Verkehrte (Finanz)welt
Quelle: imago images

Börsengänge in Deutschland: Bringt das Jahr 2024 neuen Schwung?

Der deutsche IPO-Markt bewegt sich derzeit in einem schwierigen Umfeld. 2024 könnten sich wieder mehr Unternehmen über die Kapitalmärkte finanzieren. Ob auch Privatanleger davon profitieren? Eine Kolumne.

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Im Jahr 2023 belief sich das Emissionsvolumen der Börsengänge in Deutschland auf eine Summe von circa zwei Milliarden Euro. Nur wenige Unternehmen, vor allem im internationalen Vergleich, wagten den Sprung aufs Parkett. Auch die Börsengänge von Ionos, Thyssenkrupp, Nucera und Schott Pharma reichten nicht aus, um den deutschen IPO-Markt aus seiner mittlerweile zwei Jahrzehnte andauernden Lethargie zu befreien.

Was sind die Gründe dafür, dass sich in Deutschland eher wenige Unternehmen über die Kapitalmärkte finanzieren? Neben der (zeitweise) unsicheren Börsenlage aufgrund von Inflations- und Rezessionsängsten sind es in erster Linie strukturelle Ursachen, die geeignete IPO-Kandidaten zu anderen Finanzierungsmodellen haben greifen lassen. So hat der Rüstungsunternehmer Renk das Listing beispielsweise verschoben. Birkenstock und Biontech sahen hingegen den Gang an die US-Börse aufgrund der besseren Liquidität und geringeren Bürokratie als geeignetere Lösung an. Ähnliches gilt auch für das Industrieunternehmen Linde, welches das Dual-Listing in Frankfurt Ende des zweiten Quartals 2023 beendete.

Lösungsvorschläge

Die strukturellen Defizite lassen sich auch durch die Flut von Neuemissionen nicht kaschieren, die wir 2021 temporär hatten. Diese waren teilweise schlecht vorbereitet, verliefen mit Blick auf den Kursverlauf zumeist enttäuschend und endeten – wie im Falle von Rocket Internet, Suse oder Synlab – mit Delistings. Der Aktienkultur in Deutschland hat dies sicherlich nicht geholfen.

von Frank Doll, Philipp Frohn, Martin Gerth, Julia Groth, Anton Riedl, Jan-Lukas Schmitt, Heike Schwerdtfeger

Wie könnten Lösungen aussehen? Um 2024 zu einem erfolgreicheren IPO-Jahr zu machen und den jüngsten Rückenwind mit fallenden Zinsen und steigenden Börsen zu nutzen, sollten sich IPO-Kandidaten frühzeitig und unabhängig von der Marktsituation auf den Tag X vorbereiten. Dazu gehören neben der Entwicklung der eigentlichen Unternehmens-Story auch eine klare ESG-Strategie und solide Investor-Relations-Arbeit. Als Lehre aus vielen gescheiterten IPOs sollte auch die Notwendigkeit eines attraktiven Platzierungspreises verstanden werden, so dass – wie bei den meisten US-Börsengängen – noch genügend Anschlussinteresse besteht (sogenannte „Aftermarket Performance“). Ebenso wurden Privatanleger in jüngster Vergangenheit als potenzielle Zeichner vernachlässigt. Während in nordischen Ländern bis zu 50 Prozent einer Neuemission an diese Gruppe treuer Aktionäre geht, sind es in Deutschland oftmals weniger als 5 Prozent. Natürlich spielen da auch die Erfahrungen aus den Zeiten des Neuen Marktes eine hemmende Rolle.

Finanzstandort Deutschland

Die bisherigen Empfehlungen betreffen die Emittenten. Doch was kann auf politischer und regulatorischer Ebene getan werden, um die Rahmenbedingungen am Wirtschaftsstandort attraktiver zu gestalten? Um eine bessere Aktienkultur und damit auch bessere Startchancen für junge Unternehmen zu fördern, wären eine Reihe von Maßnahmen denkbar. Die Einführung eines steuerbegünstigten Ansparverfahrens mit Aktien für die Altersvorsorge würde sicherlich helfen – ebenso wie der jüngst diskutierte Aktienfonds der Bundesregierung zur Finanzierung der Rentenlücke. Als Vorbild könnten die Sparpläne in Ländern wie Schweden gelten, wo Aktieninvestments mit langjähriger Haltedauer für Privatanleger steuerlich begünstigt sind. Die reife Aktienkultur dort (und die im Vergleich zu Deutschland geringeren Berührungsängste mit Investments in innovative Unternehmen) sind auch ein Resultat besserer schulischer und außerschulischer Bildung zu den Themen Wirtschaft und Geldanlage.

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Viele Marktteilnehmer ächzen zudem ob der sehr hohen Informationsanforderungen und Dokumentationspflichten hierzulande. Daher brauchen wir einen Abbau der Regulierung und Bürokratie für die beteiligten Banken und Unternehmen auf der einen Seite sowie andererseits eine funktionierenden Börsenaufsicht bei IPOs, wie es die SEC in den USA verkörpert. In Deutschland müssen sich IPO-Kandidaten beispielsweise mit umfangreichen Prospekt- und Zulassungsfolgepflichten (Ad-hoc-Publizität, Insiderlisten, Reportings) und hohen Gebühren auseinandersetzen, was insbesondere für kleine Emittenten nur schwer zu schultern ist.

Ausblick

Die skizzierten Regulierungs- und Bildungsthemen wurden in der Politik – ebenso wie sich daran anschließende Steuerthemen – häufig diskutiert, ohne dass es bisher zu einschneidenden Verbesserungen gekommen ist. Zusammenfassend würden aber genau solche Maßnahmen das Kapitalmarkt-Ökosystem bestehend aus privaten und institutionellen Investoren, Banken sowie den gelisteten Unternehmen und potenziellen Börsenneulingen stärken. Daraus würde sich eine neue Chance ergeben, damit innovative Unternehmen (Hidden Champions), die es in Deutschland genügend gibt, sich Kapital für Wachstum und Arbeitsplätze beschaffen können und die allgemeine Aktienkultur wieder einen Aufschwung erlebt.

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Die Kolumne „Verkehrte Finanzwelt“ entsteht in Zusammenarbeit mit der CFA Society Germany.

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