Abhängig vom Öl Öl-Preissturz drängt Iraks Wirtschaft an den Abgrund

Mittlerweile sind die Rohöl-Exporte auf weniger als 55 Dollar (48 Euro) gesunken – ein Alptraum für den Irak als Land, dessen Einkünfte zu 95 Prozent aus Ölexporten stammen. Quelle: REUTERS

Iraks Einkünfte stammen zu 95 Prozent aus Ölexporten. Da ist es wirtschaftlich fatal, wenn die Preise abstürzen – zumal das Land nach Jahren des Krieges wiederaufgebaut werden muss.

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Der Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg gegen die Terrormiliz Islamischer Staat ist ohnehin schon eine kolossale Herausforderung für Iraks neue Regierung. Jetzt wird die Aufgabe noch schwerer: Die jüngste Talfahrt der Ölpreise hat der stagnierenden irakischen Wirtschaft einen schweren Schlag zugefügt und entzieht dem Land Gelder, die es bitter benötigt.

Die Rohölpreise für die Sorte Brent stiegen im Oktober zwar auf mehr als 85 Dollar pro Barrel (159 Liter) an, aber nur kurz. Mittlerweile sind sie auf weniger als 55 Dollar (48 Euro) gesunken – ein Alptraum für ein Land, dessen Einkünfte zu 95 Prozent aus Ölexporten stammen. Brent-Rohöl wird als Preismaßstab im internationalen Handel benutzt.

Ein im Oktober dem Parlament zugeleiteter Haushaltsentwurf geht von Rohöl-Exporten im Umfang von 3,8 Millionen Barrel pro Tag zum Preis von je 56 Dollar aus. Die Budget-Vorlage im Gesamtvolumen von umgerechnet 103,5 Milliarden Euro sieht einen 23-prozentigen Anstieg der Ausgaben vor, was ein Defizit von 19,7 Milliarden Euro mit sich bringen würde.

Aber die vorgesehenen Aufwendungen reichen angesichts der gigantischen Aufgabe des Wiederaufbaus nach Jahren des Krieges nicht weit. Den Vereinten Nationen zufolge müssen 1,8 Millionen Menschen noch in ihre Häuser zurückkehren. Mossul, die zweitgrößte Stadt des Landes und viele andere Orte, die einst von der Terrormiliz IS besetzt waren, liegen teilweise in Ruinen.

Iraks Planungsministerium schätzt, dass das Land umgerechnet ungefähr 76 Milliarden Euro für den Wiederaufbau benötigt. Im Februar wurden zwar bei einer Geberkonferenz rund 26 Milliarden Euro an Krediten und Investitionen in Aussicht gestellt, um einen Teil des Haushalts zu finanzieren. Aber bisher sind wenige der Versprechen in die Tat umgesetzt worden.

von Angela Hennersdorf

Dabei kommt für die Regierung noch erschwerend hinzu, dass in Iraks ölreichem Süden, der von der Verwüstung durch den Krieg verschont geblieben ist, in den vergangenen Monaten Proteste ausgebrochen sind. Sie richten sich gegen Arbeitslosigkeit und mangelnde öffentliche Dienstleistungen. Rotierende Stromsperren sind seit der US-geführten Invasion von 2003 ein landesweites Problem, und im Süden ist Leitungswasser nicht trinkbar.

„Wir waren von den rapide fallenden Ölpreisen überrascht und sind in ein großes Problem geraten“, sagt der Abgeordnete Hanin al-Kado, der den Wirtschaftsausschuss des Parlaments leitet. „Die Regierung steckt in einer Lage, um die sie nicht zu beneiden ist.“

Wobei einige der derzeitigen Probleme selber verschuldet sind. Die im Mai 2018 gewählte neue Regierung wird von denselben im Streit liegenden politischen Gruppen dominiert, die das Land in den vergangenen 15 Jahren regiert haben. Parlamentarier haben den Haushaltsentwurf abgelehnt und fordern einen neuen, in dem die Ölpreise noch niedriger angesetzt und noch mehr Mittel für öffentliche Investitionen bereitgestellt werden.

Al-Kado hält es für möglich, dass es erst irgendwann im ersten Quartal 2019 zur Einigung auf einen Haushalt kommt. Bis dahin kann die Regierung jeden Monat nur ein Zwölftel der im vergangenen Jahr bereitgestellten Mittel ausgeben.

Die internationale Aufmerksamkeit hat sich hauptsächlich auf die Zerstörung im nördlichen und westlichen Irak und auf die Proteste im Süden konzentriert. Aber die Haushaltskrise hat auch Iraker, die in stabileren Regionen wohnen, stark getroffen. Bauprojekte in vielen Teilen Bagdads stecken schon seit Jahren fest, in manchen Gegenden der Stadt sind halb fertige Gebäude mittlerweile zu Müllhalden geworden.

Eine Firma hat beispielsweise 2014 Verträge zum Bau von vier Schulen zum Kostenpunkt von umgerechnet 4,4 Millionen Euro abgeschlossen. Im folgenden Jahr waren drei der Gebäude zu 80 Prozent fertiggestellt, aber dann begann die Regierung den kostspieligen Krieg gegen den IS, und die Baumittel trockneten aus. Als sich 2017 die Ölpreise zu erholen begannen, kamen wieder Gelder in Raten von der Regierung, aber nur für die weit fortgeschrittenen Projekte. Jetzt haben die Zahlungen wegen der noch laufenden Haushaltsverhandlungen wieder aufgehört.

Keine der Schulen ist fertiggestellt, und Firmenbesitzer Kadhim Nima Chudair steckt in Schulden – so tief, dass er rund 500 Arbeiter entlassen sowie Häuser und Autos im Familienbesitz verkaufen musste. „Mir geht es jetzt nicht um Profit“, sagt Chudair. „Ich möchte nur mein Kapital zurück haben. Wir haben uns all diese Jahre abgequält. Leute klopfen immer noch an meine Tür und fragen nach ihrem Geld.“

Sami al-Aradschi, Leiter der Nationalen Investmentkommission, spricht von Hunderten Projekten im geschätzten Umfang von 54 Milliarden Dollar, die sich verzögert hätten. Er fordert eine umfassende Wirtschaftsreform, die Investitionen fördere und die Abhängigkeit vom Öl verringere. „Wir müssen alle Alternativen in Betracht ziehen“, sagte er auf einer Wirtschaftskonferenz im Dezember. „Das Land hat vielversprechende Möglichkeiten.“

Aber das alles ist leichter gesagt als getan. Bestrebungen, die Wirtschaft breiter zu fächern, sind durch interne politische Kämpfe und Korruption behindert worden. „Unser Schicksal ist mit dem Öl verbunden“, sagt denn auch Chudair. „Wenn es unten ist, steigt unser Blutdruck“, sagte er über den Preis des Rohstoffs.

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