Demograf Reiner Klingholz "Bildung ist für Afrika alternativlos"

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"Wir brauchen einen globalen Kampf gegen die Unbildungskultur"

Sie weisen selbst in Ihrer Studie daraufhin, dass mehr Bildung und wirtschaftlicher Erfolg den Willen zur Auswanderung bei vielen Afrikanern sogar noch erhöhen dürfte. Ist die von der Bundesregierung ausgerufene „Fluchtursachenbekämpfung“ dann nicht eine Mogelpackung?
Fluchtursachen lassen sich nur langfristig bekämpfen. Diese Länder brauchen Entwicklung und die werden sie ohne Bildung nicht bekommen. Dabei geht es zunächst einmal um Grundlagen wie Lesen, Schreiben und Rechnen, was in einigen Ländern nicht einmal die Hälfte der Jugendlichen lernt. Bildung ist alternativlos, wobei dieser Begriff hier ausnahmsweise einmal angemessen ist.

Die Alternative hieße: anhaltendes Bevölkerungswachstum mit verheerenden Folgen. Genau deshalb müssen wir schlicht und einfach akzeptieren, dass durch bessere Bildung und Entwicklung auch mehr Menschen in die Lage versetzt werden über Migration nachzudenken und sie zu finanzieren. Und wir müssen helfen, dass dort Arbeitsplätze entstehen, damit die Menschen vor Ort einen Nutzen aus ihrer Bildung ziehen können. Da wir in Europa langfristig auf Zuwanderung angewiesen sind, ist eine bessere Bildung der Afrikaner noch aus anderen Gründen von Interesse für uns.

In Ihrer Studie erwähnen Sie Südkorea und andere asiatische Länder als Vorbilder für Afrika, weil diese stark in Bildung investierten, die Geburtenraten senkten und die frei werdenden Mittel wieder in Bildung und Forschung anlegten. Heikle Frage: Gibt es spezifische kulturelle oder auch andere Umstände, die Afrika davon abhalten, eine solche „demografische Dividende“ zu erwirtschaften?
Das weiß ich nicht, denn dazu gibt es keine glaubhaften Erkenntnisse. Warum sollten Afrikaner grundsätzlich anders ticken als Europäer oder Asiaten? Die hohen Geburtenziffern sind eine Frage von wenig Bildung und mangelnder wirtschaftlicher Entwicklung, und daran mangelt es in Afrika. Auch in Asien gab es hoffnungslose Fälle, wie etwa Bangladesch. Das Land stand schlechter da als jedes afrikanische Land und man hätte sagen können: „Die kriegen das kulturell nie hin“. Heute sind die Geburtenziffern so weit gesunken, dass die Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten aufhören wird zu wachsen.

Die islamistische Terrororganisation in Nigeria heißt „Boko Haram“ – zu deutsch „Bildung ist Sünde“. Muss der Einsatz für Bildung in muslimischen Ländern also auch mit dem Kampf gegen den Islamismus verknüpft werden?
Es gab und gibt immer Gegner der Bildung. Zum Teil sitzen die in der Regierung, zum Teil in Terrorgruppen. Beide vereint der Wunsch, die Menschen, vor allem Frauen, unfähig und abhängig zu halten und bestehende Machtverhältnisse nicht zu gefährden. Im Mittelalter hatten wir sowas auch in Europa. Besser gebildete Menschen stellen Fragen, mischen sich politisch ein und nehmen die Dinge selbst in die Hand, das kann gefährlich sein für autoritäre Regime. Es ist ja kein Zufall, dass Bildung die Demokratisierung fördert. Deshalb brauchen wir einen globalen Kampf gegen die Unbildungskultur, ganz unabhängig davon, wer für sie verantwortlich ist.

Die Kanzlerin will mit privaten Investitionen in Afrika ein Wirtschaftswunder herbeiführen, um Auswanderungswillige zum Bleiben zu bewegen. Die Zahlen zeigen, wie vermessen das ist.
von Ferdinand Knauß
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