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Inzwischen rechnen Volkswirte mit einem Rückgang der Inflation, also einem Ende des raschen Preisanstiegs. Quelle: imago images

Warum die Inflation sinken wird

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Maximilian Kunkel Chief Investment Officer, UBS Wealth Management Germany & Global Family Office Zur Kolumnen-Übersicht: Geldanlage global

Seit Monaten berichten die Medien über immer höhere Inflationsraten. Viele Volkswirte erwarten jedoch niedrigere Teuerungsraten in der zweiten Jahreshälfte. Es gibt drei Gründe, zuversichtlich zu sein.

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Die Geschichte der Inflation im vergangenen Jahr ist schnell erzählt. In den Industrienationen gab es einen außergewöhnlichen Anstieg der Warennachfrage. In den USA beispielsweise nahm diese im Bereich der langlebigen Güter so stark zu wie seit dem Ende der Rationierung 1946 nicht mehr. Die Einkommen vieler Verbraucher wurden durch die Fiskalpolitik unterstützt – und dies zu einem Zeitpunkt, als Lockdowns die Ausgabemöglichkeiten massiv reduzierten. Als die Beschränkungen aufgehoben wurden, eilten die Menschen, die Ersparnisse auszugeben. Das Angebot nahm ebenfalls zu, konnte allerdings nicht mit dem Nachfrageanstieg Schritt halten, was zu einem Ungleichgewicht führte. Das Ergebnis war eine Mischung aus Engpässen und Teuerung.

Vielen Ökonomen war bewusst, dass die Pandemieersparnisse nicht von Dauer sein konnten und somit ein Ende des Nachfrageschubs absehbar war, weshalb die Inflation als vorübergehend bezeichnet wurde. Und tatsächlich setzt sich der Nachfrageanstieg nicht fort. Die damit verbundene Inflation erwies sich zuerst in den USA und später in anderen Volkswirtschaften ebenso als vorübergehend.

Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ist in einigen Bereichen geschrumpft und hier und da müssen die Märkte möglicherweise sogar in naher Zukunft ein Überangebot in Betracht ziehen. Entsprechend sind Inflationsraten für Produkte, die besonders stark durch das pandemiebedingte Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage betroffen wurden, mit der sich verlangsamenden Nachfrage gesunken.

Bei einigen Produkten verwandelt sich die Inflation in eine regelrechte Deflation. In den Industrieländern ist dies genau in denjenigen Gebieten zu beobachten, in denen die Nachfrage zuerst in die Höhe schoss und dann zurückging. Die Preise von Gebrauchtwagen und Fernsehern beispielsweise verzeichneten im vergangenen Jahr ungewöhnliche Steigerungen und jetzt ein deutliches Gefälle.

Inflation kann auch selbstzerstörerisch sein: Höhere Preise reduzieren die Nachfrage, was zu niedrigeren Preisen führt. US-Haushalte zahlen in letzter Zeit mehr für Kraftstoff, was bedeutet, dass ihnen weniger Geld für andere Dinge zur Verfügung steht. Insbesondere Haushalte mit niedrigerem Einkommen mussten andere Ausgaben kürzen und diese Verlangsamung der Nachfrage ist für die spezifischen Preise relevant. So hatten die US-Fast-Food-Restaurants im März diesbezüglich den größten monatlichen Rückgang seit zwanzig Jahren − obwohl die Preise immer noch höher sind als vor einem Jahr.

Basiseffekte: Vergleich von normal mit normal

Bei der Inflation geht es um die Veränderung der Preise. Somit sagt uns eine jährliche Inflationsrate etwas über den heutigen, aber auch über den letztjährigen Preisdruck aus. Hier steht dem ersten Quartal 2022 mit einer (mehr oder weniger) normalen Wirtschaft die Lockdown-Wirtschaft des ersten Quartals 2021 gegenüber. Der Wechsel vom „Lockdown“ zum „Normalen“ bringt unweigerlich eine große Preisänderung mit sich. Im Laufe des zweiten Quartals wird sich der Vergleich ändern. Zuerst werden wir eine normale Situation im Jahr 2022 mit der Wiedereröffnung 2021 vergleichen. Später steht voraussichtlich „normal in 2022“ dann „normal in 2021“ gegenüber. Bei diesem letzten Vergleich sollte die Preisänderung ziemlich gedämpft sein.

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Üblicherweise steigen die Preise – das Gegenteil ist relativ ungewöhnlich. Wenn die Preise schneller steigen, werden die Inflationsraten zunehmen. Wenn die Preise langsamer steigen, wird die Teuerung gebremst. Somit dürften weniger stark steigende Ölpreise in diesem Jahr die Inflationsrate dämpfen. In den 12 Monaten bis März 2022 stiegen die Rohölpreise um 77 Prozent, was die Gesamtinflation in die Höhe trieb. Falls die Ölpreise bis März 2023 um weniger als 77 Prozent steigen – was einen Preis von 205 US-Dollar für ein Barrel Rohöl (Brent) bedeutet –, wird sich Öl dämpfend auf die Inflationsrate auswirken.

Keine Anzeichen einer Lohnstückkosten-Preis-Spirale

Lohnstückkosten, die Lohnkosten ins Verhältnis zu einer bestimmten Leistungseinheit wie beispielsweise einem Produkt oder einer Dienstleistung setzen, sind wohl der wichtigste Inflationsindikator. In den Industrienationen sind Verarbeitung, Verpackung, Vertrieb und Werbung enorm arbeitsintensiv. Wenn die Lohnstückkosten immer schneller steigen, wird es schwierig für die Inflation zu sinken.

Löhne sind aber nicht dasselbe wie die Lohnstückkosten. Wenn Menschen produktiver arbeiten, kann ihnen mehr bezahlt werden, ohne dass dies die Inflation in die Höhe treibt. Und genau dies geschieht derzeit.
In vielen entwickelten Volkswirtschaften liegt die Wirtschaftsleistung (BIP) nahe oder über dem Niveau von vor der Pandemie. Die Erwerbsquote jedoch liegt deutlich darunter. Anders gesagt: Weniger Beschäftigte produzieren mehr. Diesen weniger Beschäftigten, die mehr produzieren, mehr zu bezahlen, erhöht nur bedingt die Lohnstückkosten. Diese verzeichnen in vielen Branchen weiterhin einen recht schwachen Anstieg, was nicht auf eine davongaloppierende Inflation hindeutet.

Volkswirte gehen zu Recht von einer bald fallenden Inflation aus. Weniger sicher ist allerdings, wie tief sie fallen wird. Meiner Meinung nach ist es gut möglich, dass sie sich auf einem höheren Niveau als vor der Coronakrise einpendeln wird. Deglobalisierung, Dekarbonisierung und Demografie gepaart mit höheren Wohnkosten könnten dafür sorgen. Eine fallende, aber dennoch weiterhin erhöhte Inflation, begleitet durch höhere, aber anhaltend negative reale Leitzinsen und ein langsameres Wirtschaftswachstum sprechen nach wie vor für Rohstoffe, qualitativ hochwertige Substanzwerte im Aktien- und Opportunismus im Rentenbereich.

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