Stelter strategisch

Verluste sind wieder „sexy“

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Einhörner und Zombies an der Börse

Nicht alle Profis sehen die Entwicklung positiv. Zwar führt Investorenlegende Peter Thiel vor allem das einseitige und seiner Meinung nach intolerante politische Klima im Silicon Valley als Grund für seinen Umzug nach Hollywood an, doch stört ihn auch der zunehmende Mangel an kritischem Diskurs. „There’s a trend of monoculture and closed-mindedness“, lässt er sich zitieren. Kein gutes Umfeld für dauerhaft gute Investitionsentscheidungen.

Ponzi-Schema statt solider Gewinne?

Doch vielleicht geht es gar nicht so sehr um gute Geschäftsideen und nachhaltige Gewinne? Vielleicht geht es vielmehr darum, ein Geschäft so aufzublasen, dass man es zu einer überhöhten Bewertung an weniger clevere Investoren weiterreichen kann. Wenn ein Unternehmen wie Uber seit der Gründung gut 20 Milliarden verbrannt hat, auf absehbare Zeit keine Gewinne machen wird und dennoch für 100 Milliarden plus x an die Börse gebracht wird, müssen alle Alarmglocken läuten. Wenn ein Unternehmen wie WeWorK – eine edlere Version von Regus-Büros auf Zeit – bei einem Umsatz von 1,8 Milliarden einen Verlust von 1,9 Milliarden US-Dollar macht, erst recht.

Börsengänge dienen dann dazu, den Investoren der ersten Stunde einen Ausstieg zu ermöglichen. Und dieser Ausstieg erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem die Börse aufnahmebereit und liquide ist. Tendenziell also an der Spitze des Zyklus, nicht am Tiefpunkt. Ich habe das in der Vergangenheit an dieser Stelle schon am Beispiel von Glencore und Rocket Internet erläutert. Investoren der ersten Stunde beim IPO liegen mit beiden Werten noch deutlich im Minus.

Die Lehren daraus gelten erst recht bei den nun anstehenden Börsengängen:

1. Insider sind keine Menschenfreunde. Wenn Unternehmen an die Börse gehen, geschieht dies nur selten aus dem Motiv heraus, die Allgemeinheit an den Erträgen teilhaben zu lassen. Entweder ist es echte finanzielle Not, oder es ist Zeit für die Insider, Kasse zu machen. Welcher Insider wird schon verkaufen, wenn er es nicht muss und er weitere hohe Erträge erwartet? Im Fall von Rocket Internet hat sich das wieder einmal bewahrheitet. Das Vermögen der Gebrüder Samwer unterlag einem erheblichen Klumpenrisiko. Es war also an der Zeit, zu diversifizieren und Geld aus dem Unternehmen abzuziehen. Dies macht niemand, wenn er davon ausgeht, dass die große Wertsteigerung noch bevorsteht. Rocket an die Börse zu bringen, war deshalb mehr der finanziellen Optimierung der Eigentümer geschuldet, als der Notwendigkeit Geld, einzusammeln. Außer man sah es auf „dummes Geld“ ab, welches keine Mitsprache sucht. Auch keine gute Motivation aus Sicht der neuen Aktionäre.

2. Euphorie ist ein schlechter Ratgeber. Als Glencore an die Börse ging, lag ein Jahrzehnt Rohstoffboom hinter uns. Von Chinas unersättlichem Rohstoffhunger getrieben, kannten die Rohstoffe nur eine Richtung: nach oben. Man sprach bereits von einem strukturellen Wandel und einem Superzyklus. Überall wurden im Glauben an den immerwährenden Boom neue Kapazitäten geschaffen. Dabei hätte ein Blick in die Geschichte genügt. Auch früher gab es im Rohstoffsektor die Hoffnung auf einen ewigen Boom – der bitter enttäuscht wurde.

Der enorme Kapitalbedarf und das oftmals wenig differenzierende Geschäftsmodell der Unternehmen sind eine gefährliche Konstellation. Selbst wenn das Geschäft gut ist, kann es an Mangel an Kapital vor Erreichen des Zieles – also echter Gewinne – pleitegehen. Geschieht dies, bevor das Unternehmen an die Börse gegangen ist, verlieren die Investoren ihren Einsatz. Gelingt zuvor ein Börsengang, sichern sich Gründer und Investoren der Vorrunden einen schönen Gewinn und partizipieren dennoch überproportional an der weiteren Entwicklung, sollte es doch gut gehen. Die neuen Aktionäre kommen spät ins Spiel und tragen ein deutlich höheres Risiko, ohne dafür adäquat vergütet zu werden.

Je unsolider das Geschäft und je größer der Kapitalbedarf, desto mehr ähnelt das Ganze einem Ponzi-Schema. Man muss nur solange mitmachen, bis sich ein anderer – dümmerer – Investor findet, der einem den Ausstieg ermöglicht.

So haben Einhörner und Zombies mehr gemein, als man denken möchte. Beide leben von der Liquiditätsflut der Notenbanken. Beide leben von der Tatsache, dass in einer Welt, wo mehr als zehn Billionen US-Dollar Anleihen nur noch negative Zinsen abwerfen, die Gier der Investoren nach Rendite immer größere Blüten treibt. Beide sind Indikatoren dafür, dass unser Finanzsystem marode und unsolide ist. Und beide mahnen, dass die nächste Krise noch schlimmer sein wird, als die letzte.

Die Flut an Börsengängen von Unternehmen ohne Gewinn und Gewinnaussicht ist vor allem eines. Ein absolutes Warnsignal für die Märkte oder in den Worten von Martin Gore: „Der gefallene Magier schwingt seinen Zauberstab / Und sofort erstirbt das Gelächter / Es ist mehr als eine Party.“

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