Geldanlage Warum wir das Sparbuch jeder Rendite vorziehen

Hyperinflation 1923, Kriegsenteignung 1948, 2000er-Crash und die Lehman-Pleite haben sich tief in die Anlegerpsyche der Deutschen gegraben. So tief, dass sie selbst vom Aktienboom der vergangenen Jahre nicht profitieren möchten. Finanzieller Wahnsinn? Nein, vermutlich Aufgeklärtheit.

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50.000 Mark für ein Brot Quelle: Getty Images, Montage

Jo Lendle, der Hanser-Verleger, hat einmal in der WirtschaftsWoche bekannt, dass er zu Aufbau und zur Pflege seines Privatvermögens ein ironisch-distanziertes Verhältnis hat. Auf die Frage „Aktien oder Gold?“ erwiderte er mit sanfter Koketterie: „Müder Blick meines Bankberaters: Anlegen ist nicht so Ihr Ding, oder?“ Das ist herrlich gekontert und trefflich ausgedrückt. Denn es führt weg von den Kategorien „Risikoscheu“, „Verlustaversion“ und „Finanz-Analphabetismus“, mit denen Ökonomen, Unternehmer und Banker die Deutschen seit Jahren traktieren, auch weg von den küchenpsychologischen Befunden der Vulgärliberalen, in Deutschland gediehen „Reichtumsneid“ und „antikapitalistische Reflexe“ besonders gut.

„Anlegen ist nicht so Ihr Ding“ – das ist eine profane Alltagsbeobachtung und zugleich eine Tiefenbohrung in die Kollektivseele: Die meisten Deutschen finden den Erwerb und die Vermehrung von Geld, überhaupt alles, was nach Finanzwelt riecht, nicht wirklich spannend. Mehr noch: Gelddinge sind ihnen so lästig wie eine Stubenfliege. Sie sortieren den Finanzteil der Zeitung als Erstes aus, reichen die Steuererklärung an ihren Steuerberater weiter, wechseln weder Krankenkasse noch Stromanbieter, überfliegen widerwillig ihre Kontoauszüge und entsorgen die monatlich ins Haus flatternden Anlagetipps der Sparkasse mit den Werbeprospekten. Vier von zehn Deutschen halten Geldanlage für ein notwendiges Übel, so eine Studie der großen deutschen Direktbanken. Aber warum?

Niedrige Zinsen verderben jede Geldanlage. Doch es geht auch anders. Die Strategien unterscheiden sich jedoch je nach Anlagebetrag deutlich. Wie Sie mehr aus Ihrem Vermögen machen, lesen Sie hier.

Nicht, dass die Deutschen Wohlstand und Prosperität verachten würden. Im Gegenteil, sie wissen sehr genau, dass materielle Sicherheit und stabile Finanzen die Grundbedingungen für die Kultivierung eines guten, schönen Lebens sind. Eben drum kalkulieren sie mit dem, was sie haben, statt auf das zu spekulieren, was sie haben könnten.

Der Deutsche lebt gern im Indikativ. Er will lieber keine Überraschungen erleben, als zwei gute und eine böse. Er freut sich auf die nächste Gehaltsüberweisung. Sie beschert ihm, Monat für Monat, das unendliche Glück, Wochenende für Wochenende mit seinen Kindern im Schlosspark spazieren gehen, auf dem Markt einkaufen oder im Manufactum-Katalog blättern zu können – das unendliche Glück, sich in seiner Freizeit nicht mit fallenden Ölpreisen und Deflationsängsten belasten, sein Privatleben nicht mit Stop-Loss-Ordern und Schulter-Kopf-Schulter-Formationen behelligen zu müssen.

Aktienkultur in Deutschland

Es ist den Deutschen so unverständlich wie egal, dass Finanzverwalter, Spekulanten (und Börsenjournalisten) ihr ausgeprägtes Desinteresse wie eine narzisstische Kränkung empfinden: Aber der Dax-Index hat seinen Wert seit dem jüngsten Tief vor sechs Jahren verdreifacht! Die Unternehmen schütten reiche Dividenden aus! Warum aber ist hierzulande nur jeder neunte Arbeitnehmer im Besitz von Unternehmensanteilen, während es in Schweden, Großbritannien und den USA jeder dritte oder vierte ist? Hätten die Deutschen von 2001 an nur jeden vierten Spar-Euro in Aktien investiert, hätten sie zwei Jahre lang ihre Benzinrechnung bezahlen können! Und?

Unbehagen an Geldgeschäften

Tatsächlich stellt sich die Lage heute höchst ambivalent dar. Einerseits haben die meisten Deutschen von der welthistorisch einmaligen Explosion der Unternehmenswerte in den vergangenen vier Jahrzehnten nicht profitiert. Andererseits lagen in den vergangenen vier Jahrzehnten nie bessere Gründe zur Börsenpassivität vor als heute. Die Märkte sind vollgepumpt mit dem Adrenalin des billigen Schuldengeldes, sie laufen heiß, sie sprengen alle realwirtschaftlichen Grenzen, pulsen permanent im Grenzbereich – und können jederzeit kollabieren.

Gewiss, nach einer Studie des Deutschen Aktieninstituts (DAI) ist die Zahl der Anteilseigner in Deutschland im vergangenen Jahr „erneut um 500.000 gesunken“. Doch das muss „für die Vermögensentwicklung der Deutschen“ gewiss nicht „fatal“ sein, wie das DAI urteilt, im Gegenteil: Vielleicht hat sich ein Stück „Aktienkultur“ im besten Sinne des Wortes längst breitgemacht in Deutschland. Erstmals seit 1999 steigen die Deutschen nicht prozyklisch (also zu spät) in einen heißen Markt ein, sondern nehmen seine erwartbare Abkühlung vorweg. Vielleicht haben die Deutschen am Ende gar – sei es nun aus Desinteresse, aus Solidität oder Vorsicht – ein besonders gesundes Verhältnis zum Geld? Jedenfalls ist es irreführend, aus ihrer Ignoranz gegenüber dem Börsengeschehen eine generelle Skepsis, ja einen Antiaffekt wider den Kapitalismus herauslesen zu wollen. Oder etwa doch?

„In Amerika geht einer zufrieden ins Bett, wenn er viel Geld verdient hat, und dankt dem lieben Gott.“ Die Deutschen hingegen, so hat es der Schriftsteller und Unternehmer Ernst-Wilhelm Händler einmal bemerkt, waren „noch nie bekannt dafür, dass sie Geld verdienen wollten“. Händler deutet den Affekt der Deutschen gegen das Geld als „unser romantisches Erbe“. Und tatsächlich gehört das Unbehagen an Geldgeschäften zum festen Repertoire der deutschen Kulturkritik, angefangen vom „Hans im Glück“, einem miserablen Händler, dessen Geschäftspraktiken den Äquivalenten-Tausch förmlich parodieren, bis hin zu der hässlichen Unterscheidung von deutscher „Kultur“ und angloamerikanischem „Krämergeist“ am Vorabend des Ersten Weltkrieges.

Indes, es gab auch deutsche Dichter und Denker, die beides im Blick hatten: die anrüchigen und faszinierenden Seiten des Geldes. Die Tiraden des jesuitischen Kommunisten Naphta in Thomas Manns „Zauberberg“ etwa, in denen die „Gräuel des modernen Spekulantentums“ angeprangert werden, lassen sich auch als dichterische Verteidigung des ehrbaren Kaufmanns Thomas Buddenbrook lesen: Hier wird gleichsam ex ante das Sparen gegen das Spekulieren, die soziale Marktwirtschaft gegen den Finanzkapitalismus verteidigt.

Top 15 Investoren im Dax

Vielleicht lässt sich das widersprüchliche Ineinander von Wirtschaftswachstum und Erfindergeist, von Technikbegeisterung und Ingenieurstolz, von Börseneuphorie und Kulturkritik im Deutschland der Gründerzeit in den Begriffen „Entgrenzung“ und „Eindämmung“ fassen: Die Deutschen hatten nichts gegen Geld; ihnen war bloß die Totalität seiner Macht nicht geheuer; sie fürchteten, dass Geld, einmal übermächtig geworden, ihnen die Seele raubt. Von nichts anderem erzählt Richard Wagner in seiner Operntetralogie „Der Ring des Nibelungen“: Eine bürgerliche Gesellschaft, die den Gelderwerb zur Religion erhebt, hat einen Pakt mit dem Teufel geschlossen...

Und doch hat die Fundamentalkritik „bourgeoiser Geldmacht“ Wagner nicht davon abgehalten, für das Festspielhaus „Patronatsscheine“, sprich Aktien, auszugeben, die den Besitzern Plätze für die Festspielaufführungen sicherten. Der Antikapitalist war nicht nur ein notorischer Schnorrer, sondern auch, wie so viele seiner Landsleute damals, ein guter Geschäftsmann.

Inflation und die Sehnsucht nach Ultrastabilität

Der Kapitalismus war längst heimisch geworden im Kaiserreich. Deutschland hatte aufgeschlossen zu den führenden Industrienationen der Welt. Die deutschen Eliten verstanden sich als Fortschrittsgeister und Modernisierungsfreunde, sie waren staatsfromm und glaubten, dass es vorwärts ging, immer vorwärts: Optimismus aus Pflicht. Lebensstilprägend und normsetzend freilich wurde das Bildungsbürgertum: Professoren und Künstler, die nach kulturellem Kapital strebten und einen Bogen um die Börse machten. Sie hatten nichts gegen Reichtum, fürwahr nicht – Honoratioren hielten Hof, Künstlerfürsten kauften schicke Villen –, doch der Kapitalismus als Lebensform, die fröhliche Jagd nach Geld und materiellem Gewinn, kam für das Bildungsbürgertum schon aufgrund seines kulturellen Überlegenheitsgefühls nicht infrage.

So sparen die Deutschen
65 Prozent aller Westdeutschen sparen regelmäßig, im Osten sind es dagegen nur 56 Prozent Quelle: dpa
56 Prozent aller alleinstehenden Deutschen sparen regelmäßig Quelle: dpa
Die finanzielle Bildung hängt offenbar nicht mit der schulischen Bildung zusammen Quelle: dpa
Die Sparsituation hängt in Deutschland stark von der beruflichen Situation ab Quelle: dpa
Wer mehr verdient, der spart auch mehr Quelle: dpa
Wo wird fleißiger gespart: In Großstädten oder auf dem Land? Quelle: dpa/dpaweb
Bei den Bundesländern ist Bayern das Land der Sparer Quelle: dpa

Nach dem verlorenen Weltkrieg stürzte diese „Welt von Gestern“ (Stefan Zweig) ins Bodenlose. Die Kriegsanleihen erwiesen sich schnell als eine der schwersten Hypotheken der Weimarer Republik. Die Reichsschuld hatte sich bereits bis 1918 auf 160 Milliarden Mark verdreißigfacht. Die politisch gewollte Inflation wirkte zunächst wie eine begrenzbare Geldaufblähung, nahm jedoch langsam Geschwindigkeit auf, ging nach dem Vertrauensverlust ausländischer Investoren im August 1922 in eine galoppierende Geldentwertung über – und vernichtete bis zur Einführung der Rentenmark im Dezember 1923 die über den Krieg geretteten Sparvermögen der Deutschen.

Bis heute ist die Geldentwertung als „Inflationstrauma“ in den Affektspeichern der Deutschen tief verankert. Zum einen, weil die Politik aus Angst vor einer Wiederholung in der Weltwirtschaftskrise seit 1929 auf eine aktive Konjunkturpolitik verzichtete, die den Aufstieg der Nationalsozialisten zweifellos erschwert hätte. Und zum anderen, weil das Trauma nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine abermalige Inflation und Währungsreform bestätigt wurde. Der Historiker Hans-Ulrich Wehler diagnostizierte für die Zeit nach dem „Zweiten Dreißigjährigen Krieg“ von 1914 bis 1945 ein „hochempfindliches Sicherheitsbedürfnis der Deutschen“, das in die „Sehnsucht nach (und den Genuss von) Ultrastabilität mündete“.

Das gilt nicht zuletzt für die Generation der zwischen 1922 und 1934 Geborenen, die in ihrer Jugend Not und Unsicherheit am eigenen Leib erfahren hatte. Sie lernte die Sicherheit einer stabilen D-Mark, des Sparbuchs, des Bausparvertrags und des Bundesschatzbriefs lieben – und hielt das Geld zusammen. Seither ist das Sparen in Deutschland nicht mehr nur eine ökonomische Zweckmäßigkeit, sondern auch moralische Tugend.

Doch warum lernte auch die Folgegeneration, das fleißig gefütterte Sparschwein am Weltspartag – eingeführt 1924, am Ende der Inflationsjahre – zur Sparkasse zu bringen? Warum hielten die Deutschen in den „Wirtschaftswunder“-Jahren nicht auch nach anderen, attraktiveren Anlageformen Ausschau? Hatte nicht die Hyperinflation 1923 gelehrt, dass sich eine Geldentwertung vor allem durch Sparstrümpfe frisst und dass ausgerechnet die scheinbar sichersten Papiere – festverzinsliche Staatsanleihen – die schlechteste Versicherung gegen Krisen sind?

Schlechte Erfahrungen mit Volksaktien

Naheliegende Beteiligungen an Konzernen wie Siemens, BMW oder Bayer – über direkte Anteile oder als Gläubiger über Anleihen – ziehen nur wenige Deutsche in Erwägung. Nicht einmal 250 Milliarden Euro haben deutsche Sparer direkt in Unternehmen investiert. Demgegenüber stehen jeweils rund 2000 Milliarden Euro auf täglich verfügbaren Konten oder aus Ansprüchen gegen Lebensversicherungen und Pensionskassen.

Das hat vor allem drei Gründe.

So verdienen Sie Geld an der Börse
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  • Erstens: Das 1976 erlassene Mitbestimmungsgesetz vollendete und normierte den Charakter der deutschen Angestellten-Gesellschaft (mit beschränkter Haftung). Das gemeinsame Interesse am Erfolg eines Unternehmens wird in diesem Modell nicht über die weitverstreute Beteiligung von Anteilseignern sichergestellt (Belegschaftsaktien), sondern über ein Aufsichtsgremium, das die Dichotomie der Kapitalseite einerseits und der Lohnabhängigen andererseits bekräftigt. Das wirtschaftliche Engagement der Deutschen besteht im Acht-Stunden-Verleih ihrer Arbeitskraft, nicht in der Rund-um-die-Uhr-Investition ihres Kapitals.
  • Zweitens: Die deutsche Geldpolitik ist dem Primat der Preisstabilität verpflichtet. Das unterscheidet sie von der Politik der amerikanischen Federal Reserve. Entsprechend verfolgt die Fed eine tendenziell expansive Geldpolitik (mit niedrigen Zinsen), die Abschwünge abfedern und Krisen dämpfen soll, während sich die Bundesbank einer restriktiven Geldpolitik (bei höheren Zinsen) verpflichtet weiß, um das Sparen zu begünstigen und ein Deroutieren der Finanzmärkte zu verhindern. Nicht zuletzt, weil die Vordenker der „Sozialen Marktwirtschaft“ dem Sparen einen „Ehrenplatz“ reserviert haben.
  • Drittens: Die Deutschen haben schlechte Erfahrungen mit Volksaktien gemacht. „Volksaktien“, das hört sich ähnlich verlässlich an wie Volkswagen: „Er läuft und läuft und läuft...“ Und tatsächlich wurde die erste „Volksaktie“ der Deutschen 1959 als „gutes und sicheres Papier für eine langfristige Kapitalanlage“ beworben. Nur leider musste der Anleger für die Papiere der Preussag (später TUI), und mehr noch für die ein Jahr später mit Sozialrabatt unters Volk verjubelten Aktien von Volkswagen, schon einen ganz langen Atem aufbringen, um wirklich von ihnen zu profitieren: Der Kurs von Volkswagen halbierte sich in den Siebzigerjahren. Vollends zum Desaster für Anleger aber geriet erst die Privatisierung der Telekom. Als Witwen- und Waisenpapier gestartet, erreichte die T-Aktie bis März 2000 schwindelerregende Höhen, um hernach 90 Prozent ihres Wertes einzubüßen.
Anlagestrategien der Deutschen bei einer sich verschärfenden Euro-Krise

Welch Wunder, dass die meisten Deutschen Gewinne auf Kapital – nicht zu Unrecht – als Prämien auf Risiken deuten, die sie nicht einzugehen bereit sind – auch (und gerade!) nicht in Zeiten von Niedrigzins, Mangelwachstum, Staatsschuldenexpansion und rettungslos aufgepumpten Märkten. Wenn einer aktuellen Studie der GfK zufolge 17 Prozent der Befragten behaupten, Aktien seien attraktiv (2011: acht Prozent), dann blicken sie auf die vergangenen Jahre und stellen das Offensichtliche fest. Wenn gleichzeitig eine halbe Million Anleger aussteigen, tun sie das mit Blick auf die nächsten Jahre und kalkulieren das Wahrscheinliche ein.

Krisenkinder sind weniger spekulativ

Das ist kein Widerspruch, sondern im Gegenteil: Vielleicht war das Niveau der „Aktienkultur“ in Deutschland nie höher als heute, die Fähigkeit zur Einschätzung wirtschaftlicher Vorgänge nie stärker ausgeprägt. Seit Crashs und Krisen die Finanzmärkte in immer engerer Taktung erschüttern, ja: seit die Geld-Welt als solche nur noch im Modus der Krise erfassbar ist, investieren die Deutschen – solide finanziert, versteht sich – in Immobilien und halten sich mit Engagements an der Börse zurück. Wie klug.

Selbst dem amerikanischen Ökonomen und Nobelpreisträger Robert Shiller fällt auf, dass Deutschland „weniger anfällig für Immobilienblasen“ ist, dass deutsche Investoren „viel vorsichtiger und bürokratischer, auch weniger spekulativ“ sind. Die Sekuritätssensibilität der deutschen Krisenkinder gewinnt seit Jahren an Substanz und Wert. Wenigstens auf den ersten Blick.

Auf den zweiten Blick erweist sie sich als Schimäre. Denn so rational die Zurückhaltung gegenüber Aktien im derzeitigen Umfeld auch sein mag – zum schlagenden Beweis für kluges Anlegerverhalten taugt sie nicht, im Gegenteil: Statt auf Aktien verteilt sich das Geldvermögen der Deutschen vor allem auf Girokonten, Spar- und Termineinlagen und wird von Versicherern und Pensionsmanagern verwaltet – zu jeweils rund 40 Prozent. Das Geld auf den Konten ist jederzeit liquidierbar, gewiss, und das Geld bei den Versicherern suggeriert eine materielle Absicherung des Lebensabends, die an einem überhitzten Aktienmarkt womöglich (derzeit) nicht (mehr) zu erzielen ist.

Und doch sind ausgerechnet die deutschen Krisenkinder damit auf den Krisenfall denkbar schlecht vorbereitet: Bargeld ist nicht nur „totes“ Bargeld, sondern kann sich auch in Luft auflösen (Inflation). Und das den Versicherern anvertraute Geld ist nicht nur niedrig verzinstes und „gebundenes Geld“, das heißt allenfalls nach Zahlung hoher Gebühren verfügbar. Sondern es induziert auch exakt die Risiken, zu deren Vermeidung es eigentlich angelegt ist, weil es in Anleihen „arbeitet“ und damit einen Schuldenkreislauf beschleunigt, dem der Kollaps droht – Endstation Totalverlust. Warum aber sparen die Deutschen aus Vorsicht falsch? Vielleicht hilft ein Blick auf die Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften und Verhaltensökonomen weiter:

Die Folgen eines „Grexits“
Das Nationalgetränk der Griechen droht für einen normalen Arbeiter zum unbezahlbaren Luxusgut zu werden: Ein Frappé, also eine Nescafé mit Milch, Eiswürfeln und einem Strohhalm kostete kurz vor der Einführung des Euro etwa 100 Drachmen. Das entsprach damals rund 30 Euro-Cent. Als die Griechenland-Krise ausbrach, vor etwa sieben Jahren, kostete ein Frappé bereits zwischen 2,50 und drei Euro. Quelle: dpa
Noch im Laufe des Aprils muss Griechenland zwei Staatsanleihen im Wert von 2,4 Milliarden Euro an seine Gläubiger zurückzahlen. Im Mai werden weitere 2,8 Milliarden Euro fällig, von Juni bis August muss Athen noch einmal mehr als zwölf Milliarden Euro an Schulden zurückzahlen. Woher das Geld kommen soll, ist völlig unklar. Quelle: dpa
Die sozialen Probleme sind groß, die Renten wurden gekürzt, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die Regierung Tsipras plant deshalb Steuererleichterungen und die Wiedereinstellung von Beamten. Allein diese Maßnahmen werden im laufenden Jahr nach Berechnungen der griechischen Regierung mindestens zwölf Milliarden Euro zusätzlich kosten. Quelle: dpa
Schon seit Wochen ist von einem „Grexit“ die Rede, dem Austritt Griechenlands aus der Währungsunion, vielleicht sogar verbunden mit einem drastischen Schuldenschnitt. Hinter der öffentlichen Spekulation könnte Absicht stecken. Quelle: ap
Würde eine neu eingeführte Drachme gegenüber dem Euro abwerten, könnte sich die griechische Regierung nach und nach leichter entschulden. Ein Austritt der Griechen aus dem Euro böte auch noch andere Vorteile: So würde die griechische Export-Wirtschaft von einer Abwertung der Landeswährung profitieren. Quelle: dpa
Besonders teuer würde ein „Grexit“ für Menschen mit geringem Einkommen und den Mittelstand mit Sparguthaben auf  griechischen Bankkonten, während das Geld reicher Griechen im Ausland unangetastet bliebe. Quelle: dpa
Die Gläubiger werden so oder so auf Reformen beharren. Für Tsipras kommt es deshalb eigentlich nur darauf an, seinen eigenen Wählern gegenüber eine möglichst gute Figur in den Verhandlungen abzugeben. Das gilt allerdings auch für seine europäischen Partner auf der anderen Seite des Verhandlungstisches. Für alle Beteiligten ist es wichtig, dass eine Lösung der griechischen Haushaltsprobleme möglichst wenige Kollateralschaden verursacht. Quelle: dpa
  • Erstens: mangelnde Vertrautheit. Menschen verlassen sich am liebsten auf das, was sie kennen. Der Sparer, der die Börse nicht versteht, dem die Kapitalmärkte nicht geheuer sind und der deshalb an seinem Sparbuch festhält, glaubt sich auf der sicheren Seite und nimmt dafür sogar Renditenachteile in Kauf. Eigentlich will er gar nicht so genau wissen, was ihm da entgeht, und tatsächlich spürt er es ja auch kaum. Warum? Weil ihn, im Gegensatz zu realen Verlusten, entgangene Gewinne nicht beunruhigen. Sie dringen – „was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ – gar nicht erst in sein Bewusstsein vor.
  • Zweitens: Angst. Der Schriftsteller Burkhard Spinnen, durchaus kein wirtschaftsferner Autor, hat in einem Essay über „Börse und Magie“ die Gründe für seine Börsenabstinenz genannt. Die Versuchung sei groß gewesen, ohne Arbeit reich zu werden, damals, als für die T-Aktie geworben wurde, „und mehr noch die Versuchung: mitzutun, dazuzugehören. Ging aber nicht. Ich hatte einfach Angst“. Angst vor Verlusten. Eine Angst, die offenbar zu unserer anthropologischen Grundausstattung gehört. Für so gut wie alle Menschen ist es wichtiger, Verluste zu vermeiden, als Gewinne zu erzielen – was dazu führt, dass ihnen ein geringer, aber sicherer Gewinn lieber ist, als die Aussicht auf einen hohen, aber unsicheren Gewinn. Sie nehmen sogar geringe, überschaubare Verluste hin, wenn sie dafür dem Risiko hoher Verluste entgehen. Dass bei Spielen mit Gewinnchancen die Risiken generell überschätzt werden, gehört zu den gesicherten Erkenntnissen der Verhaltensökonomik.

Negativzinsen könnten das Anlageverhalten ändern

Der Kognitionspsychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman hat gezeigt, dass es bei finanziellen Entscheidungen nicht darum geht, Erträge zu maximieren. Gewinne und Verluste werden vielmehr im Verhältnis zur gegenwärtigen Lage, dem Referenzpunkt, abgewogen, wobei Verluste regelmäßig stärker zu Buche schlagen. Negatives, nicht Positives dominiert unsere Wahrnehmung. Dafür gibt es einen evolutionsbiologischen Grund: „Lebewesen, die Bedrohungen vordringlicher behandeln als Chancen, haben höhere Überlebens- und Fortpflanzungschancen.“ Wichtige Ausnahme: Die Risikofreude steigt, wenn man tiefer in die Verlustzone gerät. Bei der „Wahl zwischen zwei Übeln“ traut man sich wieder etwas: Der Angstsparer könnte also aufgrund von Negativzinsen sein Anlageverhalten überdenken und das Risiko von Aktien und Fonds eingehen.

  • Drittens: Der „Besitztums-Effekt“ oder „Was man hat, das hat man.“ Menschen hängen an ihrem Besitz. Sie neigen dazu, Dinge, die sie haben, höher einzuschätzen als Dinge, die sie nicht haben, auch wenn beide gleichwertig sind oder die Dinge, die sie durch Änderung ihres Verhaltens erreichen könnten, sogar objektiv wertvoller sind. So ist das Sparbuch für den Sparer auch deshalb ein emotional besetzter Gegenstand, weil er es gleichsam physisch besitzt.
  • Viertens: Status-quo-Fixierung. Der Neurobiologe Gerhard Roth spricht vom Beharrungsvermögen der Menschen: Wir neigen dazu, unser bisheriges Verhalten „auch unter erheblichen Kosten fortzusetzen“, wenn uns Verhaltensalternativen zu aufwendig oder unkalkulierbar erscheinen. Menschen scheuen Veränderungen auch dann, wenn sie ihnen Vorteile bringen. Der Grund für diese scheinbar irrationale Verweigerungshaltung: „Ein Weiter wie bisher“, so Gerhard Roth, „trägt eine starke Belohnung in sich als Lust an der Routine, am Statusbewahren. Hinzu kommt die Angst vor dem Neuen, das immer auch das Risiko des Scheiterns in sich birgt.“ Mit anderen Worten: Dem eingefleischten Sparer muss einiges geboten werden, damit er sein Verhalten ändert. Weil uns die Folgen unseres Handelns stärker zusetzen als die Folgen unserer Unterlassungen, legen wir lieber die Hände in den Schoß.
  • Fünftens: Menschen sind stur. Sie suchen gezielt nach Bestätigungen für ihre Urteile, zum Beispiel dass die Kapitalmärkte chaotisch und unberechenbar sind. Mehr noch: Sie streben, wie der Ökonom Hanno Beck sagt, „nach Kongruenz, nach einem widerspruchsfreien Leben“, weshalb sie sich Fehler nicht eingestehen wollen und „die Dinge so bleiben, wie sie sind“.
Wenn ein Minus von fünf Prozent schon Freude macht

„Keine Experimente“. So plakatierte die Adenauer-CDU 1957. Sie appellierte an das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen. Noch Bundeskanzler Schröder versprach in seiner Regierungserklärung 2002 „materielle, soziale und kulturelle Sicherheit“. Könnte es sein, dass, wie der Historiker Eckart Conze vermutet, die „Suche nach Sicherheit“ tatsächlich der „rote Faden“ der bundesrepublikanischen Geschichte ist? Die aus den Erfahrungen mit Krieg und Inflation resultierende Vorsicht in Geld-Dingen, sie hätte den Sinn der Deutschen für die Risiken der Finanzmärkte nicht verblendet. Sie hätte ihn geschärft.

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