Europäische Union Asselborn warnt vor Existenzkrise

Der dienstälteste Außenminister der EU, der Luxemburger Jean Asselborn, schließt ein Auseinanderbrechen der Europäischen Union nicht mehr aus.

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„Das ist aber nicht mehr das Europa, das wir brauchen nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Quelle: dpa

Luxemburg Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sieht den Fortbestand der Europäischen Union gefährdet. „Wenn der Respekt der Werte fällt, dann fällt auch das Projekt Europa“, sagte Asselborn der Deutschen Presse-Agentur in Luxemburg. Es gebe EU-Länder, die die Werte von Solidarität und Verantwortung „nicht mehr richtig finden oder ein anderes Europa wollen“.

Polen beispielsweise wolle ein „Europa der Nationen“. „Und in diesem Europa der Nationen entscheidet die Regierung, wie frei die Presse ist, wie frei die Justiz ist. Das ist aber nicht mehr das Europa, das wir brauchen nach dem Zweiten Weltkrieg.“

Unter Hinweis auf Ungarn und dessen Regierungschef Viktor Orbán, der eine Aufnahme von Flüchtlingen strikt ablehnt, sagte Asselborn: „Ein Land, das nicht mehr das Gemeinschaftliche respektiert, nicht mehr den EU-Vertrag respektiert, muss sich Fragen stellen lassen, ob es in der Europäischen Union noch eine Zukunft sieht.“

In Polen gingen Bürger gegen „Machenschaften“ ihrer Regierung auf die Straße, die Richter absetze oder beiseiteschiebe. „Das hatten wir alles schon in Europa. In einer Zeit, in der die Menschen nicht das Glück hatten, in einer Demokratie zu leben. Man kann doch nicht einfach dahin zurückkehren.“ Man habe es mit einer „existenziellen Krise“ in der EU zu tun: „Entweder die Orbanisierung für die Zukunft oder wir stehen für das Europa, das nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Idealen und Werten als Wertegemeinschaft aufgebaut wurde.“

„Es wird nicht nur zwischen den Zeilen, sondern manchmal ganz bewusst hingenommen, dass die Werte der Europäischen Union zerknittert werden“, sagte Asselborn. Die Migrationsfrage sei „der Test für das Weiterbestehen der Europäischen Union“. Man dürfe den Bürgern nicht vorgaukeln, dass diese Frage „im Vorhof Europas zu bewältigen ist - draußen, nicht drinnen“. Tatsächlich brauche man einen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge innerhalb der EU. Ein solcher Schlüssel wird unter anderem von Orban strikt abgelehnt.

In einer Gemeinschaft könne diese Verteilung nur gemeinsam erfolgen: „Aber da sind wir nicht. Wir drücken diese Lastenverteilung einfach weg, machen die Augen zu und sagen, wenn keiner mehr reinkommt, brauchen wir auch keinen mehr zu verteilen.“

Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten Ende Juni bei einem Gipfeltreffen in Brüssel die Aufnahme von Flüchtlingen als freiwillig bezeichnet. Er habe den Eindruck, dass auch bei EU-Gipfeln „das alles so beiseitegeschoben wird“, sagte Asselborn. Die Staats- und Regierungschefs müssten nicht nur über Migration, sondern auch über die Stabilisierung des Euro und vor allem über die sozialen Probleme sprechen. Das liege auch im gemeinsamen Interesse von Deutschland und Frankreich. „Man muss bereit sein, zu sehen, dass es nicht allen so gut geht wie Luxemburgern, Deutschen oder Niederländern“, sagte er.

„Das Europa, das wir jetzt haben, ist ein Europa, was das Gemeinschaftliche, die Solidarität und die Verantwortung nicht mehr ernst nimmt“, kritisierte Asselborn. Es gebe „eine Krise der Demokratie“, eine „tiefe Vertrauenskrise“ und „eine Krise der nationalen Egoismen“, sagte er. „Jeder glaubt, er würde schlechter behandelt als die anderen.“

Auch nach 14 Jahren als Außenminister Luxemburgs ist Jean Asselborn (69) nicht amtsmüde. Schließlich bewerbe er sich bei der Parlamentswahl vom 14. Oktober erneut um das Vertrauen der Wähler im Großherzogtum, sagte der dienstälteste EU-Außenminister der Deutschen Presse-Agentur. „Und wenn dieses Vertrauen da ist, dann habe ich die Konsequenzen zu ziehen und dann kann ich nicht fortlaufen. Das mache ich nicht.“ Solange er jedes Jahr mindestens einmal mit dem Rad auf den 1912 Meter hohen südfranzösischen Mont Ventoux fahren könne, sei er „weder amtsmüde noch körperlich müde“.

Der Sozialdemokrat, seit 1984 Mitglied Parlamentsabgeordneter, wollte nicht sagen, ob er wieder Außenminister werden wolle, falls seine Partei erneut an einer Regierung beteiligt sei. Über die künftige Regierungskoalition werde erst nach der Wahl geredet. Luxemburg wird seit Ende 2013 von einer Koalition von Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen unter Leitung des Liberalen Xavier Bettel (45) regiert. Umfragen zufolge gibt es aber im Herbst keine Mehrheit mehr für diese Dreier-Koalition. Als wahrscheinlich gilt ein klarer Wahlsieg der Christlich-Sozialen Volkspartei (CSV) von Claude Wiseler (58).

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