EuGH-Urteile Urlaubsanspruch verfällt nicht automatisch – und kann vererbt werden

EuGH: Urlaubsanspruch verfällt nicht automatisch Quelle: dpa

Der Europäische Gerichtshof hat wegweisende Urteile zu Urlaubsansprüchen gefällt: Diese könnten vor allem Arbeitnehmern zugute kommen – und ihren Erben.

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Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub darf nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofs nicht automatisch deshalb verfallen, weil der Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt hat. Dies dürfe nach EU-Recht nur dann geschehen, wenn der Arbeitgeber nachweisen könne, dass er seinen Angestellten angemessen aufgeklärt und in die Lage versetzt habe, den Urlaub zu nehmen, urteilten die Luxemburger Richter am Dienstag (Rechtssachen C-619/16 und C-684/16).

Hintergrund sind zwei Fälle aus Deutschland, die von den nationalen Gerichten zur Klärung an den Europäischen Gerichtshof verwiesen worden waren. Ein ehemaliger Rechtsreferendar des Landes Berlin hatte sich dafür entschieden, in den letzten fünf Monaten seines Referendariats keinen Urlaub zu beantragen. Vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg fordert er dafür finanziellen Ausgleich. Sein Arbeitgeber argumentierte jedoch, er sei nicht daran gehindert gewesen, den Urlaub zu nehmen. Ein früherer Angestellter der Max-Planck-Gesellschaft fordert zudem eine Auszahlung für nicht genommenen Urlaub aus zwei Jahren.

Der EuGH betonte nun, dass der Arbeitnehmer im Verhältnis zu seinem Chef die schwächere Partei sei. Deshalb könne er davon abgeschreckt werden, auf sein Urlaubsrecht zu bestehen. Könne der Arbeitgeber hingegen beweisen, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken verzichtet habe, dürfe der Urlaubsanspruch oder eine entsprechende Ausgleichszahlung nach EU-Recht verfallen. Dies gelte sowohl für öffentliche als auch für private Arbeitgeber.

„Der EuGH läutet eine dramatische Kehrtwende im Urlaubsrecht für deutsche Arbeitgeber ein. Selbst wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub nicht im maßgeblichen Jahr beantragt hat, besteht nun eine Schadenersatzpflicht für nicht genommenen Urlaub“, erklärt der Arbeitsrechtsexperte Dr. Martin Lüderitz von der internationalen Kanzlei Bryan Cave Leighton Paisner in Hamburg. Die Beweispflicht liegt nun nach Ansicht der Luxemburger Richter bei den Arbeitgebern. Sie können die Schadensersatzpflicht vermeiden, wenn sie nachweisbar alles getan haben, dem Arbeitnehmer den Urlaub zu ermöglichen. „Das könnte aber zu neuen Streitfragen führen. Arbeitgeber müssen aktiver als bisher prüfen, ob Arbeitnehmer ihren Urlaub auch beantragen, um diesen Nachweis führen zu können. Denkbar wäre insbesondere, Arbeitnehmer vertraglich zur Stellung von Urlaubsanträgen zu verpflichten“, empfiehlt der Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Lüderitz. „Schwer vorstellbar wäre eine Praxis, wonach Arbeitgeber den Urlaub ohne einen Antrag gewähren und dem Arbeitnehmer, womöglich gegen seinen Willen, den Urlaub zu einem bestimmten Zeitpunkt „aufzwingen“ müssten. Ein solches Vorgehen dürfte in der Praxis zu zahlreichen Problemen führen.“

Nach deutschem Recht erlischt der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eigentlich in der Regel am Ende des Arbeitsjahres, falls der Arbeitnehmer zuvor keinen Urlaubsantrag gestellt hat.

Urlaubsanspruch kann vererbt werden

Gemäß eines weiteren Urteils des höchsten EU-Gerichts können Erben eine Ausgleichszahlungen für nicht genommenen Urlaub eines Gestorbenen von dessen ehemaligen Arbeitgeber verlangen. Dies gelte auch dann, wenn nationales Recht diese Möglichkeit wie in Deutschland eigentlich ausschließt, urteilten die Richter des Europäischen Gerichtshofs ebenfalls am Dienstag(Rechtssachen C-569/16 und C-570/16).

Hintergrund sind die Klagen zweier Witwen in Deutschland. Sie fordern Ausgleich für bezahlten Jahresurlaub, den ihre Ehemänner vor deren Tod nicht genommen hatten. Das Bundesarbeitsgericht rief daraufhin den EuGH an und wollte unter anderem wissen, ob Erben diese Zahlungen nach EU-Recht zustehen, obwohl das nationale Recht dies ausschließe.

Der EuGH betonte nun, dass der gesetzlich geregelte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub zweierlei Zweck verfolge. Zum einen solle er dem Arbeitnehmer Erholung ermöglichen - dies sei im Fall eines Toten nicht mehr möglich. Zudem bestehe jedoch auch der Anspruch auf Bezahlung während des Urlaubs. Dieser könne dem Arbeitnehmer und später auch den Erben nicht rückwirkend entzogen werden. Dies gelte sowohl für staatliche als auch für private Arbeitgeber.

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