Es ist ein Gedanke, der für viele verlockend klingt: Wenn a) die Sozialsysteme kaum noch finanzierbar sind und es b) mit den Beamten eine große Gruppe gibt, die nicht in diese Kassen einzahlt, wieso lässt man daraus nicht c) folgen, nämlich, dass die Beamten die Sozialkassen sanieren? So oder so ähnlich wurde die Idee schon oft vorgebracht, zuletzt von SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Anlass war diesmal eine Bertelsmann-Studie, die vor einer massiven Steigerung des Pflegebeitrags warnt.
Wer radikal denkt, könnte aber noch einen Schritt weitergehen. Wieso die Beamten nur in die Sozialkassen einzahlen lassen? Man könnte sie auch ganz ihres Sonderstatus entheben – und dabei den Staat nebenbei eine ganze Menge Geld sparen lassen.
Wer sich an dieser radikalen Lösung versucht, richtet den Blick gerne gen Südwesten. Auf der anderen Seite des Bodensees hat die Schweiz den Schritt gewagt und im Jahr 2000 den Beamtenstatus weitgehend abgeschafft – getrieben vom Willen des Volkes, das die Änderung in einer Abstimmung absegnete. Das sogenannte Bundespersonalgesetz machte damals auf einen Schlag mehr als 100.000 Beamte zu normalen Angestellten.
Die Hoffnungen der Schweizer erinnern in vielem an die heutige Debatte. So sollten die Staatsbediensteten stärker an ihrer Leistung gemessen werden und ihre Anstellung flexibilisiert werden. Zudem sollte die Zweiteilung der Schweizer Gesellschaft beendet werden, die es durch den Sonderstatus gab.
Doch hier hören die Parallelen zu Deutschland auch schon auf, warnt Thomas Widmer, Politikprofessor an der Universität Zürich: „Die Systeme in Deutschland und der Schweiz sind kaum vergleichbar.“ So gab es in der Schweiz auch vorher keine Verbeamtung auf Lebenszeit, sondern der Beamtenstatus wurde nur für vier Jahre erteilt und konnte dann erneuert werden. Viele der 100.000 Nicht-mehr-Beamte in der Schweiz waren oder sind übrigens bei der Post oder der Bahn tätig – Bereiche also, die auch in Deutschland immer weniger Beamte beschäftigen. In sogenannten Hoheitsaufgaben wie etwa der Justiz oder der Strafverfolgung aber sind die Staatsdiener auch in der Schweiz bis heute verbeamtet.
Der vielleicht wichtigste Unterschied ist im Kontext der aktuellen Debatte jedoch dieser: Die Schweizer Staatsdiener zahlten auch als Beamte in die Sozialkassen ein, insbesondere in die Rentenkasse.
Das machte und macht das Schweizer System deutlich zukunftsfester als das deutsche: Im Melbourne Mercer Global Pension Index, der Rentensysteme weltweit vergleicht, erhält die Schweiz im Bereich Nachhaltigkeit knapp 68 von 100 möglichen Punkten. Bei Deutschland sind es nur knapp 45 Punkte.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Deutschland und die Schweiz im Gesamtvergleich mit 67 beziehungsweise 68 Punkten ungefähr gleich gut abschneiden. Grund dafür ist vor allem die Angemessenheit, bei der Deutschland 2018 mit knapp 80 Punkten erstmals den Spitzenplatz belegte. Die Schweiz landete hingegen mit 58 Punkten weit abgeschlagen im hinteren Mittelfeld.
Dass das Schweizer Rentensystem hier seine Schwächen hat, zeigt auch ein weiterer Rentenindex: der „Pensions at a Glance“ der OECD. Der berechnet unter anderem, wie hoch die Nettorente verschiedener Einkommensgruppen im Vergleich zu ihrem vorherigen Nettoeinkommen liegt. Das Ergebnis: In der Schweiz sind es im Schnitt noch nicht einmal 45 Prozent und damit noch weniger als in Deutschland mit ebenfalls überschaubaren 50,5 Prozent.
Der OECD-Schnitt liegt mit knapp 63 Prozent deutlich höher, ganz zu schweigen von Top-Rentnerländern wie den Niederlanden, wo die Ruheständler mehr Rente bekommen als zuvor Gehalt.
Die Frage ist also, ob es reicht, alle gleichermaßen in die Sozialkassen einzahlen zu lassen, um diese gut aufzustellen. Das Beispiel Schweiz deutet in eine andere Richtung. Zudem stellt sich die Frage, ob ein solch radikaler Schritt wie die Abschaffung des Beamtentums die Gesellschaft nicht eher spalten würde, als sie zu einen.
In der Schweiz hat die Reform zwar für verhältnismäßig wenig Widerstände gesorgt. Beamte hätten dort aber auch nie eine so bedeutende Position gehabt wie in Deutschland, erklärt Professor Widmer: „Würde man das Beamtentum abschaffen, würde das in Deutschland einen ungleich schärferen Einschnitt darstellen.“
Sieht man die Beamtenfrage als generelle Gerechtigkeitsfrage, kann man freilich trotzdem für eine Anschaffung des Sonderstatus sein. Allein über die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme lässt sie sich jedoch nicht begründen.
Auch das Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln warnt davor, eine Ausweitung der Beitragszahler, etwa im Rahmen einer Bürgerversicherung, als Lösung aller Probleme zu verkaufen. Politiker sollten sich vor solchen „falschen Versprechen“ hüten, mahnt IW-Forscherin Susanna Kochskämper: „Die Probleme, die durch die demografische Entwicklung entstehen, lassen sich auch mit einer Bürgerversicherung nicht lösen.“
Um den Beitragsschock, der nicht nur in der Pflege droht, abzuwenden, braucht es mehr als mehr Beitragszahler: eine systemische Reform, etwa hin zu einer zusätzlichen, kapitalgedeckelten Säule. Es ist die eine, tragende Säule der Umlagefinanzierung, die das System so instabil macht – und daran würden auch 1,8 Millionen zahlende Beamte langfristig nichts ändern.




