Titelseiten zur Börse Verkaufen, wenn der Börsenjubel am größten ist

Glaubt der Anleger den Titelseiten der Wirtschaftspresse, stehen an den Aktienmärkten goldene Zeiten ins Haus. In der Vergangenheit aber waren euphorische Börsentitel oftmals das Signal zum Ausstieg. Droht den Börsen ein Absturz?

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Börsentitel als Kontraindikator
Der Aktionär vom 15. Januar 2013 Quelle: WirtschaftsWoche Online
Der Aktionär vom 6. Februar 2013 Quelle: WirtschaftsWoche Online
Focus Money vom 12. Februar 2013 Quelle: WirtschaftsWoche Online
Der Aktionär vom 13. Februar 2013 Quelle: WirtschaftsWoche Online
Barron's vom 4. Februar 2012 Quelle: WirtschaftsWoche Online
Börse Online vom 24. Januar 2013 Quelle: WirtschaftsWoche Online
Focus Money vom 30. Januar 2013 Quelle: WirtschaftsWoche Online

Seit Anfang Februar ist die Börse auf Richtungssuche. Mehrfach strebte der wichtigste deutsche Börsenindex Dax in Richtung 8.000 Punkte. Doch so richtig reif ist die Zeit für den nächsten Boom am Aktienmarkt offenbar noch nicht, denn unter kräftigen Kursschwankungen – wie aktuell nach dem unklaren Wahlausgang in Italien - ging es an der Börse vor allem seitwärts.

Dabei schallte es in den vergangenen Monaten lautstark aus dem Blätterwald, als wären historische Hochs auf dem Frankfurter Parkett bereits ausgemachte Sache. In den ersten beiden Monaten des Jahres hatte es eine wahre Flut an Börsenthemen auf den Covern von Wirtschaftszeitungen und -magazinen gegeben, die zum Anlegersturm auf Aktien aufriefen. Optimismus allenthalben, der Dax müsste eigentlich jeden Augenblick zum nächsten Höhenflug ansetzen. Aber das Börsenbarometer kommt nicht vom Fleck. Könnte die Stimmung vielleicht sogar kippen?

Was die Dax-Konzerne für das Geschäftsjahr 2012 ausschütten wollen

Genau das befürchten einige Anleger, wenn sie sich die Titelseiten der Wirtschaftspresse der vergangenen Wochen ins Gedächtnis rufen. Denn wenn die Medien allzu euphorisch über den nahenden Aufschwung an den Aktienmärkten berichten und dies zum Top-Thema machen, gilt das vielen erfahrenen Börsianern als klarer Kontraindikator. Der verbreitete Börsenoptimismus ist nämlich den Anhängern des antizyklischen Investierens zufolge eher ein Signal zum Ausstieg aus Aktien. Demnach geht eine Aufwärtsbewegung an der Börse zu Ende, wenn es allzu optimistische Aktienmarktprognosen auf die Titelseiten von Zeitungen und Zeitschriften geschafft haben. Das gilt vor allem für Medien, die sich üblicherweise ganz anderen Themen als Börse und Geldanlage verschrieben haben und zugleich eine breite Masse erreichen. Getreu der alten Börsenweisheit, dass man sofort alle Aktien verkaufen soll, wenn einem der Taxifahrer Börsentipps gibt.

Der Bild-Zeitungsindikator

Hierzulande wird der Titelblatt-Indikator auch gerne der Bild-Zeitungsindikator genannt, angelehnt an einen Bild-Titel aus dem Frühjahr 2000. Damals hatte Deutschlands größte Tageszeitung auf seiner Titelseite versprochen, dass uns der Neue Markt alle reich machen werde. Tatsächlich kam dieser Bild-Titel nur wenige Tage vor Beginn der Trendwende an der Börse – und kündete damit unfreiwillig eine Absturz der Aktienmärkte an. Von den folgenden Kursverlusten, die im Dax erst drei Jahre später bei einem Stand von 2200 Punkten zum Stillstand kamen, hatte sich die Börse erst 2007 erholt.

„Damals haben alle über Aktien und den Neuen Markt gesprochen. Wer nicht wenigstens fünf Technologieaktien runterbeten konnte, stand auf Partys schnell allein da“, erinnert sich Joachim Goldberg, Gründer und Geschäftsführer des Analyseunternehmens Cognitrend in Frankfurt. Cognitrend erstellt unter anderem den wöchentlichen Bull-Bear-Index, der das Verhältnis der optimistischen zu den pessimistischen Börsenakteuren auf Basis aktueller Umfragen abbildet. „Das Gefährliche an euphorischen Börsentiteln ist, dass etwas beschrieben wird, was im Grunde schon passiert ist. Die optimistischen Anleger haben da schon längst Aktien gekauft, das Gros der Kursgewinne ist da bereits gelaufen“, sagt Goldberg.

Noch hat es der Börsenjubel nicht auf die Titelseiten von wirtschaftsfernen Zeitschriften oder Tageszeitungen geschafft, wenn man vom eher anlegernahen Handelsblatt absieht. Insofern gab der Titelblatt-Indikator noch kein klares Verkaufssignal. Doch die Wucht des medialen Börsenoptimismus in den einschlägigen Wirtschaftsblättern sollte Anleger mit einer gesunden Portion Skepsis aufhorchen lassen.

Hochgesänge der Wirtschaftsmagazine

Alle Dax-Aktien im Härtetest

Vorangeprescht war das Anlegermagazin „Der Aktionär“ am 15. Januar: „Dax 10.000 – Neue Rekorde in Sicht“ prangte auf dem Heft, versehen mit der Unterzeile: „So schlagen Sie den Index“. Das Handelsblatt kleidete seine Wochenendausgabe vom 18. Januar in eine Titelseite mit der Überschrift „Dax 10.000“. Subtext: "Warum der Aufstieg der deutschen Standardwerte sich fortsetzen wird – ohne dass eine Spekulationsblase entsteht." Die Tageszeitung widmet den Argumenten für eine lang anhaltende Hausse der Börsen neun Seiten.

Wettbewerber Börse Online titelte nur sechs Tage später mit „Aktien auf Rekordkurs“. „Focus Money“ legte Ende Januar nach: „Zögerst Du noch – oder kaufst Du schon?“. Die Unterzeile verriet: „Deutsche Aktien sind günstiger als Sie glauben“. Das Cover war zudem mit weiteren Kaufargumenten gespickt: „Zinssparer verlieren“ war auf der Titelseite ebenso zu lesen wie „Aktien sind die besseren Anleihen“.

von Stefan Hajek, Martin Gerth, Sascha Grundmann, Anton Riedl

Der Reigen setzt sich fort: „Der Aktionär“ lässt am 6. Februar auf seinem Cover einen Mann „Kaufalarm!“ in ein Megafon brüllen. Dax und Dow wären auf Rekordjagd, lässt die Unterzeile den Leser wissen und verspricht sechs Top-Aktien, die man jetzt haben müsse. Noch überschwänglicher schürt die wenige Tage später erschienene zitronengelbe Ausgabe von „Focus Money“ den Börsenoptimismus: „Alternativlos!“ steht dort dramatisch über einem dicken Geldstapel, der fünf Prozent Rendite mit dividendenstarken Aktien verheißt. „Warum Sie jetzt deutsche Aktien kaufen müssen! Und welche…“ erläutert der nebenstehende Satz die Schlagzeile. Nur einen Tag später zündet „Der Aktionär“ erneut eine Börsenrakete: „Europa feiert Comeback – Die Chance des Jahrzehnts“. Das Magazin empfiehlt mit Blick auf Spanien, Italien, Frankreich & Co. solide Aktien, mit denen Leser ein Vermögen verdienen können.

"Das billige Geld wird von den Märkten nicht mehr angenommen"

Aufschwung lässt auf sich warten

Doch an der Börse lässt sich der nächste Aufschwung Zeit. „Derzeit haben wir zu wenig Privatanleger am Aktienmarkt. Nach neuesten Zahlen finden überhaupt nur etwa zehn Prozent der Anleger Aktien als Geldanlage überhaupt attraktiv. Da ist noch viel Platz für neue Investoren“, sagt der Experte für Anlegerverhalten Joachim Goldberg von Cognitrend. „Für eine starke Aufwärtsbewegung ist der Markt noch nicht gerüstet.“ Tatsächlich belegen aktuelle Zahlen Deutschen Aktien Instituts (DAI), dass nach einem Zwischenhoch Anfang 2012 in der zweiten Jahreshälfte 2012 die Zahl der Aktionäre um 1,3 Millionen auf nur noch 8,8 Millionen Menschen gesunken ist. Viele nutzten nach Einschätzung des DAI die gute Entwicklung der Kurse für Gewinnmitnahmen.

Dabei sind die 8000 Punkte ohnehin nur für Liebhaber großer glatter Zahlenwerte eine wichtige Hürde. Im Grunde geht es darum, wann die Börse die dramatischen Verluste der Finanz- und Schuldenkrise wieder wettgemacht hat und den alten Rekordstand vom 16. Juli 2007 überwindet. Damals erreichte der Dax 8105 Punkte – und übertraf damit sogar das alte Rekordhoch auf dem Höhepunkt der New-Economy-Blase vom Frühjahr 2000. Schade, dass Anleger nach Erreichen des neuen Rekords von 2007 nicht sehr viel Zeit hatten, um sich über ihren Erfolg zu freuen. Spätestens mit Beginn des Jahres 2008 ging die Börse für mehr als ein Jahr in den nahezu freien Fall über – und änderte erst unterhalb von 4.000 Punkten wieder die Richtung. „Das ist in den Köpfen der Anleger“, so Goldberg. „Viele wissen, dass der Dax bereits zweimal über die 8000 Punkte geklettert war – und es danach lange massiv abwärts ging.“

"Werden Sie Börsengewinner!"

Dax-Rückblick

Wer schon 2007 auf den Titelblatt-Indikator vertraut hat, konnte seinerzeit Gewinne mitnehmen oder zumindest Verluste begrenzen. Denn wenige Wochen bevor der Dax seine bis heute gültige Rekordhöhe erreichte, gaben einige populäre Publikationen ein starkes Verkaufssignal. Am 4. Juni warb die Titelseite des „Focus“ für einen Einstieg in Aktien mit der Schlagzeile: „Werden Sie Börsengewinner!“. Selbst die Fernsehzeitschrift „Hörzu“ lockte auf ihrer Titelseite die Leser mit dem möglichen Börsenreichtum. Die beiden Zeitschriften haben mit ihren euphorischen Titelzeilen aber nicht gerade gutes Timing bewiesen. Nachdem der Dax im folgenden Juli mehrfach seinen Höchststand testete, aber nicht mehr deutlich überwand, ging es bis zum Jahresende zunächst seitwärts. Ab Januar 2008 ging es dann an der Börse immer weiter in den Keller, bis der Dax schließlich im Frühjahr 2009 ein neues Tief deutlich unterhalb von 4000 Punkten markierte. Dass auch „Der Aktionär“ noch am 20. Juni 2007 auf seiner Titelseite die „Optimale Kauf-Zeit“ ausrief, ist angesichts des grundsätzlich eher optimistischen Tenors des Anlegermagazins aus Kulmbach nur ein weiterer Anlass für Börsenskepsis und zugleich Beleg, dass auch Fachmagazine gründlich irren können.

Die zehn wichtigsten Aktien-Regeln

Die Beobachtung von Titelseiten ist keine exakte und quantifizierbare Analyseform. „Man kann den Titelblatt-Indikator weder genau berechnen noch lässt er sich über einer durchgängige Zeitreihe verfolgen, da er nur sporadisch Signale erhält“, sagt Ralf Flierl, Chefredakteur des Anlegermagazins Smart Investor, dass des Öfteren über den Titelseiten-Indikator berichtet und sich den antizyklischen Investments – der Contrarian-Strategie – verschrieben hat. „Man muss als Anleger auch berücksichtigen, wie reißerisch einzelne Publikationen titeln. 'Der Aktionär' ist eigentlich immer bullisch. Wenn der etwa ‚Dax 10.000‘ auf den Titel schreibt, nehme ich das nicht so ernst, wie wenn die gleiche Zeile vorne auf dem Handelsblatt-Titel steht. Wer sich auf solche Anzeichen stützt, muss auch Gespür für die einzelnen Medien mitbringen.“ Dass Wirtschaftsmagazine mit Schwerpunkt Geldanlage regelmäßig die Entwicklungen an der Börse thematisieren und zu gegebener Zeit auch Optimismus verbreiten - wie beispielsweise auch die WirtschaftsWoche -, ist an sich nicht ungewöhnlich. Schließlich werden damit die Interessen der treuen Leserschaft bedient. Insofern ist ein Börsenthema auf der Titelseite eines Wirtschaftsmagazins allein noch kein Trendsignal. Erst bei thematisch breiter aufgestellten Publikumszeitschriften gewinnt ein Börsenthema so an Strahlkraft, dass Anleger hellhörig werden sollten. Die jüngste Häufung positiver Börsentitel macht Flierl daher auch noch nicht nervös: „Für den Dax sind wir mindestens bis zum Frühsommer noch optimistisch, vielleicht auch noch bis ins dritte Quartal. Aber dann rechnen wir mit einem Dämpfer.“

8000 verpasst...und jetzt?

Die entscheidenden Faktoren

Titelseiten können also durchaus richtige Signale zum antizyklischen Investieren geben. Aber dafür müssen einige Faktoren stimmen, so Joachim Goldberg: „Man muss die Börseneuphorie am Kiosk sehen können. Damit die Stimmung als Kontraindikator verstanden werden kann, muss es das Thema also auf die Aufmacherseite von Blättern schaffen, die ein breites Publikum ansprechen. Titelt eine Wirtschaftszeitung wie das Handelsblatt oder ein Anlegermagazin ‚Dax 10.000‘, ist das für mich noch kein Kontraindikator. Aber schreibt so etwas die Bild-Zeitung auf Seite eins, wird es für investierte Anleger gefährlich.“

Der Titelblatt-Indikator mag zwar exotisch sein, aber er fußt auf fundierten Erkenntnissen. Der amerikanische Anlageexperte Paul Macrae Montgomery hat ihn 1971 entwickelt. In seinen zahlreichen Untersuchungen zu Titelblättern hatte er herausgefunden, dass etwa Aktien aus Titelgeschichten im Monat nach ihrem Erscheinen zunächst noch steigen, weil dann auch noch die letzten übrig gebliebenen unsicheren Anleger – Börsenlegende André Kostolany sprach von den Zittrigen - den Einstieg wagen. Ein Jahr nach der Titelgeschichte notieren jedoch Montgomery’s Untersuchungen zufolge 80 Prozent der fraglichen Papiere im Minus.

Herdentrieb der Finanzmarktakteure

Wo Deutsche investieren – und wovor sie sich fürchten
Die Angst vor einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone und die Probleme rund um Griechenland haben bei den deutschen Sparern ihre Spuren hinterlassen. Bei der Geldanlage sind die Deutschen heute deutlich vorsichtiger gestimmt, als zu Beginn der Finanzkrise. Das ist das Ergebnis des fünften Schroders Investmentbarometers. Auf den folgenden Seiten zeigen wir, wo die Deutschen ihr Geld heute investieren - und wovor sie sich fürchten.Quelle: Schroders Investment Management GmbH Quelle: REUTERS
EuropaDie Untergangspropheten für den Euro haben ganze Arbeit geleistet. Mittlerweile sehen 40 Prozent der deutschen Anleger Europa als die Region mit dem höchsten Risiko. Damit liegt der europäische Staatenverbund vor allen übrigen Regionen und Ländern. Die gestiegene Risikoaversion macht sich auch bei der Geldanlage der Deutschen bemerkbar. Im Vergleich zum Vorjahr wurden Investitionen in Europa um 15 Prozent zurückgefahren. Als sicher sehen die Deutschen im Moment nur ihr eigenes Heimatland. Gerade einmal 3 Prozent der deutschen Sparer würden ihr Geld nicht in der Bundesrepublik investieren. Quelle: dapd
ImmobilienImmobilien gelten momentan als einer der sichersten Anlagen. In den europäischen Metropolen überteigt die Nachfrage oftmals das Angebot. Dadurch klettern die Preise seit Jahren auf immer neue Rekordwerte. Auch für viele deutsche Anleger sind trotz der Krise Immobilien der Fels in der Brandung. 32 Prozent halten europäische Immobilien für besonders sicher. Quelle: dpa
AktienmärkteDas ständige Auf und Ab an den europäischen Aktienmärkten hielt viele deutsche Anleger in den letzten Jahren von einem Investment ab. Gerade einmal jeder fünfte Kleinanleger investierte sein Erspartes in Aktien. Trotzdem werden europäische Aktien von 21 Prozent der Befragten als sicher eingestuft. Quelle: dapd
DeutschlandDie Vorliebe für Deutschland als Anlageregion ist mit der Sorge um die Euro-Zone gestiegen. Mittlerweile investieren mehr als 80 Prozent der Befragten den größten Teil ihres Geldes in der Bundesrepublik. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Plus von neun Prozent. Dagegen sehen die Deutschen internationale Anlagen als zu risikoreich. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Befragten gab an, keine Inventionen im Ausland tätigen zu wollen. Das sind zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Quelle: dpa
AsienDie asiatischen Länder mussten sich im letzten Jahr mit einem geringeren Wachstum zufrieden geben. Trotzdem sehen 46 Prozent der deutschen Anleger die Region als Wachstumsmarkt von morgen an. Das heißt aber nicht, dass sie dort auch tatsächlich investieren. Der Anteil der Anleger, die in der Region (ohne China und Japan) investiert sind, schrumpfte von fünf auf ein Prozent. Quelle: dapd
ChinaKnapp 20 Prozent der deutschen Privatanleger halten eine Investition in China für sinnvoll. Die Zahl der in China investierten Anleger halbierte sich dennoch im vergangenen Jahr von vier auf zwei Prozent. Quelle: AP

Der hinter diesem Effekt stehende Mechanismus beruht auf dem Herdentrieb der Finanzmarktakteure und den Gesetzmäßigkeiten der Behavorial Finance – sozusagen die Verhaltensforschung an den Finanzmärkten. Diese Disziplin der Finanzmarktanalyse widmet sich der Stimmung – im Fachjargon dem Sentiment - in den Lagern von Börsenbullen und -bären. Sie geht davon aus, dass Börsenoptimisten – also die Bullen - bereits ihre kompletten Geldmittel in Aktien investiert haben und somit die Kurse nicht weiter in die Höhe treiben können. Steigen sie jedoch wieder aus – etwa um Gewinne mitzunehmen – lösen sie im Herdentrieb schnelle und deutliche Kursverluste aus.

Die Pessimisten hingegen halten eher Liquidität, weil sie sich bereits aus dem Aktienmarkt zurückgezogen haben. Steigt die Liquidität immer weiter, kommt der Zeitpunkt, an dem sie vermeintlich günstige Aktien kaufen wollen, um ihre Rendite gegenüber dem niedrig verzinsten Geld auf dem Tagesgeldkonto aufzubessern und sich nicht noch mehr Kursgewinne entgehen zu lassen. Der Behavorial Finance zufolge gehen daher zu viele Optimisten im Markt mit einem wachsenden Risiko von Kursverlusten einher, während es eine Mehrheit von Pessimisten braucht, damit die Kurse wieder auf breiter Front steigen können.

Kundenorientierung der Medien

Dass diese Wechselwirkung auch bei Zeitungs- und Zeitschriftentiteln greift, hat zudem mit der Kundenorientierung der Massenmedien zu tun. Bei der Auswahl eines Titelthemas in den Redaktionen spielen nämlich die Wünsche der Leser eine gewichtige Rolle – schließlich soll sich die Publikation auch am Kiosk möglichst gut verkaufen. Umgekehrt beeinflussen die Medien auch die Meinungsbildung der Anleger. Insofern sind die Medien Spiegel und Verstärker der Stimmung ihrer Leser.

Kuriose Börsenpannen

Wenn also eine große Boulevard-Zeitung oder etwa eine Fernsehzeitschrift für den Einstieg in Aktien trommelt, dürfte die Börsenparty bald vorbei sein. Und offenbar sind die Titelblätter zum Thema Börse – auch wenn sie anders als bei Anlegermagazinen bei den populären, massentauglichen Medien ja nur sporadisch auftreten - ein durchaus ernst zu nehmender Kontraindikator. Ein legendäres Beispiel aus den USA aus dem Jahr 1979 illustriert, dass der Indikator auch in der Gegenrichtung funktioniert. Damals hatte die Business Week auf ihrem Cover den Tod der Aktien vorausgesagt – „The Death of Equities“. In den Monaten danach kam es an den Börsen zu einer historischen Hausse, bei der sich die Aktienbewertungen verzehnfachten.

Zu früh für eine Trendwende

Die spannendsten Länder für Anleger
Michael Keppler sitzt an der Quelle. Seit Jahren ist die Finanzmetropole New York die Heimat des Fonds-Managers, der über die Jahre mehr als ein Dutzend länderübergreifende Aktienfonds aufgelegt hat, etwa den Keppler-Global Value oder den Keppler-Emerging Markets. Dabei strukturiert der ehemalige Investmentbanker seine Fonds nach einem klaren Mantra: der "Top Value Strategy" oder aber: Kennzahlen, Kennzahlen, Kennzahlen. "Es geht darum, den inneren Wert einer Aktie zu bestimmen", sagt er. Der entspreche ungefähr der Entwicklung des Papiers über sieben Jahre. Quelle: dpa
Ausgehend von Einzelaktien, die den Markt des jeweils betrachteten Landes wiederspiegeln, baut Fonds-Manager Keppler dann Länderwerte zusammen. Um sie dann zu bewerten, sieht der Analyst unter anderem auf das durchschnittliche Preis-Buchwert-Verhältnis, Preis-Cashflow-Verhältnis, Preis-Gewinn-Verhältnis, auf die durchschnittliche Dividenden- und Eigenkapitalrendite – allerdings nicht nur auf deren aktuelle, absolute Werte. Quelle: rtr
Insgesamt kennt Keppler vier Bewertungssäulen: Ihn interessiert nicht nur, wo die Kennzahlen der aggregierten Länderwerte aktuell rangieren und wie sie sich über die vergangenen sieben Jahre absolut entwickelt haben. Auch die aktuelle und zurückliegende relative Performance der Kennzahlen spielt für den Analysten eine Rolle. Als Vergleichswert dient dem Fonds-Manager der Morgan Stanley Capital International (MSCI) World Index. Quelle: dpa
Unterbewertete MärkteAustralien ist einer der Länderwerte, den die Analysten von Kepplers Vermögensverwaltung in ihrer Januar-Analyse der Industrieländer für unterbewertet halten. Sie raten zum Kauf. Zwar liegt der Aktienkurs "Australien" um den Faktor 1,88 über dem Buchwert je Aktie und um den Faktor 15,3 über dem Nettoergebnis je Aktie – durchschnittlich sind australische Papiere also eher teuer. Eine Dividendenrendite von fast fünf Prozent zeigt aber, dass die repräsentativen Aktienwerte des Kontinents eine überdurchschnittlich hohen Gewinnanteil ausbezahlen. Zum Vergleich: Die Dividendenrendite des MSCI World Index beträgt nur 2,79. Auch in Sachen Jahresrendite zieht Australien am Index vorbei. Die aggregierten Aktientitel des Landes wuchsen über die vergangenen 12 Monate um 3,4 Prozent (MSCI: 1,9 Prozent). Quelle: AP
Auch Deutschland gehört zur Liste derjenigen Länder, denen Keppler Potential nach oben bescheinigt. Das Preis-Buch-Verhältnis liegt mit 1,48 bereits näher an seinem "fairen" Wert, eins. Mit einem Kurs, der den Nettogewinn je "Deutschland"-Aktie um das knapp 12-fache übersteigt, spiegelt die Kennzahl auch das Kurs-Gewinn-Verhältnis wieder, das den einzelnen Dax-Werten als Benchmark dient. Nach diesen Kennzahlen ist der Länderwert Deutschland nicht nur günstiger als der MSCI World Index – er ist mit 2,6 Prozent über die letzten 12 Monate auch mehr gewachsen (MSCI: 1,9 Prozent). Quelle: dapd
Der Blick auf die absoluten aktuellen Kennzahlen für Hong Kong, zeigt sich ein gespaltenes Bild. Während das Preis-Buchwert-Verhältnis mit 1,38 den Index deutlich (1,77) unterbietet, rangiert das Preis-Gewinn-Verhältnis mit 16,3 auf vergleichsweise hohem Niveau (MSCI: 14,8). Die Dividendenrendite, die Hongkongs Firmen durchschnittlich erwirtschaften, liegt mit 2,53 unter der des Index (2,79). Dennoch rät Keppler zum Kauf – wohl auch aufgrund der Entwicklung über die vergangenen sieben Jahre. Preis-Buch- und Preis-Gewinn-Verhältnis lagen meist höher. Quelle: dpa
Die Schweizer Wirtschaft hat in den vergangenen 12 Monaten durch die massive Aufwertung des Frankens an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Der kriselnde Euro hat die Nachfrage nach der eidgenössischen Währung aufgebläht. Kein Wunder also, dass auch Schweizer Aktien im Durchschnitt zu teuer sind. Mit einem Preis-Buchwert-Verhältnis von 2,28 und einem Preis-Gewinn-Verhältnis von 18,2 übertrifft der Länderwert Schweiz den MSCI Welt Index um jeweils gut 12 Prozent. Die Keppler Vermögensverwaltung rät zum Verkauf. Ein weiteres Indiz dafür, sich tendenziell von Schweizer Papieren zu trennen: Der repräsentative Aktienkorb konnte innerhalb der letzten 12 Monate nur eine minimale Renditesteigerung von 0,1 Prozent vorweisen. Quelle: AP

Aber noch ist es offenbar zu früh für eine Trendwende. Die Begründungen für den derzeit zur Schau gestellten Börsenoptimismus sind durchaus gewichtig. Die sich ankündigende Rückkehr Chinas als Wachstumslokomotive der Weltkonjunktur, die sich aufhellende Konjunkturstimmung und die nachlassende Anspannung in der US-Haushalts- und Euro-Schuldenkrise sorgen für eine Fortsetzung des Aufwärtstrends. Außerdem seien die Bewertungen noch nicht hoch: Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von elf im Dax sei angesichts eines historischen Durchschnitts-KGVs von 15,5 noch günstig. Daher müsse der Dax gemessen an einer am historischen Wert orientierten fairen Bewertung eigentlich bei 10.780 Punkten stehen, argumentiert etwa das Handelsblatt. Schwellenländer wie Indonesien und Indien würden ebenso wie China weiter stark wachsen und insbesondere den international gut aufgestellten deutschen Konzernen zusätzlichen Schub geben. Ein Erreichen der 8000-Punkte-Marke ist demnach zum Greifen nah.

Vorsichtiger Optimismus

Auch die Analysen von Cognitrend geben den Optimisten noch weiter Nahrung. „Noch sind wir weit von Euphorie entfernt“, konstatiert Sentiment-Experte Goldberg. „Die Anleger sind zwar überwiegend, aber nur vorsichtig optimistisch.“ Den Cognitrend-Daten zufolge rechnen etwa die Bullen im Markt im Mittel nur mit einem Anstieg des Dax bis auf 7910 Punkte, während die Bären Rückschläge bis auf 7400 Punkte erwarten. Der Optimismus ist also weniger stark ausgeprägt, als der Pessimismus. “Viele, die billig einsteigen wollten, kamen noch nicht zum Zuge. Sie zögern mit dem Einstieg, weil sie auf eine stärkere Kurskorrektur warten. Aber die Korrekturen waren moderat und die Pessimisten riskieren, dass ihnen die Kurse davonlaufen, wenn sie weiter warten. Dieses Risiko wird häufig unterschätzt“, so Goldberg. Die Kursverluste von zeitweise zwei Prozent im Dax unmittelbar nach der Italien-Wahl dürfte somit das Lager der Pessimisten wieder vergrößert haben und so den Boden für steigende Kurse bereiten.

Eine Faustformel, wann das Börsen-Sentiment ein Verkaufssignal gibt, hat Goldberg auch parat: „Erst wenn unser Bull/Bear-Index Werte von mehr als 80 Prozent zeigen würde, ist Vorsicht geboten. Aber in so einem Markt wie derzeit werden die Kurse weiter steigen.“ Vor der Italien-Wahl lag der Wert nur bei etwa 55 Prozent. Nun ist er auf 42 Prozent gesunken. Den starken Rückgang führen die Cognitrend-Analysten darauf zurück, dass 13 Prozent der 300 befragten institutionellen Investoren ihre Dax-Aktien verkauft haben und das Bullenlager verlassen haben. Gemessen daran hätte die Reaktion im Dax eigentlich stärker ausfallen müssen. Offenbar stützen aber auch Käufer aus dem Ausland den Dax. Goldberg erwartet für das laufende Jahr ein neues historisches Hoch im Dax.

Die Zeit für eine anschließende Börsenumkehr könnte erreicht sein, wenn zum Hoch die zittrigen Anleger Gewinne mitnehmen und wieder in das Lager der Pessimisten wechseln. Im Vorfeld kann es hilfreich sein, die Cover der Zeitschriften im Auge zu behalten. Denn wenn das voraussichtlich wachsende Optimisten-Lager seine relativ geringen Gewinnhoffnungen an der Börse erfüllt sieht, könnte es zu schnellen Gewinnmitnahmen kommen. Vielleicht warnt davor zuvor ein die Börse bejubelndes Titelblatt.

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