Dänemark Parlamentswahl: Ministerpräsident Løkke glaubt an das Unmögliche

Zwei Wahlen innerhalb von anderthalb Wochen: Kurz nach der Europawahl wählt Dänemark ein neues Parlament. Der Europawahlkampf könnte deshalb außer Acht geraten.

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Kopenhagen Als Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen endlich die Nachricht verkündet, auf die Dänemark seit Monaten gewartet hat, geht ein kurzes Raunen durch die Reihen des Parlaments in Kopenhagen. „Ich bitte die Dänen um die Wiederwahl bei der Parlamentswahl, die am Verfassungstag, dem 5. Juni 2019, abgehalten wird“, kündigt Løkke am Dienstag vom Rednerpult des Parlaments aus an.

Manche der Abgeordneten filmen den Moment mit ihren Smartphones, andere schauen, als müssten sie die Ankündigung des Regierungschefs erst einmal verarbeiten: Dänemark wählt nicht wie vermutet parallel zur Europawahl, sondern gesondert gerade einmal zehn Tage danach. Die Dänen müssen damit innerhalb von anderthalb Wochen gleich zweimal an die Wahlurne treten.

Der Wahlkampf für die Europawahl dürfte dadurch im Ringen um Stimmen für die nationale Abstimmung untergehen. Løkke aber ist sicher: „Jetzt ist Platz, um Europa und die Innenpolitik jeweils für sich und im Zusammenhang zu diskutieren.“ Spätestens am 17. Juni hätte gewählt werden müssen. Viele in Dänemark hatten damit gerechnet, dass es eine Doppelwahl von Europaparlament und dänischem Parlament geben würde.

Angesichts der kurz aufeinander angesetzten Abstimmungen werden EU-Themen nun nachrangig sein – zumal den Dänen inländische Themen generell ohnehin wichtiger sind als die Europaperspektive. „Ich denke, er hat dieses Datum gewählt, um einen Fokus auf Dänemark und auf die Einheit zu legen“, sagt der Politikwissenschaftler Kasper M. Hansen von der Universität Kopenhagen. Die Europawahl dürfte somit kaum noch jemanden interessieren, die Beteiligung am 26. Mai vermutlich nur bei etwa 50 Prozent liegen. „Viele werden denken: Gut, die echte Wahl ist erst in zehn Tagen“, sagt Hansen.

Noch nie in der Geschichte Dänemarks hat ein Ministerpräsident so lange gewartet, um das Datum für die fällige Parlamentswahl auszurufen. Løkke wartete ab, pokerte, wies immer wieder darauf hin, wie grandios die Situation in Dänemark doch sei im Moment. An seinem klaren Rückstand in den Umfragen änderte das nichts. Aber Løkke glaubt daran, das Unmögliche möglich machen zu können.

„Es hat auch keiner daran geglaubt, dass Liverpool das schaffen könnte“, sagte er am Tag nach der sensationellen Aufholjagd des FC Liverpool gegen den FC Barcelona im Champions-League-Halbfinale dem dänischen Rundfunk. Während es für die „Reds“ von Erfolgscoach Jürgen Klopp um Weiterkommen oder Ausscheiden ging, sind die Roten bei der Wahl ausgerechnet die Gegner von Løkke: Mit den Farben Rot und Blau werden in Dänemark nämlich das Mitte-links-Bündnis und das bürgerliche Lager bezeichnet.

Der rote Block um die Sozialdemokraten von Topfavoritin Mette Frederiksen liegt in Umfragen deutlich vor dem blauen Block um Løkkes liberale Partei Venstre. Die Sozialdemokraten selbst liegen in der jüngsten Umfrage des Rundfunksenders DR bei 28,1 Prozent, Venstre bei etwa 17,5 Prozent. Rot kommt, rechnet man die grüne Partei Die Alternative dazu, auf 94 Mandate, Blau nur auf 76.

Eine Kleinpartei des Islamkritikers Rasmus Paludan könnte es Umfragen zufolge über die niedrige Zwei-Prozent-Hürde erstmals ins Parlament schaffen. Sie steht aber außen vor - niemand will mit ihr zusammenarbeiten. Hansen spricht angesichts der klaren Umfragetendenz bereits von der „rötesten“ Wahl seit fast 50 Jahren. Løkkes Schachzug, mit dem er auch den offiziellen Startschuss für den Wahlkampf gibt, lässt ihm nun vier Wochen Zeit, um den Rückstand aufzuholen.

Vier Wochen: So lang war der Wahlkampf bei den Dänen seit 1975 nicht mehr – normal sind rund 21 Tage. Vor dem Ausrufen des Wahldatums, zu dem in Dänemark ausschließlich der Regierungschef befugt ist, war jeglicher Straßenwahlkampf verboten. Løkke verschaffte dieses System Platz zum Pokern: Er konnte sich das beste Datum herauspicken, an dem er sich die besten Chancen ausrechnete.

Nun wählen die rund 5,8 Millionen Dänen mitten in der Woche an einem Mittwoch. Das ist nicht ungewöhnlich in Dänemark, zuletzt wurde zweimal donnerstags, davor mehrmals an einem Dienstag abgestimmt. Der 5. Juni ist aber noch etwas anderes: der Grundlovsdag, der Tag, an dem vor 170 Jahren die dänische Verfassung eingeführt worden war – und an dem manche im Land offiziell frei haben.

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