Wirecard und die Rechtslage Keine Angst vor Leerverkäufern

Hedgefonds wetten regelmäßig darauf, dass die Kurse von börsennotierten Unternehmen fallen – wie zuletzt im Fall des Zahlungsabwicklers Wirecard. Quelle: dapd

Hedgefonds wetten regelmäßig darauf, dass Aktienkurse fallen – wie zuletzt bei Wirecard. Sie dürfen den Absturz auch mit der Veröffentlichung eigener Analysen befördern. Der rechtliche Rahmen hierfür ist allerdings eng.

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Mehrere bekannte Unternehmen rückten in den vergangenen Monaten in den Fokus von Leerverkäufern: Die Beteiligungsgesellschaft Aurelius, der Werbekonzern Ströer, die Mediengruppe ProSiebenSat.1 und zuletzt der Zahlungsabwickler Wirecard. Leerverkäufer leihen Aktien eines Unternehmens und verkaufen sie unmittelbar an der Börse weiter. Fällt der Kurs der Aktie, können sie erhebliche Gewinne einstreichen. Leerverkäufe bieten ein erhebliches Gewinnpotential, sind aber auch mit nennenswerten Risiken verbunden.

Viele Vorurteile

Gesellschaftlich sind Leerverkäufe stigmatisiert und für den Kapitalmarkt ambivalent: Einerseits sind sie in der Lage, Kurse deutlich unter ein fundamental gerechtfertigtes Niveau zu führen. Andererseits haben sie auch eine positive Funktion: Sie ermöglichen es, Übertreibungen des Kursniveaus nach oben rechtzeitig zu korrigieren und die Kurse der betroffenen Wertpapiere im Sinne aller Anleger wieder auf ein fundamental gerechtfertigtes Maß zurückzuführen.

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Deshalb sind Leerverkäufe prinzipiell zulässig, aber strengen Regularien unterworfen. Diese Regularien beinhalten insbesondere Offenlegungspflichten. So muss jeder Investor über den Bundesanzeiger veröffentlichen, sobald er mehr als 0,5 Prozent der Aktien eines Unternehmens leer verkauft hat. Zudem hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) die Möglichkeit, den Aufbau und Ausbau von Leerverkaufspositionen in bestimmten Wertpapieren zu untersagen. Hiervon hat die Bafin gerade Gebrauch gemacht.  Nachdem der Kurs der Wirecard-Aktie in den vergangenen Wochen deutlich gefallen war, hat sie  Investoren nun untersagt, weitere Positionen aufzubauen.

Leerverkäufe im Umfeld negativer Finanzanalysen

Interessant werden – jedenfalls aus Investorensicht – Spekulationen auf Kursverluste, wenn zu erwarten oder sogar sicher ist, dass in naher Zukunft eine negative  Analyse über das Zielunternehmen veröffentlicht wird und der Investor damit relativ sicher sein kann, dass der Kurs des Unternehmens danach tatsächlich fällt.  Je nachdem, wie wahrscheinlich solche negativen Finanzberichte in der nahen Zukunft sind, und je nachdem, wie man die Börsenreaktion einschätzt, kann ein Leerverkauf dann ein gefühlt-risikoloses Spekulationsgeschäft sein.

Häufig läuft es so ab, dass ein Investor, der aus öffentlich verfügbaren Informationen negative Schlüsse zieht, eine Leerverkaufsposition aufbaut. Sodann veröffentlicht er beziehungsweise ein von ihm beauftragter Analyst die negative Finanzanalyse, und weist etwa auf die erkannten, negativen Aspekte der Geschäftsentwicklung des Unternehmens hin.

Wird die Analyse veröffentlicht, sinkt dann tatsächlich regelmäßig der Kurs der Wertpapiere und der Leerverkäufer kann seine Position zu niedrigeren Preisen (und mit erheblichen Gewinnen) glattstellen. Solche Vorgehensweisen sind rechtlich umstritten.

Naturgemäß haben die betroffenen Unternehmen ein erhebliches Interesse daran, solche Vorgehensweisen zu bekämpfen und als rechtswidrig zu qualifizieren. Zudem bestehen Missbrauchsrisiken, etwa wenn in der Analyse unwahre Behauptungen stehen, die dazu führen, einen  nicht gerechtfertigten Kursrutsch auszulösen, den der Leerverkäufer dann nutzt um seine Position glatt zu stellen und Gewinne zu generieren  - bevor offensichtlich wird, dass die Analyse unwahr und das Analyseergebnis sachlich nicht vertretbar ist. Deshalb gelten für diese Fallgruppe strenge Regularien, die ein Leerverkäufer beachten muss. Die sich daraus ergebenden Risiken sind allerdings bei richtiger Vorgehensweise beherrschbar.

Die aktuelle Rechtslage

Der Aufbau von Leerverkaufspositionen ist (wenn keine entgegenstehende Verfügung der Finanzmarktaufsicht vorliegt) zulässig. Der Kapitalmarkt ist in diesem Falle hinreichend durch die Offenlegung bestimmter Leerverkaufspositionen geschützt. Grundlage hierfür ist die EU-Leerverkaufsverordnung.

Auch die Veröffentlichung negativer Finanzanalysen, die auf öffentlich zugänglichen Informationen basieren, ist zulässig.

Sofern beide für sich genommenen Mittel miteinander kombiniert werden, müssen allerdings verschiedene Aspekte beachtet werden. Maßgebliche Rechtsgrundlage ist die von der EU erlassene Marktmissbrauchsverordnung. In der hier interessierenden Fallgruppe müssen Leerverkäufer das Verbot des Insiderhandels und das Verbot der Marktmanipulation beachten.

Negative Finanzanalyse ist per se keine Insiderinformation

Das Insiderhandelsverbot stellt dabei grundsätzlich keine Hürde dar.

Denn Analysen und Bewertungen, die auf öffentlich verfügbaren Informationen beruhen, sind keine Insiderinformation.

Der Begriff der Insiderinformation ist gesetzlich definiert. Kernelement ist, dass die Information nicht öffentlich bekannt, aber präzise und geeignet ist, bei Bekanntwerden erhebliches Kurspotential zu entfalten. 

Analysen und Bewertungen, die aufgrund öffentlich verfügbarer Informationen erstellt wurden, können daher per se nicht als Insiderinformation angesehen werden. Die bloße Tatsache, dass Börsengeschäfte auf der Grundlage derartiger Analysen und Bewertungen vollzogen werden, kann daher nicht als eine (rechtswidrige) „Ausnutzung einer Insiderinformation“ angesehen werden.

Ob der Umstand des Erscheinens der Finanzanalyse selbst ein Insiderumstand sein kann, ist rechtlich unklar. Derartiges dürfte etwa ausnahmsweise dann gelten, wenn eine (negative) Finanzanalyse zur Veröffentlichung ansteht, die im Range und in der Qualität einer Rating-Entscheidung (einer Rating-Abwertung) gleichkommt.

Das ist bei Analysen, die von Leerverkäufern veröffentlicht werden, aber in der Regel nicht der Fall.

Selbst wenn etwa ein Whistleblower einzelne Tatsachenelemente, die (noch) nicht öffentlich bekannt sind, dem Urheber der Finanzanalyse zur Kenntnis gibt – und in der Finanzanalyse diese noch geheime Information verwertet wird, dürfte dies regelmäßig (noch) nicht den Finanzbericht derart infizieren, dass dadurch selbst eine Insiderinformation geschaffen wird. Wenn und solange eine einzelne - etwa durch einen Whistleblower - mitgeteilte Information selbst noch keine Insidertatsache darstellt, dürfte auch das „Gesamtwerk“ der (vollständigen) Finanzanalyse (noch) nicht zu einer Insiderinformation erstarken können. Die Rechtslage ist insoweit aber ungeklärt.

Scalping als Fall der Marktmanipulation

Schwieriger ist die Frage zu beurteilen, ob ein Leerverkäufer, mit seiner Analyse eine Marktmanipulation begeht.

Hier gilt zunächst der Spezialfall des sogenannten Scalping. Ein Scalping liegt vor, wenn eine Analyse veröffentlicht wird, und dabei der Eindruck entsteht, dass diese objektiv und frei von wirtschaftlichem Eigeninteresse ist. Erfolgt die Analyse zu dem Zweck, eine negative Kursentwicklung herbeizuführen und damit die Erzielung von Gewinnen aus der Leerverkaufsposition zu ermöglichen, so muss dies offengelegt werden. In der Praxis geschieht dies durch eine entsprechend hinreichend deutliche Offenlegung des Interessenkonfliktes („Disclaimer“).

Ist ein solcher „Disclaimer“ vorhanden, fehlt es an einem Scalping.

Weitere Anforderungen an die Finanzanalyse

Bei Finanzanalysen sind zudem weitere Anforderungen und Grenzen zu beachten. Eine Marktmanipulation kann nämlich auch durch Veröffentlichung einer bewusst unrichtigen Finanzanalyse erfolgen.

Eine Analyse darf keine offensichtlich unwahren Informationen enthalten und auch keine Bewertung, die offenkundig unvertretbar sind.  Hier gilt der Maßstab, dass die Informationen, die in der Analyse enthalten sind, zutreffend sein müssen und die enthaltenen Wertungen (insbesondere eine negative Bewertung des Werts des Unternehmens) im Verhältnis zum derzeitigen Aktienkurs zumindest nachvollziehbar und plausibel sein müssen. Auf diese Mindeststandards ist naturgemäß sorgfältig zu achten. 

Praktische Auswirkungen

Die dargestellten Regularien sind sinnvoll, um eine missbräuchliche Verwendung der Instrumente „Leerverkauf“ und „Finanzanalyse“ zu beschränken. Sie schränken auch die Möglichkeit, die Erkenntnis negativer Umstände bei einer Gesellschaft zu Geld zu machen, nicht unverhältnismäßig ein. Denn wenn eine negative Finanzanalyse „ins Schwarze trifft“, wird sie auch dann die entsprechenden Wirkungen zeigen, wenn sie Interessenkonflikte offenlegt.

Anders formuliert: Ein Unternehmen mit einem soliden Geschäftsmodell muss vor negativen Bewertungen, zumindest vor solchen, die den geltenden Qualitätsanforderungen genügen, keine Angst haben. Negativ betroffen von Analysen sind oftmals solche Unternehmen, bei denen in der Tat eine zu hohe Bewertung vorliegt und deren Geschäftsmodell das sprichwörtliche Kartenhaus ist, das durch eine Analyse, bei der der Interessenkonflikt auch noch offengelegt wird, leicht zu erschüttern ist.

Auf jeden Fall gilt: Der Leerverkauf stellt selbst im Vorfeld negativer Finanzanalysen kein per se rechtswidriges Verhalten dar. Der Kapitalmarkt, sowohl der einzelne Kapitalanleger als auch alle theoretisch betroffenen Emittenten, haben sich darauf einzustellen. Schließlich ist es nicht so, dass dem Kursgewinn des Leerverkäufers ein „Geruch des Illegalen“ anhaftet.

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