Spekulationssucht Süchtig nach dem Glücksspiel Börse

Spekulieren kann sich ebenso zu einer Sucht entwickeln wie Spielautomaten in der Imbissbude. Der Fall Hoeneß zeichnet das Bild eines krankhaft Spielsüchtigen. Aber das wird ihm beim Urteil kaum helfen.

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War Uli Hoeneß spekulationssüchtig? Quelle: REUTERS

Mehr als 27 Millionen Euro an Steuern auf Spekulationsgewinne soll FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß nach neuesten Aussagen hinterzogen haben. Der erstaunlich hohe Betrag legt nahe, dass er mit immensen Beträgen an der Börse gezockt hat, was das Zeug hielt. Dass er seine Börsengeschäfte schon krankhaft betrieben hat, wird im Prozess vor dem Landgericht in München immer deutlicher. Viele Aussagen und Indizien sprechen für das Verhalten eines Suchtkranken.

Glücksspielsucht ist ein weithin bekanntes Phänomen und wird meist mit Glücksspielautomaten in Verbindung gebracht. Die Spekulationssucht gilt als eine Ausprägung der Glücksspielsucht. Beides sind jedoch keine medizinischen Fachbegriffe, sondern umgangssprachliche Beschreibungen für etwas, das Mediziner als Störung der Impulskontrolle bezeichnen. „Dabei ist der Impuls der Wunsch nach dem Kick beim Zocken, die Droge ist das Geld“, sagt Ralf Hölzel, Fachberater für Glücksspielsucht bei der Evangelischen Suchtberatung in Frankfurt. Er hat regelmäßig mit Spekulationssüchtigen zu tun. „Glücksspielsucht treffen wir in allen möglichen Bevölkerungsgruppen an. Erwerbslose Hartz-IV-Empfänger, psychisch Kranke, Rentner und selbst gut verdienende Bankberater suchen die Suchtberatungsstelle auf.“

Wenn Hölzel Spekulationssüchtige berät, ist die Erkrankung meist schon stark fortgeschritten. „Die Betroffenen kommen in nahezu allen Fällen nur auf Druck ihrer Angehörigen oder Partner. Oft ist dann die Verschuldung schon sehr hoch oder der Job oder die eigene Existenz bereits akut bedroht.“

Typisch für Spekulationssüchtige ist der zunehmende Kontrollverlust. Die eingesetzten Beträge werden immer höher, ebenso wachsen mit der Zeit die Risiken, die mit den Börsengeschäften eingegangen werden. Verluste führen nur noch dazu, dass mit noch höherem Einsatz versucht wird, wieder auf die Gewinnerseite zu gelangen. „Geld ist nur das Mittel zum Zweck“, sagt Hölzel. „Es geht um den Kick, nicht um das Gewinnen. Der Belohnungseffekt entsteht beim Spielen. Das ist wie ein Feuerwerk, wenn der Körper zur Belohnung Dopamin und Endorphin ausschüttet.“

Auch bei Uli Hoeneß haben Häufigkeit und Volumen der Börsengeschäfte mit den Jahren schon fast groteske Züge angenommen. Hoeneß selbst sprach von seiner "Zockerei" an der Börse, seinen Börsenpager hatte er ständig dabei. 50.000 Transaktionen will er zwischen 2001 und 2010 getätigt haben. Das könne geschehen, „wenn man zockt und verrückt ist, wie ich es damals war“, bekannte Hoeneß vor Gericht. Rein rechnerisch hätte damit in den genannten neun Jahren an jedem einzelnen Tag etwa 15 Käufe oder Verkäufe an der Börse getätigt. An einzelnen Tagen soll er bis zu 100 Orders aufgegeben haben. „Es war der Kick, es war pures Adrenalin", sagte Hoeneß am vergangenen Montag vor Gericht.

Die Aussagen von Uli Hoeneß seit seiner Selbstanzeige vor einem Jahr zeichnen das Bild eines Spekulationssüchtigen. Die Summen, mit denen er an der Börse spielte, wurden offenbar immer größer, auch wenn nicht genau bekannt ist, welche Summen er bewegt hat. In den Medien kursieren Schätzungen, nach denen Hoeneß insgesamt mit einem dreistelligen Millionenbetrag an der Börse gehandelt haben soll. Fest steht auch, dass er seine Börsengeschäfte teilweise über einen Kredit finanzierte, als es schlecht für ihn an der Börse lief.

Zumindest ist Hoeneß offenbar nicht wie die meisten Spekulationssüchtigen immer tiefer in eine Verlustspirale geraten. Nach Erkenntnissen der Steuerfahnder waren auf seinen Schweizer Konten seit 2001 Erträge von rund 70 Millionen eingegangen. Welcher Verlust dem gegenüberstand, muss die Behörde noch ermitteln. Unter dem Strich habe er damit aber zwischen 2003 und 2009 keinen Gewinn gemacht, hatte Hoeneß am ersten Verhandlungstag zu Protokoll gegeben. Aus Sicht seiner Selbstanzeige müssen aber zumindest Spekulationsgewinne in einer Höhe geblieben sein, die eine Steuernachzahlung von 3,5 Millionen Euro rechtfertigen.

Kick an der Börse

Steuerhinterziehung: Vom Kavaliersdelikt zum Verbrechen
Die schweizer Flagge vor einer Bank Quelle: dpa
Ein Bild vom 11. September 2001 Quelle: REUTERS
Hans Eichel Quelle: REUTERS
Schweizer Käse Quelle: AP
Klaus Zumwinkel Quelle: dpa
Das Logo der UBS Quelle: dapd
Schweizer Fahne auf einer CD Quelle: dpa

Aber auch, wenn Hoeneß keine riesigen Verluste anhäufte, so ging er bei seinen Geschäften doch hohe Risiken ein. Offenbar hatte sich der erfolgreiche Fußballmanager vor allem bei Devisengeschäften einiges zugetraut – einem Markt, der besonders schwer vorhersagbar ist und in kurzen Abständen die Richtung wechselt. Um mit Spekulationen auf Dollar, Pfund oder Yen trotz der geringen Preisdifferenzen nennenswerten Gewinne zu machen, muss ein Anleger sehr hohe Beträge einsetzen.

Vor allem zwischen 2002 und 2006 will Hoeneß permanent dem Kick an der Börse nachgejagt haben. Die Kurse verfolgte er auf seinem Pager, per Telefon hat er dann seine Kauf- und Verkaufsaufträge an die Händler der Bank Vontobel erteilt. 2006 begannen dann seine verlustreichen Jahre. "Es wurde richtig eng", bekannte Hoeneß. Sein Freund, der frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus, habe ihm mit Millionenbeträgen aus der Patsche geholfen. In der Finanzkrise 2008 seien seine Anlagen „endgültig in den Keller“ gegangen und er habe seine Geschäfte stark reduziert.

Glaubt man das, hätte Hoeneß etwas geschafft, was Glücksspielsüchtigen aus eigener Kraft nur selten gelingt. Oft benötigen sie Unterstützung von außen, durch Angehörige, Freunde oder auch Ärzte und Kliniken. „Eine solche Krankheit ist nicht im klassischen Sinne ausheilbar. Die Betroffenen bleiben ein Leben lang gefährdet und müssen sich entscheiden, abstinent zu leben. Nur so kann man die Erkrankung stoppen“, sagt der Sozialpädagoge Hölzel. Wie alle abstinenten Suchterkrankten bleibt immer die Gefahr eines Rückfalls. Im Interview mit der Zeit bezeichnete sich der Bayern-Präsident bereits als kuriert. Sein Sohn Florian ergänzte gegenüber der Zeitung allerdings, die Familie sehe das etwas anders.

Bislang hat Hoeneß seine Zockerei freimütig eingeräumt und im Prozess auch als einen Grund für sein Fehlverhalten genannt. Ob die Strafkammer das jedoch in ihrem Urteil als eine Krankheit einstuft und berücksichtigt, ist angesichts der Schwere der nun verhandelten Steuerhinterziehung fraglich. Hoeneß wird sich nicht darauf berufen können, in den Jahren seiner Zockerei die 27 Millionen Euro schwere Steuerpflicht schlicht vergessen oder die Spekulationsgewinne nur aus einem Zwang heraus erwirtschaftet zu haben. Diese Form der Spielsucht mag das Verständnis für den Menschen Hoeneß wecken, nicht aber für den Steuerhinterzieher Hoeneß.

In den typischen Fällen ist das regelmäßig anders. „Suchterkrankungen wirken sich eigentlich immer strafmildernd aus. Letztlich entscheidet die Strafkammer, ob sie die Erkrankung in ihrem Urteil würdigt“, sagt Hölzel.

Seit 2001 ist Glücksspielsucht als Krankheit anerkannt. Die Krankenkassen und Rentenversicherungsträger übernehmen seitdem auch Reha-Maßnahmen in den zahlreichen Fachkliniken. Dort lernen die Betroffenen, ihre Einstellung zum Geld und ihren Umgang damit neu zu ordnen. Das ist auch Uli Hoeneß zu empfehlen.

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