auf fallende Kurse gewettet haben und sich mit Aktien eindecken müssen. Die müssen ihre Engagements bei steigenden Kursen dann eindecken, bloß weil der Markt aufgrund einiger weniger Käufe ins Laufen kommt. Denn wenn wir wie derzeit wenig Angebot haben, treibt schon eine geringe Nachfrage die Kurse weiter nach oben.
Die Zahlen der Unternehmen spielen demnach nur eine Statistenrolle?
Man muss sich vor Augen führen, dass theoretisch nur zwei Marktteilnehmer genügen, die ein Papier jeden Tag aufs Neue etwas teurer handeln. Wenn alle anderen still halten, steigen die Kurse. Wer auf fallende Kurse wettet – also short ist – kommt nicht raus, ohne immer höhere Preise zu bieten. Der Aktienmarkt ist im ganzen Herbst immer wieder von solchen Schüben nach oben getrieben worden. So einen spekulativen Schub würde ich auch vermuten, wenn wir mit dem Dax über die 10.000 Punkte klettern.
Das wäre dann wieder nur ein Strohfeuer an der Börse. Viele Experten sind sich aber einig, dass höhere Kurse auch fundamental – also mit den Unternehmensergebnissen – begründbar seien, die Märkte seien gar nicht so hoch bewertet.
Was die aktuelle Bewertung der Unternehmen betrifft, sehe ich kein hohes Risiko. Ich halte Aktien in diesem Zinsumfeld bestenfalls für fair bewertet, eher sind sie sogar unterbewertet. Die historischen Kurs-Gewinn-Verhältnisse, die als Vergleichsmaßstab herangezogen werden, sind aber alle aus Zeiten, in denen die Zinsen am Anleihemarkt bei vier, fünf Prozent lagen. Das ist mit der heutigen Zeit nicht mehr vergleichbar, in der die Dividendenrendite höher ist als die Zinsen auf zehnjährige Bundesanleihen. Was die künftigen Unternehmensgewinne betrifft, bin ich allerdings skeptischer. Ich glaube, wir werden Gewinnsteigerungen im zweistelligen Prozentbereich wie in den vergangenen Jahren nicht mehr sehen. Denn ein großer Teil der Gewinnsteigerungen beruhte darauf, dass die Unternehmen Kosten und Investitionen gesenkt haben. Aber die lassen sich nicht auf 100 Prozent steigern, auch die Kosten können nicht auf null sinken. Die Potenziale sind erschöpft.
"Börse kann so simpel sein"
Der fundamentale Rückenwind für neue Rekordstände fehlt also?
In Amerika gab es wahnsinnig viele Aktienrückkaufprogramme, das hat die Börsenkurse steigen lassen. Aber es gab eben auch einen Investitionsstau. Irgendwann müssen die Investitionen wieder zunehmen, dann können die Unternehmen entsprechend weniger Aktien zurückkaufen. Wenn wir fünf Prozent reale Anlagenrendite hätten, fände ich das schon richtig viel. Das heißt nicht, dass es nicht auch mal im Jahr wieder 20 Prozent nach oben gehen kann, aber dann ist es im Jahr vorher auch erst mal 15 Prozent gefallen.
Die Schwankungen sind jetzt schon hoch. Sie sagen, es könne beim Dax auch ganz schnell um 1.000 Punkte runtergehen. Ist das die Schwankungsbandbreite, mit der Anleger länger leben müssen?
Auf jeden Fall. 1000 Punkte sind ja nur zehn Prozent. Wenn viele mit spekulativem Engagement am Markt sind - etwa über den Terminmarkt mit hohen Hebeln und die entsprechenden Stop-Loss-Orders greifen –, ist so ein Rückschlag ganz leicht drin. In der Krimkrise lagen die Papiere offenkundig noch in relativ festen Händen. Sonst wäre auch ein Kursabschlag von 15 Prozent gut möglich gewesen. Aber wie ein Markt auf solche Situationen reagiert, hängt immer von seiner technischen Verfassung ab. Damit meine ich eben, in welchen Händen die Papiere sind, also ob sie sehr spekulativ oder konservativ und vorsichtig investiert haben. Erstere sorgen mit ihren zittrigen Händen für die starken Schwankungen, letztere mit ihren ruhigen Händen für die langfristig guten Aussichten.
Ist denn nicht zu befürchten, dass mit der Beruhigung der Euro-Krise und dem allmählichen Aufschwung in den USA auch immer mehr Aktienanleger wieder in Anleihen umschichten?
Börse kann so simpel sein. Für den mittelfristigen Trend gucke ich mir vor allem eines an: Was haben in den vergangenen zwölf Monaten die langfristigen Anleiherenditen gemacht, vor allem in den USA. Wenn die um mehr als einen Prozentpunkt gerutscht sind, werden wir eine Aufwärtsentwicklung am Aktienmarkt sehen. Wenn die Renditen aber stark gestiegen sind, wird das den Aktienmarkt bremsen. Auch da gilt wieder: Haben wir einen spekulativen Überhang, gibt es einen richtigen Kursrücksetzer. Sind wir ohnehin eher vorsichtig aufgestellt, wird die Börse eher seitwärts laufen und nicht mehr richtig einbrechen. Da ist die Einschätzung wichtig. Nach den deutlich gestiegenen Anleiherenditen in den USA mit einer Fortsetzung der Aktienhausse zu rechnen, halte ich deshalb für gefährlich. Ich bin für 2014 – das ist der Hauptgrund – eher skeptisch eingestellt. Die Rendite für dreißigjährige US-Staatsanleihen liegt eineinhalb Prozentpunkte über dem Tiefststand vom Herbst 2012. Bisher hat es noch nie eine Phase am Aktienmarkt gegeben, wo das nicht negative Spuren hinterlassen hätte – mit einem zeitlichen Abstand von drei bis zwölf Monaten.
Gilt dieser Mechanismus trotz politisch getriebener Börsen und Quantitative Easing, also der massiven Anleihekäufe durch die US-Notenbank?
Ja, aber der Zusammenhang war bis zum Jahr 2000 noch deutlicher. Neu ist, dass der langfristige Zins am Anleihemarkt steigt, es gleichzeitig aber Quantitative Easing gibt. Dafür haben wir kein historisches Beispiel. Insofern ist denkbar, dass die Notenbankpolitik den beschriebenen Effekt am Anleihemarkt komplett überlagert. Dann könnten Aktien nicht einbrechen, sondern sogar weiter steigen. Aber es wäre völlig spekulativ, das anzunehmen. Jetzt signalisiert der Anleihemarkt jedenfalls mehr Vorsicht am Aktienmarkt. Erst wenn die Kurse gefallen sind und die Renditen wieder um ein oder eineinhalb Prozent nach unten gerutscht sind, werde ich wieder auf der Optimistenseite zum Kauf von Aktien blasen.
"Vor einer Zinserhöhung müssen wir alle Banken verstaatlichen"
Wie bewerten Sie denn die Signale, die von der US-Notenbank kommen? Reagiert der Markt nicht allzu hysterisch auf Andeutungen jedweder Art?
Der Markt hat da einen kompletten Fetisch entwickelt. Zum Beispiel der Einbruch im Juni vergangenen Jahres war völlig unlogisch. Bernanke sagt, die Fed könne ab Herbst vielleicht die Anleihekäufe von 85 auf 75 Milliarden Dollar monatlich senken, und schon brechen die Aktienmärkte ein, auch der Goldpreis und die Schwellenländer brechen ein. Klar, das ist Psychologie und die haben gesehen, die Geldpolitik wird straffer. Aber die Geldpolitik wird nur von ultra-ultra-leicht auf ultra-leicht umgeschaltet. Die Geldpolitik ist leicht und sie bleibt auch leicht – und stützt insofern auch den Aktienmarkt.
Aber irgendwann sind die Anleihekäufe der US-Notenbank auf Null reduziert – und spätestens dann droht eine Leitzinserhöhung – auch in Europa.
Eine richtig restriktive Geldpolitik werden wir über Jahre gar nicht sehen können. Sonst bräche die Welt doch unter ihren Schulden zusammen. Für eine Leitzinserhöhung im Bereich von drei oder vier Prozent müssten wir vorher alle Banken verstaatlichen. Denn die sitzen voll mit Anleihen und müssen die immer wieder refinanzieren. Wenn die kurzfristigen Refinanzierungszinsen aber so hoch sind, sind gerade die europäischen Banken am Ende.
Seit Ausbruch der Finanzkrise warten die Sparer auf einen deutlichen Anstieg der Inflation, aber der blieb aus. Zuletzt sank die Inflation sogar deutlich. Warum glauben Sie immer noch, dass die Inflation deutlich steigen wird?
Die Inflation ist da. Sie macht sich zuerst am Aktienmarkt, dann am Immobilienmarkt bemerkbar. In den letzten Jahren ist sie eben am Anleihenmarkt gelandet. Irgendwohin muss das Geld ja fließen. Wir haben seit Mitte der 80er Jahre eine Geldmenge, die zweieinhalb Mal so schnell gestiegen ist, wie die Wirtschaftsleistung nominal zugenommen hat. Die Inflation sehen wir aktuell bei den Anleihen, zunehmend auch bei Aktien, sogar am Londoner Immobilienmarkt. Nur bei den Verbraucherpreisen noch nicht. Dort ist sie meiner Meinung nach aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Denn die Notenbanken werden alles tun, um eine langjährige Rezession mit vielen Pleiten – möglicherweise gepaart mit Deflation – um jeden Preis zu verhindern. Die Notenbanken können für 85 Milliarden oder für 850 Milliarden Dollar monatlich Papiere aufkaufen, bis die letzte Anleihe aufgekauft ist. Wenn es hart auf hart kommt, so prognostiziere ich, werden sie genau das machen.
Aber dann wird es wieder dauern, bis der Verbraucher etwas von der steigenden Inflation merkt.
Damit das beim Konsumenten ankommt, benötigen wir einen Inflationstrigger aus irgendeiner Richtung. In meinem Buch von 2009 hatte ich vermutet, die Inflation käme über die Rohstoffpreise. Jetzt glaube ich eher, dass sie von den Löhnen ausgeht. Die Reallöhne der normalen arbeitenden Bevölkerung in den USA steigen seit Jahren nicht mehr. Dort haben Menschen zwei bis drei Jobs, um den Lebensstandard der 90er Jahre zu halten. In den USA ist aller Zuwachs der letzten Jahre bei den reichsten fünf Prozent gelandet. Da muss etwas passieren, denn die Amerikaner wollen am Wirtschaftsaufschwung teilhaben. Das wird auch in Europa so gehen. Die jüngsten Lohnabschlüsse in Deutschland sind da schon ein Fingerzeig. Auch in den Schwellenländern ist das zu beobachten. In China ist der Mindestlohn mal eben um 15 Prozent angehoben worden; in den letzten Jahren hatten die Lohnsteigerungen von mehr als 100 Prozent. Jetzt steigen die Löhne schneller als die Produktivität. Dann werden die Importpreise für Produkte aus dieser Region steigen. Mit diesem Trigger könnte die Inflation auf drei oder vier Prozent springen.
"Notenbanken werden diese Inflation nicht bekämpfen können"
Dann werden die Notenbanken die Zinsen erhöhen und die Geldmenge verknappen.
Die Notenbanken werden diese Inflation nicht bekämpfen können. Denn um sie zu bekämpfen, müssten sie die Leitzinsen auf fünf Prozent erhöhen, damit Sparer einen positiven Realzins erhalten. Wenn die Notenbanken die Zinsen aber nicht derart erhöhen, kommen wir in die nächste Stufe, die Inflationsspirale. Dann müssen die Löhne noch stärker steigen, um die Inflation auszugleichen. Ich bin überzeugt, dass wird irgendwann kommen. Die Politik wird es dann sogar zulassen, weil es der Weg aus der Schuldenfalle ist. Das Wann ist allerdings wahnsinnig schwer. In meinem Buch lag ich falsch, 2014 wird das noch nicht eintreffen. Aber die Argumente dazu bleiben richtig.
Was heißt denn in der Konsequenz für Anleger, wie soll man sich aufstellen?
Edelmetalle halte ich für unentbehrlich, 20 Prozent meines Portfolios sind darin angelegt. Aktien bleiben längerfristig ohne Frage ein ganz wichtiges Vehikel. Ich würde nur auf dem aktuellen Niveau nicht kaufen. Im Moment versuche ich eher, auch mal taktisch auf fallende Kurse zu setzen. Das hat zum Jahresbeginn und in der Krimkrise auch ganz gut geklappt. Für höhere Renditen muss man ohnehin immer wieder mal rein und wieder raus gehen. Sonst werden auf längere Sicht keine fünf Prozent oder mehr reale Rendite drin sein. Jetzt im Moment würde ich aber den negativen Realzins mal ein paar Monate lang akzeptieren, bis ich die Aktien billiger bekomme.
Wenn die Inflation wirklich kommt, welche Anlagen in ihrem Fonds gehen dann durch die Decke?
Die Edelmetalle werden dann richtig laufen. Was wir beim Gold von 2001 bis 2011 an Anstiegen gesehen haben, war dann nur das Vorspiel. Die Aktien werden auch laufen, weil ich auf substanzstarke Aktien setze. Aber ich bin überhaupt kein Dogmatiker und gehöre nicht zu denen – wie manch andere institutionelle Anleger – die sich stur auf ein Szenario festgelegt haben. Das halte ich für gefährlich, denn die Notenbanken sind heute in der Lage, den Status quo aufrecht zu erhalten. Solange die Verbraucherpreise nicht steigen, können sie so viel Geld drucken wie sie wollen - ohne, dass das irgendjemandem schadet. Erst wenn die Verbraucher durch steigende Preise für Waren, Mieten, Immobilien betroffen sind, wird das Gelddrucken zu einem Problem. Deswegen setze ich nicht ausschließlich auf das Inflationsszenario, sondern rechne mit weiter niedrigen Zinsen. Die Inflation ist nun seit Jahrzehnten trotz steigender Geldmenge unter Kontrolle. Wenn das nochmal zehn Jahre so weitergeht, wird sich die Wirtschaft dennoch entwickeln. Dann muss man unbedingt in Aktien engagiert sein. Wenn sich dann der Goldpreis seitwärts bewegt oder sogar fällt, müssen die Aktien diese Verluste kompensieren. Dann kann sich auch mein Fonds trotz niedriger Inflation gut entwickeln.
"Die EZB wird Staatsanleihen der Krisenländer kaufen"
Wo sehen sie die größten Unsicherheitsfaktoren?
Bis sich Europa stabilisiert und die EZB wieder eine Geldpolitik für alle Euro-Staaten machen kann, wird es noch dauern. Noch sind die Krisenländer nicht über den Berg. Die haben noch nicht einmal 50 Prozent der Wegstrecke geschafft, um wieder wettbewerbsfähig und zu gleichwertigen Schuldnern zu werden. Deswegen tritt EZB-Chef Mario Draghi sehr wortgewaltig auf – und ich glaube, er wird den Worten nach den Europawahlen auch Taten folgen lassen. Dann wird die nachlassende Inflation für ihn Grund genug sein, um Anleihen zu kaufen – und zwar vorrangig die Staatsanleihen der Krisenländer, um die Zinsunterschiede weiter anzugleichen.
Das andere große Risiko sehe ich in der Krim-Krise. Wenn Putin sich weiter der Einverleibung ehemaliger Sowjetrepubliken widmet und Sanktionen nicht greifen, bleibt nur noch die militärische Option. Dann sind wir zurück im kalten Krieg. Das wäre auch für die Aktienmärkte eine neue Situation. Die Wachstumsprognosen, die auf dem florierenden Welthandel basieren, wären hinfällig.
Gelten die Lehren ihres verstorbenen Freundes André Kostolany in so einem Umfeld überhaupt noch?
Insgesamt ist die Situation schon komplexer als zu Kostolanys Zeiten. Entscheidend sind für die Wechselwirkung zwischen Anleihemarkt und Aktienmarkt aber vor allem die amerikanischen Anleihen. Die machen die Tendenz an der Wall Street und damit an den Aktienmärkten weltweit. Das gilt sicher auch noch für deutsche Anleihen. Was Kostolanys Aussage betrifft, man solle Aktien kaufen und Schlaftabletten nehmen, so wird das in den Medien immer falsch wiedergegeben. Das war kein Dauer-Credo von ihm. Nach wie vor sind viele seiner Ansätze gerade was Börsenpsychologie betrifft, auch heute noch gültig. Schauen Sie sich Griechenland an. Vor ein paar Jahren wollten die Anleger die griechischen Schuldtitel nur loswerden und trieben die Zinsen für griechische Staatsanleihen auf 25 Prozent. Jetzt reißen sich institutionelle Anleger um diese Anleihen, die gerade mal fünf Prozent Rendite bringen. Obwohl die Arbeitslosigkeit in Griechenland auf Rekordniveau gestiegen ist. Die Mehrheit der Anleger – auch der institutionellen – ist nach wie vor dem Herdentrieb erlegen. Diesen Zyklus hat schon Kostolany mit den „Hartgesottenen“ und den „Zittrigen“ schön beschrieben. Und postuliert, dass man zu den wenigen gehören muss, die sich diesem Herdentrieb widersetzen. Wenn die Herde in voller Größe und mit höchster Geschwindigkeit galoppiert, sollten sich Anleger verabschieden.