Die US-Börse scheint ihre Schwäche überwunden zu haben. Seit dem vorübergehenden Hoch des Standard & Poor’s 500 Index vom Mai 2015 hat es zwar fast 14 Monate gedauert, eine Durststrecke von 410 Tagen, doch nun eilen die US-Aktien wieder von Rekord zu Rekord. Hat der ältliche Bullenmarkt, der zweitlängste der Geschichte, noch Kraft für einen neuen Anlauf? Die Statistik lässt hoffen: Demnach winken weitere Kursgewinne, wenn der S&P mehr als ein Jahr nach seinem vorerst letzten Hoch eine neue Rekordmarke erklimmt. Historisch ging es in diesen seltenen Fällen ein gutes Stück weiter aufwärts. Nach sechs Monaten waren durchschnittlich acht Prozent plus verbucht.
Geldpolitik der EZB: Belastungen durch Niedrigzinsen
In Deutschland beliebte Sparformen wie Tages- und Festgeld werfen kaum noch etwas ab. Die niedrige Inflation gleiche die negativen Effekte der niedrigen Zinsen allerdings aus, betont EZB-Präsident Mario Draghi. Derzeit liege die Verzinsung minus Inflation höher als im Durchschnitt der 1990er Jahre. „Zu der Zeit hatten Sie höhere Zinsen auf dem Sparbuch, aber zugleich meist Inflation, die weit darüber lag und alles auffraß“, sagte Draghi jüngst in einem Interview. Im Mai lagen die Verbraucherpreise in Deutschland nach vorläufigen Berechnungen gerade einmal um 0,1 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Stand: 07.06.2016
Finanzinstitute müssen Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Für den durchschnittlichen Privatkunden sind Strafzinsen bislang kein Thema. Man werde „alles tun, um die privaten Sparer vor Negativzinsen zu schützen - in Teilen auch zu Lasten der eigenen Ertragslage“, sagte jüngst der Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon. Wenn die aktuelle Niedrigzinsphase aber lange andauere, würden die Sparkassen die Kunden letztlich nicht davor bewahren können. Zudem könnten Geldhäuser nach Angaben des Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Uwe Fröhlich, gezwungen sein, an der Gebührenschraube zu drehen: „Jeder muss in seiner Bank überlegen, wie er über Konditionen-Gestaltung gegen die Ertragsverluste anarbeitet, die ohne Zweifel da sind.“
Lebensversicherern fällt es immer schwerer, die hohen Zusagen der Vergangenheit zu erwirtschaften. Die Folge: Die Verzinsung des Altersvorsorge-Klassikers sinkt seit geraumer Zeit. Auch Betriebsrenten leiden, Firmen müssen wegen der Zinsschmelze immer mehr Geld für die Pensionsverbindlichkeiten zurücklegen. Viele Unternehmen versprechen bei Neueinstellungen daher keine konkreten Leistungen mehr, sondern sagen lediglich zu, einen bestimmten Betrag pro Monat in Vorsorgekassen einzuzahlen. Das Zinsrisiko tragen die künftigen Pensionäre.
Kurzfristig dürfte die dynamische Erholung von den Brexit-Verlusten ihren Höhepunkt aber schon überschreiten. Neun von zehn S&P-Aktien halten sich nur noch mit Mühe oberhalb des gleitenden 50-Tage-Durchschnitts. Jüngst pumpten Investoren in einer Woche elf Milliarden Dollar in Aktienfonds – so viel wie seit neun Monaten nicht mehr –, nachdem sie diese ein Jahr lang links liegen gelassen hatten. Selbst Nachzügler wie Apple finden wieder Käufer.
Den meisten Investoren scheint es nur noch darum zu gehen, die am wenigsten abstoßende Anlage zu finden. Viele kaufen Aktien nicht aus Überzeugung, sondern weil die Renditen von US-Staatsanleihen so tief wie nie sind. Und wer zehnjährige deutsche Bundesanleihen kauft, zahlt praktisch dafür, Geld an Berlin verleihen zu dürfen. 30 Prozent aller globalen Anleihen – das entspricht rund 13 Billionen Dollar – weisen negative Renditen auf. Ein konventioneller Mischfonds mit 60 Prozent US-Aktien und 40 Prozent US-Staatsanleihen erwirtschaftet im Schnitt eine Rendite von 1,9 Prozent – so wenig wie nie.
Das drängt Investoren weiter ins Risiko, in Aktien und Immobilien. Vermögensverwalter, die ihre Gebühren rechtfertigen müssen, stehen unter hohem Performance-Druck. Im ersten Halbjahr 2016 übertrafen nur 18 Prozent der Large-Cap-Fonds den breiten US-Aktienindex Russell 1000, womit 2016 „das für aktive Vermögensverwalter schlechteste Jahr“ seit 2003 ist, wie die Strategin Savita Subramanian von BofA Merrill Lynch errechnet hat. Wenn Aktienkurse nach Korrekturen, wie durch die Brexit-Entscheidung oder schlechte China-Daten bedingt, wieder steigen, folgen viele einfach dem Impuls, frühere Leerverkäufe einzudecken oder mit der Herde zu rennen. Damit stehen die Argumente für Aktien auf tönernen Füßen und wirken ähnlich verzweifelt wie der Versuch Donald Trumps, blonde Haarfülle vorzutäuschen.
Kein Gewinnwachstum, nirgends
Anders wäre es, wenn steigende Kurse mit steigenden Gewinnen einhergingen. Letztere sanken im zweiten Quartal um fünf Prozent – das fünfte Mal in Folge. Der S&P ist mit dem 18,5-Fachen der geschätzten Gewinne 2016 bewertet. Die Kurse werden nur durch Rückkäufe in Rekordhöhe gehievt.
Der Aufschwung kommt in die Jahre. Michael Darda, Chefökonom von MKM Partners, weist auf ein Signal hin, das für zu Ende gehende Zyklen typisch ist. In 18 der letzten 19 Rezessionen zog die US-Notenbank die Zinsschraube an – wenn auch gelegentlich nur ganz leicht, die Gewinnmargen begannen zu sinken. Während die Aktienkurse weiter steigen könnten – im letzten Jahr eines Zyklus im Mittel um sieben Prozent –, beträgt das mittlere Minus im folgenden Abschwung 27,8 Prozent.
Beleben niedrige oder negative Zinssätze tatsächlich das Wachstum? Nach gängiger Lehrmeinung sollen niedrige Kreditkosten allen zugutekommen. Allerdings muss man zwei Seiten betrachten. Die US-Haushalte sind mit 14 Billionen Dollar verschuldet, besitzen aber sieben Mal so viele Aktiva, darunter Cash und Anleihen für 26 Billionen Dollar, wie die Deutsche Bank errechnet hat. Niedrigzinsen wirken also auch wie eine gigantische Steuer, nicht nur wie eine Subvention.
Staatshaushalte – meist die größten Schuldner entwickelter Nationen – profitieren. Zwischen 2008 und 2015 schwollen die US-Staatsschulden von 5,8 auf 13,1 Billionen Dollar an. Die gezahlten Zinsen sanken jedoch von 253 auf 223 Milliarden Dollar pro Jahr, so Laurence Siegel von der CFA Institute Research Foundation.
Während Unternehmen bei niedrigen Zinsen gerne Kredite aufnehmen, müssen Privatpersonen mehr fürs Alter zurücklegen. Niedrige Zinsen drücken auch Gewinn und Finanzkraft der Banken, die dann womöglich weniger Kredit vergeben können.