Professor Mayer, in Ihrem neuen Buch „Die neue Kunst Geld anzulegen“ kritisieren Sie die moderne Finanztheorie, wie sie an Universitäten gelehrt wird. Was stört Sie an dieser Theorie?
Die moderne Finanztheorie, die das intellektuelle Gerüst für die akademische Analyse der Finanzmärkte bildet, basiert auf Annahmen, die weit von der Realität entfernt sind. So behauptet die Theorie, die Märkte seien effizient, weil die Menschen rationale Erwartungen hätten. Sie unterstellt, die Menschen seien vollständig informiert und wüssten genau, wie die Welt funktioniert. Schon der gesunde Menschenverstand sagt, dass das absurd ist. Weder gibt es DAS Modell, nach dem die Dinge in der Welt schematisch ablaufen, noch sind die Menschen vollständig informiert. Darüber hinaus unterstellt die moderne Finanztheorie, dass die Kursentwicklungen an den Finanzmärkten einer Normalverteilung folgen. Ein Blick auf die historische Entwicklung zeigt, dass davon keine Rede sein kann. Die Annahmen der modernen Finanztheorie sind nicht zu halten, ihr intellektuelles Gebäude ist morsch, ihre Formeln sind wertlos.
Warum wird die Theorie dann an den Universitäten weiter gelehrt?
Weil die Ökonomen keine andere Theorie haben. Das ist erschreckend. Praktiker, die sich mit der täglichen Geldanlage befassen, haben längst erkannt, dass diese Theorie nicht trägt.
Sie werfen der Finanztheorie eine Mitschuld an der Finanzkrise vor. Können Sie das näher erläutern?
Nehmen Sie die Methoden, mit denen die Banken Risiken steuern. Diese Methoden basieren auf der modernen Finanztheorie. Kursschwankungen werden als Risiko definiert. Das Problem ist jedoch: Die Kurse schwanken umso geringer, je steter sie ihrem Höhepunkt zustreben. Daher haben die Risikobewertungsmodelle kurz vor dem Platzen der Kursblase sinkende Risiken angezeigt. Die Banken haben deshalb ihre Wertpapierbestände weiter aufgestockt. Die Navigationsinstrumente der modernen Finanztheorie haben versagt, ihre Anhänger sind ins offene Messer gelaufen.
Auch die Vertreter der Verhaltensökonomie kritisieren die moderne Finanztheorie. Sie behaupten, die Menschen handelten irrational und ließen sich vom Bauchgefühl leiten.
Das Verdienst der Verhaltensökonomie besteht darin, dass sie die Annahme des vollständig rational handelnden Menschen kritisch hinterfragt hat. Aber die Verhaltensökonomen schießen über das Ziel hinaus, weil sie alles, was nicht dem Modell des rational handelnden Menschen entspricht, als irrational betrachten.
Aber Dinge wie Herdenverhalten an den Finanzmärkten sind doch irrational.
Wir sollten das Handeln von Menschen nicht leichtfertig als irrational einstufen, nur weil es sich von dem Paradigma des Homo oeconomicus unterscheidet. Menschliches Handeln wird immer durch die subjektive Wahrnehmung und Bewertung von Informationen bestimmt. Kein Mensch verfügt über alle Informationen. Vielmehr wählt er die für ihn relevanten aus, bewertet sie mit dem ihm zur Verfügung stehenden Wissen und handelt dann, um seine Ziele zu erreichen. Schauen Sie sich die Analysten an den Börsen an. Die interpretieren Bilanz- und Konjunkturdaten auch sehr unterschiedlich.