Debatte um Enteignungen Sind Wohnkonzerne wirklich die schlechteren Vermieter?

Immobilien: Die Mieten steigen immer weiter - in Berlin ist deshalb ein Volksbegehren zur Enteignung von Deutschen Wohnen uns Co. gestartet Quelle: imago images

Nicht nur in Berlin ist eine Debatte um Enteignungen auf dem Wohnungsmarkt entbrannt. Die Enteignungs-Fans halten große Wohnkonzerne für gierig und asozial. Doch eine neue Studie zeigt: Das stimmt so nicht.

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Es ist ein düsteres Bild, das das leuchtend gelbe Plakat zeichnet. „Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen, Vonovia, Akelius und andere tragen systematisch zu Mietsteigerungen und Verdrängung bei“, steht dort in lila Lettern. Gerade die Deutsche Wohnen sorge für Schlagzeilen mit „schimmelnden Wohnungen, kaputten Aufzügen und Heizungsausfällen“. Das Plakat endet mit dem Aufruf: „Holen wir uns unsere Häuser zurück!“

Entworfen und überall in Berlin aufgehängt wurden die gelben Plakate von den Initiatoren für ein Volksbegehren zur Enteignung von Deutsche Wohnen und Co., das seit Samstag Unterschriften sammelt. Ihre Stoßrichtung ist klar: Wer eine Wohnung bei einem der großen Konzerne mietet, der hat es schlechter als Mieter bei netten Privatvermietern oder gar der Kommune. Die Frage ist nur: Stimmt diese Annahme überhaupt?

Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln ist dieser Frage in einer neuen Studie nachgegangen – und die Ergebnisse der Forscher sind alles andere als eindeutig. „Bezogen auf den subjektiven Renovierungsbedarf und das Modernisierungsverhalten sind keine wesentlichen Unterschiede zwischen kommunalen, genossenschaftlichen und privaten Wohnungen erkennbar“, schreiben die Autoren Michael Voigtländer und Pekka Sagner. Auch die Zahl der tatsächlich durchgeführten Sanierungen sei vergleichbar.

Selbst der Deutsche Mieterbund, der von Haus aus kein Lobbyist der Wohnkonzerne ist, sieht keine grundlegenden Unterschiede. „Es gibt mit Sicherheit genau so schlechte oder noch schlechtere Vermieter, die weniger Wohnungen halten“, sagt Mieterbund-Sprecher Ulrich Ropertz. Die großen Unternehmen seien aber sichtbarer und böten so eine größere Angriffsfläche.

Und mehr noch: In der IW-Umfrage geben zwar zehn Prozent der Mieter an, dass ihre Wohnungen vollständig renovierungsbedürftig seien. Diese zehn Prozent mieten jedoch Wohnungen bei kommunalen Wohnungsgesellschaften, nicht bei privaten. Der größte Sanierungsstau ist damit nicht, wie von dem Plakat suggeriert, der Profitgier der Großkonzerne anzulasten, sondern der Nachlässigkeit der öffentlichen Hand.

In einem anderen Punkt scheint sich die Kritik der Enteignungs-Fans jedoch durchaus zu bewahrheiten: Die Mieten steigen bei den großen Wohnungskonzernen deutlich stärker als bei privaten oder kommunalen Vermietern. So blieb der Quadratmeterpreis bei kommunalen Wohnungen im Untersuchungszeitraum 2013 bis 2017 konstant bei 7,40 Euro im Median. Bei privaten Vermietern stieg er im selben Zeitraum von 8,10 Euro auf 8,70 Euro, bei großen Wohnunternehmen von 7,70 Euro auf 8,70 Euro. Grundlage der Untersuchung sind die preisbereinigten Brutto-Medianmieten in allen deutschen Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern.

Voigtländer und Sagner sehen die Mietsteigerungen bei Deutsche Wohnen und Co. jedoch nicht nur negativ, auch wenn hier in der öffentlichen Debatte „schnell skandalisiert“ werde: „Letztlich ist es das Ziel von Unternehmen, Gewinne zu realisieren.“ Zudem sorgten Mietpreisbreme und Milieuschutz schon heute dafür, dass die Mieten künftig langsamer ansteigen dürften.

Und die Experten gehen noch einen Schritt weiter: Sie hinterfragen, ob es automatisch gut ist, dass die kommunalen Vermieter die Mieten nicht anheben. „Durch unterlassene Mietsteigerungen wird der Gewinn geschmälert, was zu geringeren Ausschüttungen an den Gesellschafter, die Stadt, führt.“ Das halten die Autoren nur dann für vertretbar, wenn durch die niedrigen Mieten ein sozialpolitisches Ziel erreicht werden soll. Wenn also besonders viele Niedrigverdiener oder Sozialhilfeempfänger in den öffentlichen Wohnungen leben, die sich hohe Mieten nicht leisten könnten.

Die Debatte über Maßnahmen gegen steigende Mieten gewinnt an Fahrt. Der Jurist Jan Kehrberg erklärt, warum er einen Volksentscheid zur Enteignung von Vermietern für Populismus hält – und was vielversprechender wäre.
von Martin Gerth

Und tatsächlich leben ganze 71 Prozent der Mieter kommunaler Wohnungen von weniger als dem Medianeinkommen. Bei Mietern von Deutsche Wohnen und Co. sind es 56 Prozent. Am wohlhabendsten sind der Untersuchung zufolge die Mieter privat vermieteter Wohnungen. Hier lebt deutlich weniger als jeder zweite unterhalb des Median-Einkommens. Gleichzeitig verfügen 31 Prozent der Mieter über 140 Prozent und mehr des Medianeinkommens.

Was folgt aus dieser Zahlenkaskade? Nach Ansicht der IW-Experten vor allem eins: Dass eine Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. die falschen Leute entlasten würde. Nämlich die, die eigentlich genug Geld haben, die ortsüblichen Mieten zu zahlen. „Damit würden zu einem hohen Anteil künftig Haushalte von Einnahmeverzichten profitieren, die in der Regel keiner staatlichen Unterstützung bedürfen.“

Sinnvoller wäre es Voigtländer und Sagner zufolge, gezielt sozial Schwache bei ihren Wohnkosten zu unterstützen – und mehr Wohnraum zu schaffen, um die Mieten nicht noch weiter steigen zu lassen.

Auch der Mieterbund hält Enteignungen nicht für das drängendste Problem. „Die Debatte ist nur ein Symptom für extreme Unruhe in der Mieterschaft“, sagt Ropertz. „Die Menschen wollen zeigen, dass sie sie das 'Weiter so' nicht mehr gefallen lassen.“ Um die Probleme wirklich zu lösen, müssten jedoch Mieten wirksamer gedeckelt werden und mehr erschwinglicher Wohnraum entstehen.

Auch das ist eine Schwäche der Enteignungs-Befürworter mit ihren leuchtend gelben Plakaten: Selbst wenn alle Wohnkonzerne enteignet würden, würde dadurch das eigentliche Problem nicht bekämpft. Was es braucht, sind neue Wohnungen. Die Wohnungen von Deutsche Wohnen und Co. sind aber schon alle bewohnt – und zwar zum Großteil von Gutverdienern.

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