Tauchsieder

Kunstmarkt: Geld wie Heu?

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Kunst als Erbe

Bei den Frühjahrsauktionen an diesem und am nächsten Wochenende könnte es womöglich nicht ganz so rund laufen wie in den vergangenen Jahren. Bei Grisebach fanden am Donnerstagabend immerhin 20 von 50 „ausgewählten Werken“ keine Abnehmer; darunter auch vier der neun am höchsten taxierten Lose (Jawlensky, Pechstein, Schmidt-Rottluff). Viele Bilder wechselten gerade mal zum Limitpreis (oder knapp darüber) den Besitzer. Einen wirklichen Ausreißer nach oben verzeichnete allein eine späte, nicht einmal typische Leinwand des momentan überpopulären, heißlaufenden Ernst Wilhelm Nay. 

Über die Gründe lässt sich trefflich spekulieren. Vielleicht der Wichtigste: Viele deutsche  Banker, Manager, Unternehmer sammeln seit den Siebziger- und Achtzigerjahren Kunst - Kunst, die in den nächsten Jahren vererbt werden wird. Und Kunst, für die gilt: Das Angebot wird größer als die Nachfrage sein. Es ist zumindest fraglich, ob die Erben der Zweitliga-Kunst aus  Impressionismus und Expressionismus ihr denselben Wert beimessen werden wie die Elterngeneration es tat. Es ist beinahe gewiss, dass die virile Männerkunst von Kiefer, Baselitz, Penck, Lüpertz und Immendorf für ein grünvegan-durchgegendertes 21. Jahrhundert nur noch von peripherem Interesse sein wird.

Und fest steht, dass die schiere Menge der zeitgenössischen Museums-, Messe- und Galeriekunst, dass all’ die teuren Installationen, Skulpturen, Videos und Bilder auf dem Sekundärmarkt auf ein minimales Interesse stoßen werden - ganz einfach, weil es viel zu viel von ihr gibt, weil für den überwiegenden Teil der zeitgenössischen Kunst dasselbe gilt wie für die zeitgenössische Musik (einmal gespielt, nie wieder aufgeführt) - und weil alles Zeitgenössische sich dadurch auszeichnet, dass es heute schon von gestern ist. 

Das Auktionshaus van Ham in Köln antizipiert diese Entwicklung seit einigen Jahren besonders feinfühlig und hat sich zum Innovationstreiber der Branche gemausert. Geschäftsführer Markus Eisenbeis hat kuratierte Online-Auktionen eingeführt, in denen Werke von 200 bis 5000 Euro  versteigert werden, fraglos das beste Angebot dieser Art in Deutschland: Hier wird eine junge Kundschaft an die Marke gebunden. Vor allem aber bietet Eisenbeis über die 2011 gegründete „Van Ham Art Estate“ die Verwaltung und Vermarktung künstlerischer Nachlässe an, um vom wachsenden Erbgeschäft zu profitieren. Solche Nachlässe werden in der Regel von den Familien verwaltet, mitunter in Stiftungen überführt (vorbildlich: Ernst Wilhelm Nay), von Galerien betreut – oder von Eisenbeis. Unter anderem verwahrt van Ham auf 4000 Quadratmetern rund 300 Werke von Karl Fred Dahmen (1917–1981), im Auftrag der beiden Enkel. Aber was heißt verwahren? Es geht darum, „den Künstler als Künstler am Leben zu erhalten“, sagt Eisenbeis. Sein Deal mit den Erben: Erst Erbschaftsteueroptimierung über das Kleinrechnen des Konvolutes (Paketabschlag, Transport-, Vermarktungs- und Versicherungskosten) auf maximal 15 Prozent. Anschließend Wertmaximierung durch kluges Künstlermanagement. Dazu hat Eisenbeis die Werke inventarisiert, begutachtet, bewertet, präsentiert und kontextualisiert, 2017 in Duisburg und Düren zwei Museums-Ausstellungen mit teils unverkäuflichen Premiumwerken initiiert – und er platziert sie, über Jahre hinweg, auf Versteigerungen des Auktionshauses.

Keine schlechte Idee. Zumal sich Eisenbeis damit indirekt auch als eine Art Idealpartner für Sammler ins Spiel bringt - und am wertsteigernden Verkauf ihrer Kollektionen. Am vergangenen Mittwoch versteigerte Van Ham die ersten 150 von mehr als 4000 zeitgenössischen Werken aus der Sammlung SØR Rusche - der Textilhändler hat sich entschlossen, die Sammlung „zu veräußern, um die digitale Transformation des Unternehmens zu finanzieren und die Arbeitsplätze der Mitarbeiter langfristig zu sichern“, so Geschäftsführer Thomas Rusche - und ganz gleich, ob das stimmt oder nicht: Der von Eisenbeis organisierte Abverkauf gelang glänzend: Van Ham meldete einen „White Glove Sale“ ohne einen einzigen Rückgang, spielte mit Werken von populären, auch von der Erbengeneration geschätzten Gegenwartskünstlern wie Norbert Bisky, Martin Eder, Leiko Ikemura, Neo Rauch, Sven Kroner und Daniel Richter mehr als 2,5 Millionen Euro ein - doppelt so viel wie erwartet.

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