US-Aktien Nullzins treibt Anleger an der Wallstreet ins Risiko

Der Börsenboom in den USA ist wacklig: Nur der Mangel an Alternativen heizt ihn an. Das kann noch eine Weile gut gehen, aber das Risiko steigt.

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Wo die Deutschen ihr Erspartes verstecken
42 Prozent der Bürger lagern ihr Bargeld aus Verunsicherung zu Hause Quelle: obs
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Tresor Quelle: dpa/dpaweb
Geld im Spülkasten Quelle: dpa
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Die US-Börse scheint ihre Schwäche überwunden zu haben. Seit dem vorübergehenden Hoch des Standard & Poor’s 500 Index vom Mai 2015 hat es zwar fast 14 Monate gedauert, eine Durststrecke von 410 Tagen, doch nun eilen die US-Aktien wieder von Rekord zu Rekord. Hat der ältliche Bullenmarkt, der zweitlängste der Geschichte, noch Kraft für einen neuen Anlauf? Die Statistik lässt hoffen: Demnach winken weitere Kursgewinne, wenn der S&P mehr als ein Jahr nach seinem vorerst letzten Hoch eine neue Rekordmarke erklimmt. Historisch ging es in diesen seltenen Fällen ein gutes Stück weiter aufwärts. Nach sechs Monaten waren durchschnittlich acht Prozent plus verbucht.

Geldpolitik der EZB: Belastungen durch Niedrigzinsen

Kurzfristig dürfte die dynamische Erholung von den Brexit-Verlusten ihren Höhepunkt aber schon überschreiten. Neun von zehn S&P-Aktien halten sich nur noch mit Mühe oberhalb des gleitenden 50-Tage-Durchschnitts. Jüngst pumpten Investoren in einer Woche elf Milliarden Dollar in Aktienfonds – so viel wie seit neun Monaten nicht mehr –, nachdem sie diese ein Jahr lang links liegen gelassen hatten. Selbst Nachzügler wie Apple finden wieder Käufer.

Den meisten Investoren scheint es nur noch darum zu gehen, die am wenigsten abstoßende Anlage zu finden. Viele kaufen Aktien nicht aus Überzeugung, sondern weil die Renditen von US-Staatsanleihen so tief wie nie sind. Und wer zehnjährige deutsche Bundesanleihen kauft, zahlt praktisch dafür, Geld an Berlin verleihen zu dürfen. 30 Prozent aller globalen Anleihen – das entspricht rund 13 Billionen Dollar – weisen negative Renditen auf. Ein konventioneller Mischfonds mit 60 Prozent US-Aktien und 40 Prozent US-Staatsanleihen erwirtschaftet im Schnitt eine Rendite von 1,9 Prozent – so wenig wie nie.

Die Verzinsung zehnjähriger Bundesanleihen ist negativ, Anleger verlieren damit Geld. Das Problem dürfte sich nicht einfach beseitigen lassen - jedenfalls nicht ohne Blessuren für Wirtschaft und Verbraucher.
von Daniel Stelter

Das drängt Investoren weiter ins Risiko, in Aktien und Immobilien. Vermögensverwalter, die ihre Gebühren rechtfertigen müssen, stehen unter hohem Performance-Druck. Im ersten Halbjahr 2016 übertrafen nur 18 Prozent der Large-Cap-Fonds den breiten US-Aktienindex Russell 1000, womit 2016 „das für aktive Vermögensverwalter schlechteste Jahr“ seit 2003 ist, wie die Strategin Savita Subramanian von BofA Merrill Lynch errechnet hat. Wenn Aktienkurse nach Korrekturen, wie durch die Brexit-Entscheidung oder schlechte China-Daten bedingt, wieder steigen, folgen viele einfach dem Impuls, frühere Leerverkäufe einzudecken oder mit der Herde zu rennen. Damit stehen die Argumente für Aktien auf tönernen Füßen und wirken ähnlich verzweifelt wie der Versuch Donald Trumps, blonde Haarfülle vorzutäuschen.

Kein Gewinnwachstum, nirgends

Anders wäre es, wenn steigende Kurse mit steigenden Gewinnen einhergingen. Letztere sanken im zweiten Quartal um fünf Prozent – das fünfte Mal in Folge. Der S&P ist mit dem 18,5-Fachen der geschätzten Gewinne 2016 bewertet. Die Kurse werden nur durch Rückkäufe in Rekordhöhe gehievt.

Der Aufschwung kommt in die Jahre. Michael Darda, Chefökonom von MKM Partners, weist auf ein Signal hin, das für zu Ende gehende Zyklen typisch ist. In 18 der letzten 19 Rezessionen zog die US-Notenbank die Zinsschraube an – wenn auch gelegentlich nur ganz leicht, die Gewinnmargen begannen zu sinken. Während die Aktienkurse weiter steigen könnten – im letzten Jahr eines Zyklus im Mittel um sieben Prozent –, beträgt das mittlere Minus im folgenden Abschwung 27,8 Prozent.

Beleben niedrige oder negative Zinssätze tatsächlich das Wachstum? Nach gängiger Lehrmeinung sollen niedrige Kreditkosten allen zugutekommen. Allerdings muss man zwei Seiten betrachten. Die US-Haushalte sind mit 14 Billionen Dollar verschuldet, besitzen aber sieben Mal so viele Aktiva, darunter Cash und Anleihen für 26 Billionen Dollar, wie die Deutsche Bank errechnet hat. Niedrigzinsen wirken also auch wie eine gigantische Steuer, nicht nur wie eine Subvention.

Banken zahlen Minuszinsen, das verlorene Geld holen sie sich bei Ihren Kunden über höhere Gebühren wieder. Die wehren sich – und suchen Alternativen zur Bankfiliale. Etwa im Supermarkt oder Internet.
von Sebastian Kirsch

Staatshaushalte – meist die größten Schuldner entwickelter Nationen – profitieren. Zwischen 2008 und 2015 schwollen die US-Staatsschulden von 5,8 auf 13,1 Billionen Dollar an. Die gezahlten Zinsen sanken jedoch von 253 auf 223 Milliarden Dollar pro Jahr, so Laurence Siegel von der CFA Institute Research Foundation.

Während Unternehmen bei niedrigen Zinsen gerne Kredite aufnehmen, müssen Privatpersonen mehr fürs Alter zurücklegen. Niedrige Zinsen drücken auch Gewinn und Finanzkraft der Banken, die dann womöglich weniger Kredit vergeben können.

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