Werner knallhart

Essbare Insekten: So überwinden wir den Ekel vorm Neuen

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Insekten sind bloß ungewohnt

Einfach eine andere Perspektive anwenden auf die objektiv identische Sache. Das tun wir auch beim Essen ja oft schon: Für viele Asiaten ist es nicht zu begreifen, wie man sehenden Auges verfaulte, verschimmelte Milch herunterschlucken kann. Wir tun es – und nennen es Gorgonzola. Oder Fisch, der sich in seinen eigenen Bauchspeicheldrüsenenzymen selbst anverdaut hat: Matjes.

Und während das Wurstbrät wirklich in eine Hülle gefüllt wird, die einst randvoll gestopft war mit Fäkalien (in den Darm), sind die Insekten, die auf den Tisch kommen, niemals mit infektiösem Material in Berührung gekommen. Sie wachsen behütet auf. Da achtet die EU mit ihren Hygieneregeln schon drauf. Deshalb besser niemals Insekten aus dem Zoohandel essen. Sie sind gut fürs Terrarium, nicht für den Teller.

Eine schön frittierte Käferlarve sieht wie gesagt aus wie eine Kindeybohne. Ein frittierter Mehlwurm wie ein Kartoffelstick (dieses Knabberzeug), und eine Heuschrecke, nun ja: Wann haben Sie sich das letzte Mal Shrimps genauer angeguckt? Tun Sie’s nicht. Pulen Sie sie und genießen sie. Denn im Detail steht ein solches Schalentier einer Heuschrecke ja nun wirklich in nichts nach. Antennen, Glupschaugen, Borsten, Stacheln. Aber mit Zitrone und Aioli: Urlaubs-Feeling. Und dann erst der große Bruder: der Hummer.

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Oder Muscheln. Wer sich dieses heillose beige Gezottels mit seltsamen Knubbeln und schwarzen Bändern und Rändern in den Mund steckt (im Weißweinsud mit Knoblauch gegart - herrlich!) der darf beim Anblick von Insekten auf dem Teller ganz entspannt lächeln: Insekten sehen viel sortierter aus. Und dann Weinbergschnecken. Leute! Und trotzdem schmecken sie vielen und wir essen sie mit frischem Baguette und Petersilienbutter. Mini-Oktopus mit all den gekrampften Ärmchen oder frittierte Sardellen mit Augen und Flossen und Schwanz. Alles köstlich. Alles aber nicht weniger skurril und bizarr als Insekten. Insekten sind bloß ungewohnt.

Wäre es nicht witzig, wir würden uns mal drauf einlassen? Fangen wir an mit Insekten fein vermahlen an - in Nudeln oder Burgern. Rewe und Metro trauen sich da schon aus der Deckung. Das Pulver werden wir nicht als fremdartig rausschmecken, können dann aber sagen: „Och, ich habe schon Insekten gegessen. Und ich lebe.“ Nächster Schritt: Insekten im Bohnenformat, die nach Mandeln schmecken. Über Amazon bekommt man da schon einiges. Und wer weiß, wann dann die erste Mutprobe ansteht: der Biss in die knackige Heuschrecke. Ich habe es schon hinter mir. Und ja, es war eine Mutprobe. Und dürfte ich wählen, noch zöge ich der Heuschrecke die kleine Käferlarve oder den Mehlwurm vor. Aber ich will da weiterkommen.

Die Milch einer bestimmten Kakerlakenart, die ihre Nachkommen lebend gebärt, gilt als unfassbar nahrhaft: voller guter Fette, Protein und Zucker. Nun wird daran geforscht, ob diese Milch womöglich eine Alternative für Kuhmilch sein könnte. Das Milchregal der Zukunft: Kuhmilch, Mandelmilch, Sojamilch, Kakerlakenmilch?

Ich wäre dabei und würde es probieren. Sie? Und oh: Wir brauchen ein neues Wort: Wie heißen Leute, die kein Fleisch essen außer Insekten? Dann ja wohl Insektarier.

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