Doch seine Kontrahentin hat nachgezogen, zumindest quantitativ. Seit April 2015, als sie ihre Kandidatur bekannt gab, ist Clinton auf Twitter aktiv und hat etwa 9000 Tweets gepostet. Seit Februar 2016 führt sie sogar vor Donald Trump mit 500 Tweets pro Monat, dank eines Teams von Twitter-Spezialisten. Clinton hat ihre Zielgruppen fest im Visier: Familien, Frauen, Homosexuelle und Migranten, weshalb sie ihre Tweets zum Beispiel auch ins Spanische übersetzen lässt. Sie tritt leiser, sachlicher, seriöser, aber auch langweiliger auf als Donald Trump, der in den sozialen Netzwerken deutlich mehr Fans mobilisiert. Im Durchschnitt werden Trumps Tweets etwa doppelt so oft mit „gefällt mir“ markiert (Clinton 4635, Trump 9959) und ein Drittel häufiger geteilt (Clinton 2118, Trump 3724), nicht zuletzt, weil sie den Eindruck erwecken, Trump verfasse die Tweets selbst. Wenn Trump „Ich“ sagt, sagt Clinton „Wir“. Wenn Trump behauptet, belehrt Clinton: „Wir müssen“, „wir sollen“, „wir können“.
Clintons wirtschaftspolitische Pläne
Clinton will in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit das umfassendste Investitionsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg in Infrastruktur, Industrie, Forschung und Entwicklung, Klimaschutz und Mittelstandförderung anstoßen. Sie will über fünf Jahre aus staatlichen und privaten Quellen 275 Milliarden Dollar mobilisieren, um die Verkehrs- und Netz-Infrastruktur zu verbessern. Damit und mit anderen Mitteln will sie über zehn Millionen neue Jobs schaffen. Die Industrie soll stärker werden. Gelingen soll das mit einer Partnerschaft von Wirtschaft, Arbeitnehmern, der Regierung und Verwaltungen sowie der Wissenschaft. Firmen sollen sich verpflichten, Jobs und Investitionen statt in Übersee in den USA zu halten. Dafür sollen sie finanzielle Vorteile genießen. Besonders gefördert werden sollen strukturschwache Regionen. Die Position der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften will Clinton stärken. Der Mindestlohn soll von 7,25 Dollar je Stunde auf zwölf, zuletzt war gar von 15 Dollar die Rede, erhöht werden.
Clinton verspricht ein gerechteres und einfacheres Steuersystem. Multi-Millionäre und Milliardäre sollen einen Steueraufschlag zahlen, Arbeitnehmerhaushalte und Familien entlastet werden. Steuerschlupflöcher für Firmen und Privatpersonen will Clinton schließen. Unternehmen, die ihre Gewinne in Steueroasen transferieren, sollen eine Extra-Steuer zahlen. Investitionen von Unternehmen in den USA selbst will sie begünstigen und dabei kleine Firmen besonders entlasten. Gleiches gilt für Familien, die Sonderlasten tragen, weil sie beispielsweise ältere und erkrankte Familienangehörige pflegen.
Die US-Finanzindustrie will Clinton enger an die Leine legen. Wall-Street-Riesen sollen einen Extra-Zuschlag zahlen, der sich nach ihrer Größe und ihrem Risikogewicht für die Branche richtet. Bestehende Möglichkeiten für Großbanken, Kundengelder in Hochrisikofeldern zu investieren, will sie beschneiden. Top-Banker sollen bei Verlusten ihrer Institute mit Bonus-Einbußen rechnen. Der Hochfrequenzhandel soll besteuert werden. Riesige und undurchschaubare Finanzriesen sollen stärker kontrolliert und im Zweifel aufgespalten werden. Clinton will Finanzmanager auch stärker in Mithaftung nehmen, wenn in ihren Instituten gegen geltendes Recht verstoßen wird.
Clinton verspricht, schärfer gegen Länder wie China vorzugehen, wenn diese internationale Freihandelsregeln verletzen und damit amerikanischen Arbeitsplätzen schaden. Sie will Nein sagen zu Handelsabkommen, wie der Trans-Pazifischen Partnerschaft (TPP), die nicht den US-Standards genügen, etwa mit Blick auf die Bezahlung von Arbeitnehmern. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will sie neu verhandeln. Zum US-EU-Freihandelsabkommen TTIP, das derzeit verhandelt wird, äußerte sie sich in jüngster Zeit zwar nicht direkt, doch war sie schon früher auch dazu auf Distanz gegangen und will in Freihandelsabkommen generell die amerikanischen Interessen besser zum Tragen kommen lassen. „Amerika fürchtet den Wettbewerb nicht“, gibt sie sich insgesamt kämpferisch.
In Umwelt- und Energiepolitik will Clinton Zeichen setzen. Sie will Amerika zur weltweiten „Supermacht“ des 21. Jahrhunderts in Sachen saubere Energie machen.
Clinton will Schluss damit machen damit, dass sich US-Bürger wegen einer College- oder Universitätsausbildung hoch verschulden. Sie will für eine bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie und gleiche Bezahlung von Männern und Frauen sorgen. Bei Krankheit und im Alter soll es mehr soziale Sicherheit geben.
Immerhin: Nachdem Donald Trump sie als Marionette der Wall Street angeprangert hatte (mit dem fett gedruckten Wort „Liar“ unter ihrem Porträt), ging Clinton zum Gegenangriff über und verwendete Zitate des Herausforderers, um sie gegen ihn zu wenden: „Trump just criticized me for preparing or this debate. You know what else I prepared for? Being president.“
Clintons Problem: Wenn sie auf Wahlveranstaltungen über Klimawandel und Mindestlohn spricht, über erneuerbare Energien und die gleiche Bezahlung für Frauen, dann hört man die gelernte Politikerin, die ehemalige Senatorin und Außenministerin, die ihre Akten gelesen hat und sich auch auf die Details der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall versteht. Aber man erkennt auch die misstrauische, von Skandalen immer wieder eingeholte Karrierefrau, die sich hinter vorgefertigten Sprachbausteinen versteckt. Die Herzen des Publikums erreicht sie so nicht. Ihr Bemühen um Authentizität wirkt einstudiert, jede Pointe berechnet. Eine Politikerin ohne Eigenschaften? Eher ein weiblicher „Zelig“, der sich in einer Art Sprachmimikry den Publikumserwartungen anpasst, aus opportunistischer Angst, nur ja nicht bei irgendwelchen Gruppen anzuecken.
Clinton tritt als Kandidatin des liberalen Establishments auf, als Repräsentantin der politischen Klasse. Trump hingegen inszeniert sich als Antipolitiker („Politiker widern mich an“, „inkompetente Typen, die uns in den Abgrund führen“), er gibt den Polterer und Hau-Drauf, der „keine Zeit“ hat für politische Korrektheit, den Provokateur, der ausbricht aus den Konventionen des politischen Diskurses – und der gerade deshalb so erfolgreich ist: Seine Anhänger halten ihm den permanenten Regelbruch als unbekümmertes Drauflosreden, als tabufreie Ehrlichkeit zugute. Endlich mal einer, der Klartext spricht, der sagt, was er denkt ... Endlich mal einer, der sich die selbst ernannten Eliten vorknöpft, das Medien- und Mainstream-Kartell, den Washington-Wall-Street-Komplex.
Trumps wirtschaftspolitische Pläne
Trump will für mehr Wachstum in der US-Wirtschaft sorgen. „Bessere Jobs und höhere Löhne“, lautet eines seiner Kernziele. Der Immobilien-Unternehmer will die Staatsschuldenlast der USA von fast 19 Billionen Dollar abbauen. Er bezeichnet die Schuldenlast als unfair gegenüber der jungen Generation und verspricht: „Wir werden Euch nicht damit alleine lassen“. Defiziten im Staatshaushalt will er ein Ende bereiten.
Trump hat umfangreiche Steuersenkungen sowohl für die Konzerne als auch für Familien und Normalverdiener angekündigt. Er spricht von der größten „Steuer-Revolution“ seit der Reform von Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren. Wer weniger als 25.000 Dollar im Jahr verdient, soll dank eines Freibetrages künftig gar keine Einkommensteuer mehr zahlen. Den Höchstsatz in der Einkommensteuer will er von momentan 39,6 Prozent auf 33 Prozent kappen. Ursprünglich hatte er eine Absenkung auf 25 Prozent in Aussicht gestellt. Die steuerliche Belastung für Unternehmen will Trump auf 15 Prozent von bislang 35 Prozent vermindern. Das soll US-Firmen im internationalen Wettbewerb stärken. Firmen, die profitable Aktivitäten aus dem Ausland nach Amerika zurückholen, sollen darauf eine Steuerermäßigung erhalten. Die Erbschaftsteuer will der Republikaner ganz abschaffen. Eltern sollen in größerem Umfang Kinderbetreuungs-Ausgaben steuerlich absetzen können.
Trump verspricht, der „größte Job-produzierende Präsident“ der USA zu werden, „den Gott jemals geschaffen hat“. Bereits als Unternehmer habe er Zehntausende neue Stellen geschaffen.
Um amerikanische Arbeitsplätze zu sichern, will Trump die Zölle auf im Ausland hergestellte Produkte anheben und die US-Wirtschaft insgesamt stärker gegen Konkurrenz aus dem Ausland schützen. China, aber auch Mexiko, Japan, Vietnam und Indien wirft Trump beispielsweise vor, die Amerikaner „auszubeuten“, indem sie ihre Währungen zum Schaden von US-Exporten abwerten und manipulieren.
Das angestrebte transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) lehnt Trump ab. Für ihn schadet ein freierer Zugang der Europäer zum US-Markt – vor allem zum staatlichen Beschaffungsmarkt – den amerikanischen Firmen. Das geltende Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will er neu verhandeln, die TPP-Handelsvereinbarung mit asiatischen Staaten aufkündigen. Trump setzt generell anstatt auf multilaterale Handelsabkommen, etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation, auf bilaterale Vereinbarungen mit einzelnen Staaten und Wirtschaftsräumen.
Die Handelsbeziehungen zu China, der nach den USA zweitgrößten Wirtschaftsmacht weltweit, will Trump grundlegend überarbeiten. Er wirft der Volksrepublik vor, ihre Währung künstlich zu drücken, um im Handel Vorteile zu erlangen. Er will das Land daher in Verhandlungen zwingen, damit Schluss zu machen. Auch „illegale“ Exportsubventionen soll die Volksrepublik nicht mehr zahlen dürfen. Verstöße gegen internationale Standards in China sollen der Vergangenheit angehören. Mit all diesen Maßnahmen hofft er, Millionen von Arbeitsplätzen in der US-Industrie zurückzugewinnen.
In der Energie- und Klimapolitik hat Trump eine Kehrtwende angekündigt. Er will die USA von den ehrgeizigen Klimaschutzvereinbarungen von Paris abkoppeln, die Umwelt- und Emissionsvorschriften lockern und eine Rückbesinnung auf fossile Energieträger einläuten: „Wir werden die Kohle retten.“ Die umstrittene Fracking-Energiegewinnung sieht Trump positiv.
Trump verspricht der Wirtschaft eine umfassende Vereinfachung bei den staatlichen Vorschriften. Er werde ein Moratorium für jede weitere Regulierung durch die Behörden verhängen, kündigte er an. Trump will Milliarden in die Hand nehmen, um Straßen, Brücken, Flughäfen und Häfen zu bauen und zu modernisieren. Finanzieren will er das unter anderem dadurch, dass die US-Verbündeten einen größeren Teil an den Kosten für Sicherheit und Verteidigung in der Welt übernehmen sollen.
Die gute alte Zeit beschwören
Oft ist hingewiesen worden auf die ruchlose Verkäufermentalität des Kandidaten, auf sein prahlerisches Egomarketing. Doch in seinen Reden spricht nicht nur der Entertainer und Superkapitalist, der Wahlkampagnen als Fortsetzung des Showgeschäfts mit anderen Mitteln versteht. Hinter Trumps Politikverachtung steckt politische Methode: Er will der „schweigenden Mehrheit“ eine Sprache geben, denen, die sich ausgegrenzt, missachtet, abgehängt fühlen vom „System“. Trump bedient gezielt die Wut der weißen Arbeiter auf „die da oben“, er schürt das Ressentiment der verängstigten amerikanischen Mittelklasse, die nicht mehr glaubt, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird. Sein Wahlslogan „Make America great again“ knüpft genau hier an: Er beschwört die „gute alte Zeit“ des amerikanischen Traums – und bewirtschaftet zugleich die Angst vor dem sozialen Abstieg, vor dem Niedergang Amerikas. Das Muster dabei ist immer gleich und erinnert an Spannungsbögen in Marvel-Comics: Die Welt steht am Abgrund, und es dräut ein Armageddon (etwa die „Migrantenflut“), doch dann kommt ein rettender Superheld (das Hochziehen von Super-Zäunen), und alles wird wieder so gut wie ehedem (Migranten und Muslime müssen gefälligst draußen bleiben). Trumps Reden sind entsprechend gespickt mit nostalgischen Vokabeln wie „back“ und „again“.