Gastronom Boris Radczun „Steakrestaurants sind kein Trend“

Stephan Landwehr (mit Hut) und Boris Radczun in ihrem Grill Royal. Quelle: imago images

Kanye West speist hier neben Menschen von nebenan. Ein Buch erzählt nun die Geschichte des wohl bekanntesten Steakrestaurants Deutschlands. Mitgründer Boris Radczun über „den Grill“, Gäste und den Umgang mit Kritik

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Er liegt tagsüber unscheinbar wie ein Mauerblümchen quasi im Souterrain eines hässlichen Hauses an der Friedrichstraße. Als er 2008 eröffnete, war der Grill Royal eine umgebaute Disco und die Gegend wenig einladend. Wenn heute ein Festival wie die Berlinale Prominenz aus aller Welt in die Stadt holt, dann füllt sich der große geduckte Raum mit einer Mischung aus Stars, Stammgästen und normalen Menschen. Den beiden Gründern Stephan Landwehr und Boris Radczun ist es nicht nur gelungen, einen Treffpunkt für ein internationales Klientel zu etablieren, sondern auch noch das Genre des Luxus-Steakrestaurants in Deutschland maßgeblich geprägt zu haben. Nun ist ein Buch erschienen, in dem Autoren und Wissenschaftler dem Ort huldigen – das einzige, was das Buch nicht hat, sind Rezepte.

Herr Radczun, wir führen das Interview per Mobiltelefon – die Nummer geben Sie vermutlich nur ungern raus, um nicht ständig Anrufe zu bekommen, ob nicht doch noch ein Tisch frei sei am Wochenende?
Inzwischen rufen insbesondere Freunde an. Ich bin auch nicht so zuverlässig wie unsere Reservierung, die machen das besser. Aber ja, es kommt vor, dass Freunde fragen. Meine Restaurantleiterin ist dann aber auch sehr streng mit mir, wenn ich sie anrufe und sagt: „Och, Chef, nee wirklich, das geht nicht.“ Dann sage ich „Bitte, das sind so gute Freunde.“ Und so geht das dann hin und her.

Der Grill Royal, oder der Grill, wie es vielerorts kurz heißt und ihr Buch nahelegt, scheint nur noch gute Freunde zu haben, die sich dort treffen, ob man sich nun kennt oder nicht.
Er wäre aber zu groß, um nur mit Freunden als Gästen betrieben zu werden. Das haben wir die ersten zwei Jahre gemerkt, als wir international noch nicht so bekannt waren und wir große Durststrecken hatten in der Sommerzeit zum Beispiel.

Der Grill Royal in Bildern
Der dunkle Streifen unten im Bild ist der Grill Royal – kaum zu erkennen für die Passanten auf der Friedrichstraße. Die Schirme und Plätze oben gehören nicht dazu. Quelle: imago-images, PR
Reifeschränke für Fleisch – und auch Gemüse und Obst: Der Grill Royal führte in Deutschland mit ein, was in den USA schon lange zur Steakkultur gehört. Quelle: imago-images, PR
Schummriges Licht, viel Fläche, niedrige Decken, keine Musik – mit dieser Kombination hat sich der Grill Royal auch an einer schlechten Lage behaupten können und ist zum Treffpunkt vieler berühmter Menschen avanciert. Quelle: imago-images, PR
Verstörende Kunst gehört zum Konzept des Grill Royal ebenso wie Sauce Béarnaise zum Steak. Quelle: imago-images, PR
T-Bone, Rumpsteak oder Roastbeef – in den Reifeschränken liegen die typischen Schnitte US-amerikanischer Steakhäuser. Quelle: imago-images, PR

Ihr Partner Stephan Landwehr ist Rahmenbauer, Sie haben einen Hintergrund als DJ, der gerne auch kocht. So haben Sie ohne Erfahrung als Gastronomen begonnen, woran viele scheitern. Warum Sie nicht?
Es hätte gut schief gehen können, ja, das glaube ich auch. Diese Unbedarftheit zu Beginn hat uns sicher auch ein wenig geschützt.

Der Standort des Grill Royal wirkt auf den ersten Blick wie das sichere wirtschaftliche Todesurteil. Im damals recht ruppigen Milieu der Friedrichstraße und dann noch kaum zu sehen – an Laufkundschaft war kaum zu denken. Es heißt dennoch, dass Sie beide auf Anhieb von dem Ort überzeugt waren. Warum?
Die Immobilie wollte niemand haben und es war auch sehr schwer zu erkennen, was der Raum kann. Das war eine Discothek und der vorige Besitzer hatte alles verrammelt zur Front hin, wo heute Glas ist, und vieles wegen Lärmschutz zugemauert. Da sind wir mit Taschenlampen rein und quasi wie bei einer Mondexkursion durch den Laden und haben gesagt, da kann man ja vielleicht was machen. Das hatte nichts charmantes, das war nicht so, dass das offen da lag. Eine ganz verlassene Gegend. Die Friedrichstraße war damals auch nicht so entwickelt und voll frequentiert. Wir haben alles bis auf den Beton zurückgeführt und von da aus angebaut.

Was hat sie eigentlich dazu gebracht, das Risiko einzugehen und – wer hat Ihnen dafür das Geld gegeben?
Ich hatte schon vieles gemacht, Architektur studiert, den Club Felix geleitet, Caterings betrieben und Straßenfeste erfunden. Und Stephan meinte immer, dass ich mein eigenes Restaurant haben müsse. Ja, klar, aber ich hatte kein Geld. Und irgendwann hat Stephan gesagt, dann machen wir das. Er hatte ein sehr wertvolles Bild, das hat er versteigert und mit der Summe haben wir das finanziert. Ohne Businessplan und ohne Bank, sondern er hat ein Bild verkauft von der Wand.

Kein kleines Risiko. Es hat funktioniert. Würden Sie das so nochmal machen?
Nein, ich finde, mit immer mehr Mitarbeitern, Firmen und dem Lebensalter wird man vorsichtiger. Ein junger Mann mit 35 und ohne Mitarbeiter, der macht das dann vielleicht so wie ich. Ich habe gedacht, ach, hast Architektur studiert, mach doch die Bauleitung – das würde ich so heute nicht mehr tun. Und man hat eine ganz andere unternehmerische Persönlichkeit entwickelt. Das war eine andere Sorglosigkeit. Wenn man Angestellte hat, trägt man eine Verantwortung.

„Wir schicken niemanden weg“

Sie haben sich dennoch mit Pauly Saal, einer Dependance des Grill, einem asiatischen Restaurant und auch dem Betrieb des Café Einstein unter den Linden weitere Betriebe angelacht. Hätten Sie nicht beim Grill Royal bleiben können?
Doch, natürlich. Wir arbeiten ja auch noch an einem Franchise für Frankfurt und auch international mit dem Le Petit Royal. Wir arbeiten gerne im Team und wir haben junge, gute Leute dafür.

Als Franchisegeber können Sie die Einrichtung, die Küche, die Idee bestimmen und vorgeben. Als Gastronom fehlen sie dann dennoch vor Ort und der Grill Royal lebt, so wirkt es, von Ihnen als Betreiber. Ist das nicht zentral für den Erfolg?
Der Faktor Mensch ist etwas weniger wichtig geworden als vielleicht in der Anfangszeit. Die Gäste haben das Programm so sehr verinnerlicht, dass es auch funktioniert, ohne dass wir ständig da sind. Wir sind ja keine Partyminister, die aufpassen, dass die Gäste gute Laune haben. Es ist nun unserer Ansicht nach der Zeitpunkt gekommen, wo man das allein laufen lassen kann in einer anderen Stadt. Dazu kommt, dass uns viele vielleicht aus Berlin kennen, aber nicht dort wohnen - und wenn sie in Frankfurt sind, dann freuen die sich vielleicht, uns dort zu sehen, die sagen „ich kenne das, ich weiß, wie das geht.“. Die kommen zwar ein paar mal im Jahr zu uns, wenn sie in Berlin sind, aber reisen sonst irgendwo in der Welt herum. Nichtsdestotrotz begleiten und beraten wir die neuen „Franchise“-Läden von Anfang an sehr intensiv – es ist uns wichtig, dass unsere Philosophie auch übernommen wird.

Sie haben im März 2007 den Grill eröffnet. 2009 erschien erstmals die Zeitschrift Beef als Magazin für die neue Fleischeslust. Heute besitzt nahezu jede Stadt ein Grillrestaurant moderner Art mit speziellen Schnitten, einsehbaren Reifeschränken und besonderen Methoden der Zubereitung. Sie waren sehr früh dran, wenn der Grill Royal nicht sogar das erste Restaurant mit großen Reifeschränken in Deutschland war. Aber sehen Sie den Grill überhaupt in dieser Tradition?
Tatsächlich habe ich schon mit 25 gesagt, ich möchte mal ein richtig hochwertiges Steakrestaurant eröffnen. Die Idee ist also noch viel älter. Ich glaube aber gar nicht, dass das ein Trend ist – zumindest nicht wie in der Mode einer, der wieder geht. Bei uns geht es um Produktküche, wo die Zutaten im Mittelpunkt stehen. Es ist ein Trend, der damit zu tun hat, dass die Menschen bewusster entscheiden wollen, was sie auf dem Teller haben. Früher musste ich, wenn ich ein Steak wollte, das gesamte Gericht mitessen. Ich musste seine Sahnesauce essen, wenn es gerade Sahnesauce gab, ich musste Rotkohl essen, wenn der Koch gerade Lust auf Rotkohl hatte. Bei uns ist das egal. Das ist ein Baukastensystem, wo man sich das zusammenstellt, worauf man Lust hat. Das ist eine Art Freiheit im Restaurant.

Dennoch sehen wir in Deutschland ein großes Wachstum an edlen Steakrestaurants.
Ja, aber ich glaube nicht, dass deren Gäste in der Summe mehr Fleisch essen - aber wenn sie es bestellen, dann wollen sie etwas Gutes und verzichten dafür vielleicht auf das häufige, unbewussten Verzehren von Fleisch. Da verschiebt sich was im Gegensatz zur Elterngeneration.

Das Buch über den Grill Royal enthält Texte, aufwändige Fotografie – aber kein einziges Rezept, keinen einzigen Ihrer Klassikers. Warum?
All die Sachen, die wir machen, sind so klassisch, das sie schon oft aufgeschrieben wurden. Da können sie auch in Auguste Escoffiers „Guide Culinaire“ reinschauen oder andere Kochbücher. Wir fokussieren uns ja sehr auf das Produkt. Einen Führer zu den Zutaten, die wir verwenden, den fände ich ja noch ganz spannend. Aber die Zubereitung ist nichts, was man bei uns nachschlagen muss. Die Rezepte der klassischen Küche der Grill Rooms liegen da. Wir wollten auch nicht so tun, als ob wir die Vinaigrette erfunden hätten.

Dennoch haben Sie seit 2016 mit Roel Lintermans einen Küchenchef, der lange Jahre für einen der besten Köche der Welt, Pierre Gagnaire, gearbeitet hat und weiß, wie Drei-Sterne-Küche geht. Ist der dann nicht überqualifiziert?
Sensorisch ist er sicherlich so hochfein, dass er die Sterneküche beherrscht, aber wir sind ein Restaurants mit 300 Couverts am Abend, das erfordert viel Organisation und Kraft. Diese komplexen Strukturen in der Küche sind eine große Herausforderung. Und neben der Grillkarte haben wir auch eine wechselnde Karte, die sehr sehr lokal ist und häufig wechselt. Das ist ein Restaurant im Restaurant. Wir haben Gäste, die kommen dreimal die Woche, die können natürlich dreimal die Hummersuppe essen – aber vielleicht wollen sie was anderes. Da ist Lintermans natürlich extrem stark.

Wenn über den Grill gesprochen und geschrieben wird, dann in der Regel über die gesellschaftlichen Aspekte, nicht über die Küche. Stört Sie das?
Es ärgert mich nicht. Interessant ist, dass die, die seltener da sind, eher die gesellschaftlichen Aspekte betonen, die Gäste, die öfter da waren, die gastronomischen Qualitäten erwähnen. Es geht immer auch um beides.

Auf der Homepage zitieren sie den Restaurantführer Gault Millau und einen Restaurantkritiker, die sich eher nicht so begeistert zeigen. Wieso?
Wir hatten die ersten paar Jahre schon das Gefühl, dass wir kaputt geschrieben werden sollten, weil wir vielleicht aus einer Ecke kamen, in der sich einige nicht eingebunden fühlten. Da gab es sehr viel Gegenwind. Und wir haben uns gefragt, wie wir damit umgehen und fanden das dann auch lustig. Es ging sehr wenig um das Produkt, um den Raum oder was getrunken wird, sondern um Gäste, die beschrieben wurden. Das hat uns schon verletzt.

Berlin. Promis. Hot Spot. Was dennoch in der Presse nicht zu finden ist über den Grill Royal – Skandale, Exzesse. Warum nicht?
Wir sind kein Nachtclub. Es wird bei uns viel Wein getrunken und das ist auch herrlich so. Bei uns geht es aber nicht darum, dass die Gäste auf den Tischen tanzen müssen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%