Ökonom Thomas Mayer "Die Gefahr einer neuen Finanzkrise ist groß"

Der Gründungsdirektor des Flossbach-von-Storch-Research-Institutes, Thomas Mayer, kritisiert in seinem neuen Buch die moderne Finanztheorie. Anlegern empfiehlt er, auf die Erkenntnisse der österreichischen Schule der Nationalökonomie zu setzen.

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Thomas Mayer. Quelle: Bert Bostelmann für WirtschaftsWoche

Professor Mayer, in Ihrem neuen Buch „Die neue Kunst Geld anzulegen“ kritisieren Sie die moderne Finanztheorie, wie sie an Universitäten gelehrt wird. Was stört Sie an dieser Theorie?

Die moderne Finanztheorie, die das intellektuelle Gerüst für die akademische Analyse der Finanzmärkte bildet, basiert auf Annahmen, die weit von der Realität entfernt sind. So behauptet die Theorie, die Märkte seien effizient, weil die Menschen rationale Erwartungen hätten. Sie unterstellt, die Menschen seien vollständig informiert und wüssten genau, wie die Welt funktioniert. Schon der gesunde Menschenverstand sagt, dass das absurd ist. Weder gibt es DAS Modell, nach dem die Dinge in der Welt schematisch ablaufen, noch sind die Menschen vollständig informiert. Darüber hinaus unterstellt die moderne Finanztheorie, dass die Kursentwicklungen an den Finanzmärkten einer Normalverteilung folgen. Ein Blick auf die historische Entwicklung zeigt, dass davon keine Rede sein kann. Die Annahmen der modernen Finanztheorie sind nicht zu halten, ihr intellektuelles Gebäude ist morsch, ihre Formeln sind wertlos.

Warum wird die Theorie dann an den Universitäten weiter gelehrt?

Weil die Ökonomen keine andere Theorie haben. Das ist erschreckend. Praktiker, die sich mit der täglichen Geldanlage befassen, haben längst erkannt, dass diese Theorie nicht trägt.

Das sind die Todsünden bei der Geldanlage
Nicht an später denkenEiner der größten und häufigsten Fehler bei der privaten Geldanlage ist, gar nicht damit anzufangen. Viele Anleger machen sich nämlich keine Gedanken über ihre altersvorsorge und geben Erspartes lieber für andere Dinge aus. Quelle: Fotolia
Jagd nach der RenditeMit einer der größten Fehler von Anlegern ist aber die Jagd nach dem schnellen Geld: Sobald von einer Kursrakete, einem totsicheren Tipp oder sonstigem die Rede ist, stürzen sich Investoren darauf, als gäbe es kein Morgen mehr. Der größte Fehler ist, dass Anleger sich in Produkte oder Anlageklassen verrennen, die sich erst kurzfristig gut entwickelt haben und die langfristige Entwicklung mitunter völlig außer Acht lassen. Deshalb sollten sich Investoren darüber im Klaren sein, dass es kein Geldanlagevehikel gibt, dass sich nur gut entwickelt. Auch nicht, wenn seit Wochen und Monaten überall nur Gutes davon zu hören und zu lesen ist. Selbst Gold kann fallen. Da ist es wenig ratsam, das gesamte Vermögen auf einmal in Gold zu tauschen. Quelle: dpa
Unverständliche Produkte kaufenDas Problem, das Anleger ihr Geld auch in Produkte stecken, die sie nicht so recht verstehen, ist mit der Finanzkrise leider nicht ausgelöscht worden. Gerade Börsenneulinge überschätzen ihre Kenntnisse gerne. Deshalb kann es nicht schaden, die eigene Anlagestrategie von jemandem überprüfen zu lassen. Ob es jetzt ein Finanzberater, Investmentclub oder ein guter Freund ist, spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle. Hauptsache, die Idee wird gründlich durchdacht. Quelle: Fotolia
Kosten übersehenGenauso häufig übersehen Anleger Kosten, beispielsweise Verwaltungsgebühren bei Fonds. Aus Faulheit wird das Kleingedruckte nur überflogen oder die Gesamtkostenquote schlicht übersehen. Nachher ist dann die Überraschung groß, wenn sich das vermeintliche Schnäppchen als überteuerter Fonds entpuppt. Quelle: Fotolia
Der Herde folgenEin bekanntes Phänomen ist der Herdentrieb der Anleger. Derzeit fliehen Investoren massenweise aus Anleihefonds - obwohl es keinen offensichtlichen Grund dafür gibt. Es reicht, wenn sich ein Großinvestor oder eine kritische Masse von einem Anlageprodukt abwenden. Schon herrscht die allgemeine Meinung "da stimmt etwas nicht" und die Mehrheit verkauft. Den Anleihefonds hat der Herdentrieb allein seit Juli Mittelabflüsse in Höhe von 11,7 Milliarden Dollar eingebracht. Quelle: dpa
Elitäre ZirkelDas Gegenteil des Herdentriebes ist der Wunsch, einem elitären Zirkel anzugehören. Sobald ein Finanzprodukt strenger limitiert ist, wie es beim Madoffschen Schneeballsystem ebenfalls der Fall war, stürzen sich Investoren darauf, ohne genau hinzusehen, was sie da eigentlich kaufen. Das Bedürfnis, zu einer kleinen Gruppe zu gehören, die unermesslich reich wird, ist zu groß. Quelle: Fotolia
Fehler nicht eingestehenMindestens genauso falsch ist es, sich seine Fehlentscheidungen nicht einzugestehen. Dieses Verhalten lässt sich bei jedem Aktiencrash beobachten: Anleger halten an abstürzenden Papieren fest, in der Hoffnung, der Kurs werde sich doch wieder erholen. Wer eine Aktie für 30 Dollar kauft und dann jahrelang ihren Sinkflug beobachtet und nicht verkauft, kann sich offenbar nicht eingestehen, aufs falsche Pferd gesetzt zu haben. Nur wer das erkennt, kann Verluste begrenzen. Quelle: Fotolia

Sie werfen der Finanztheorie eine Mitschuld an der Finanzkrise vor. Können Sie das näher erläutern?

Nehmen Sie die Methoden, mit denen die Banken Risiken steuern. Diese Methoden basieren auf der modernen Finanztheorie. Kursschwankungen werden als Risiko definiert. Das Problem ist jedoch: Die Kurse schwanken umso geringer, je steter sie ihrem Höhepunkt zustreben. Daher haben die Risikobewertungsmodelle kurz vor dem Platzen der Kursblase sinkende Risiken angezeigt. Die Banken haben deshalb ihre Wertpapierbestände weiter aufgestockt. Die Navigationsinstrumente der modernen Finanztheorie haben versagt, ihre Anhänger sind ins offene Messer gelaufen.

Auch die Vertreter der Verhaltensökonomie kritisieren die moderne Finanztheorie. Sie behaupten, die Menschen handelten irrational und ließen sich vom Bauchgefühl leiten.

Das Verdienst der Verhaltensökonomie besteht darin, dass sie die Annahme des vollständig rational handelnden Menschen kritisch hinterfragt hat. Aber die Verhaltensökonomen schießen über das Ziel hinaus, weil sie alles, was nicht dem Modell des rational handelnden Menschen entspricht, als irrational betrachten.

Aber Dinge wie Herdenverhalten an den Finanzmärkten sind doch irrational.

Wir sollten das Handeln von Menschen nicht leichtfertig als irrational einstufen, nur weil es sich von dem Paradigma des Homo oeconomicus unterscheidet. Menschliches Handeln wird immer durch die subjektive Wahrnehmung und Bewertung von Informationen bestimmt. Kein Mensch verfügt über alle Informationen. Vielmehr wählt er die für ihn relevanten aus, bewertet sie mit dem ihm zur Verfügung stehenden Wissen und handelt dann, um seine Ziele zu erreichen. Schauen Sie sich die Analysten an den Börsen an. Die interpretieren Bilanz- und Konjunkturdaten auch sehr unterschiedlich.

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