Digitaler Verbraucherschutz Bürger misstrauen ihren Regierungen

Weltweit sehen sich viele Verbraucher von ihren Regierungen im digitalen Bereich nicht ausreichend geschützt. Der erste G20-Verbrauchergipfel in Berlin stellt sich dem Problem. Gefragt sind vertrauensbildende Maßnahmen.

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Durchwachsener Zeugnis für Merkel & Co.: Fast die Hälfte der Verbraucher in Deutschland glauben laut einer Umfrage, dass die Bundesregierung ihre Rechte in der digitalen Welt nicht ausreichend schützt. Quelle: dpa

Berlin Deutlicher kann ein Bekenntnis zum Verbraucherschutz kaum ausfallen: „Wo Verbraucher sich nicht selbst schützen können oder überfordert sind, muss der Staat Schutz und Vorsorge bieten“, versprach die schwarz-rote Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag. Ihrem Versprechen ließ die Koalition auch Taten folgen. Etliche Projekte wie etwa die Mietpreisbremse, das Kleinanlegerschutzgesetz oder die Erweiterung der Verbandsklagebefugnisse im Datenschutz wurden umgesetzt. Doch im digitalen Bereich sehen sich viele Verbraucher von ihrer Regierung im Stich gelassen. Und das ist nicht nur in Deutschland der Fall.

In anderen Ländern fällt das Urteil der Bürger sogar noch schlechter aus, wie eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) in sechs G20-Staaten (Deutschland, Frankreich, USA, China, Argentinien, Südafrika) zu Einstellungen und Erwartungen in den Verbraucherschutz in der digitalen Welt zeigt. Die Umfrage und die Ergebnisse einer Studie zum Verbrauchervertrauen in der digitalen Welt liegen dem Handelsblatt vorab vor und sollen am Mittwoch in Berlin im Rahmen des G20 Consumer Summit vorgestellt werden.

Der internationale Verbrauchergipfel findet zum ersten Mal in der Historie der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer statt. Deutschland, das derzeit den G20-Vorsitz innehat, hat sich zum Ziel gesetzt, mit diesem neuen Format eine internationale Debatte über die Rechte und Interessen der Verbraucher in der digitalen Wirtschaft in Gang zu bringen. Dass es damit nicht zum Besten bestellt zu sein scheint, belegt die VZBV-Umfrage.

Demnach sind 46 Prozent der in den sechs G20-Ländern 6607 Befragten der Ansicht, dass die Regierung ihre Rechte in der digitalen Welt nicht ausreichend schützt. Auf die einzelnen Länder bezogen schneiden die USA am schlechtesten ab (55 Prozent). Dahinter folgen Südafrika (52 Prozent) und Frankreich (51 Prozent). In Deutschland haben fast die Hälfte der Befragten (49 Prozent) kein Vertrauen in ihre Regierung, wenn es um den Schutz ihrer Rechte im Internet geht; in Argentinien sind es 46 und in China 23 Prozent. Das Ergebnis für die Volksrepublik ist bemerkenswert, zumal die dortige Regierung zuletzt den Kampf gegen Internetdienste verschärft hat, mit deren Hilfe die Webblockade des Landes umgangen werden kann. In China sind nicht nur chinakritische Webseiten oder Nachrichtenportale gesperrt, sondern auch soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter, YouTube und selbst Googles Suchmaschine.

Abschottung ist aber nicht das Signal, das der Gipfel in Berlin senden will. Die Veranstaltung unter dem Motto „Eine digitale Welt schaffen, der Verbraucher vertrauen“, zu der rund 300 Teilnehmer aus Politik und Wirtschaft erwartet werden, sucht nach Möglichkeiten, verloren gegangenes Verbrauchervertrauen wieder zurückzugewinnen.

„Wenn wir von Digitalisierung reden, dann reden wir von Chancen, aber auch enormen Herausforderungen“, sagt Gerd Billen, Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Wirtschaft und Politik müssten Schritt halten mit den Entwicklungen. „Sie dürfen den Fortschritt aber nicht bremsen, sondern müssen den Zugang aller Menschen zum Netz und ihre Sicherheit in der digitalen Welt sichern.“ Das gehe aber nur durch Zusammenarbeit, Vertrauen und das „gemeinsame Ziel, Digitalisierung stets zum Vorteil der Menschen mitzugestalten“.

Das ist leichter gesagt, als getan. Laut der VZBV-Umfrage ist die Sorge der Bürger in punkto Sicherheit besonders groß. So fürchten 72 Prozent der in den sechs G20-Ländern befragten Verbraucher, dass zu viele ihrer persönlichen Daten über das Internet für wirtschaftliche Zwecke gesammelt werden. Eine ähnliche Zahl (68 Prozent) befürchtet, dass digitale Zahlungssysteme nicht sicher genug sind. Die Umfrage ergab auch, dass fast zwei Drittel (59 Prozent) der Menschen Angst vor Datenmissbrauch bei neuen digitalen Technologien wie dem vernetzten Haushalt (Smart Home) oder fahrerlosen Autos haben.


„Signifikantes Hemmnis für Entwicklung der digitalen Wirtschaft“

VZBV-Chef Klaus Müller sieht die G20-Länder daher in der Pflicht, einen „verlässlichen Rahmen“ zu schaffen, damit Verbraucher digitalen Produkten und Dienstleistungen vertrauen können. „Verbraucher müssen sich in Deutschland, in Europa und weltweit auf den Schutz und die Sicherheit ihrer Daten verlassen können“, sagt Müller.

Wie wichtig dieses Verbrauchervertrauen auch für die Wirtschaft ist, darauf weist Amanda Long, Vorstand von Consumers International, hin. Denn es seien die Verbraucher, die das Wachstum der digitalen Wirtschaft vorantrieben. „Dieses Wachstum könnte ins Stocken geraten, wenn Verbraucher kein Vertrauen in die angebotenen Produkte und Dienstleistungen haben.“

Die internationale VZBV-Studie bringt es noch deutlicher auf den Punkt. Hürden, wie etwa ein fehlender Internetzugang oder die Befürchtung, dass etwa persönliche Daten missbräuchlich verwendet werden könnten, stellten ein „signifikantes Hemmnis für die weitere Entwicklung der digitalen Wirtschaft dar“. Denn fehlendes Vertrauen in Unternehmen bremse die Nutzung neuer digitaler Produkte und Dienste. „Daher setzt ein Wachstum auf der Angebotsseite der digitalen Märkte das Vertrauen von Verbraucherinnen und Verbraucher auf der Nachfrageseite der Märkte voraus.“

Immerhin konstatiert die Studie, dass in der Wirtschaft zunehmend erkannt werde, dass Probleme wie etwa beim Datenschutz oder bei der Datensicherheit „angemessen“ berücksichtigt werden müssen. Ein Beispiel für diese Einsicht ist das automatisierte Fahren. „Damit autonome Autos Akzeptanz finden, müssen sie ein Höchstmaß an Sicherheit garantieren“, sagte kürzlich der Vizepräsident des Digitalverbands Bitkom, Achim Berg. Eine Umfrage des Verbands hatte ergeben, dass viele Bürger nicht nur Angst hätten, dass ein solches Fahrzeug gehackt werden könnte, sie hätten auch Bedenken, dass persönliche Fahrzeugdaten wie Wegstrecken von Dritten ohne ihr Wissen genutzt werden könnten.

Dessen ungeachtet sehen die Verbraucherorganisationen Consumers International (CI) und der deutsche VZBV noch erheblichen Verbesserungsbedarf bei digitalen Verbraucherrechten. Die G20-Staaten sollten sich daher, so die Forderung, in bestimmten „Schlüsselbereichen“ auf Maßnahmen verständigen.

Als relevant stufen die Verbände etwa ein, dass jeder Verbraucher die Möglichkeit auf freien Zugang zum Internet haben sollte. Zudem sollten alle Unternehmen den Verbrauchern klare und verständliche Informationen über digitale Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung stellen.

Die Verbände fordern überdies internationale Standards, wonach den Verbrauchern nach dem Kauf digitaler Produkte für einen bestimmten Zeitraum auch wichtige Sicherheitsupdates von den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden müssen.

Ob die Forderungen aber jemals umgesetzt werden, ist fraglich. Denn G20 ist keine internationale Organisation, sondern ein sogenanntes informelles Gremium. Das heißt: Die Staaten fassen keine Beschlüsse, die eine direkte rechtliche Wirkung haben. Am Ende liegt es also ohnehin und wie gehabt in der Hand der nationalen Regierungen, inwieweit sie den digitalen Verbraucherschutz stärken wollen oder nicht.

Für Deutschland hat der zuständige Bundesminister Heiko Maas (SPD) das Thema schon auf die Agenda gesetzt. Gegenüber dem Handelsblatt kündigte er kürzlich an, in Zukunft vor allem die Digitalisierung in den Blick nehmen zu wollen. Bei den zunehmend digitalen, vernetzten Produkten sowie autonomen Systemen gehe es nicht nur um Sicherheit und Qualität, sondern vor allem um eine „effektive Marktaufsicht“, betonte der Minister. Dafür wolle er sich einsetzen – und mit dem „ganzen Gewicht“ seines Ministeriums Verbraucherrechte und ihre Durchsetzung stärken.

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